© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/02 14. Juni 2002

 
Zurück in die Wirklichkeit
Der an Parkinson erkrankte Hollywood-Schauspieler Michael J. Fox hat seine Autobiographie verfasst
Silke Lührmann

Die Autobiographie des Michael J. Fox ist ein Schmöker, den man sich für schlechte Tage aufheben sollte: für jene dunklen Stunden, wenn die Selbstzweifel so hoch über den Kopf wachsen, daß man den Horizont nicht mehr sehen kann. Verglichen mit den Alltagssorgen dieses Prominenten verblassen die Funktionsstörungen jedes Normalverbrauchers. Sein Mut im Umgang mit ihnen erstickt jeden Keim von Wehleidigkeit.

Fox ist ein überaus bedauernswerter Zeitgenosse: ein Alkoholiker, bei dem im Alter von 30 Jahren Parkinson diagnostiziert wurde. Fox ist ein überaus beneidenswerter Mensch: ein nicht nur an Erfolg reicher Schauspieler, der als Marty McFly in Steven Spielbergs "Zurück in die Zukunft"-Trilogie im Alter von 24 Jahren zum Superstar wurde. Einer, der das Geheimnis der ewigen Jugend geknackt zu haben schien - seine ersten Zusagen erhielt Fox, weil er als Volljähriger noch Jungenrollen spielen konnte -, leidet an einer unheilbaren Gehirnkrankheit, die zumeist ältere Menschen befällt.

Dieser Widersprüche ist sich Fox bewußt. Sein Titel "Lucky Man" (erscheint im Herbst auch auf Deutsch) ist weder, wie man annehmen könnte, ironisch gemeint noch abergläubisch beschwörend, sondern im Sinne einer moralischen und spirituellen Erweckung, einer bewußten Abkehr von dem "magischen Denken", das sein Leben in der "Seifenblase" Hollywood bestimmte: Fox schätzt sich glücklich, zu einem Neuanfang gezwungen worden zu sein, bei dem ihm Zeitmaschinen sowenig helfen wie der Griff zum Telefon, um die Verantwortung auf Agenten oder Publizisten abzuschieben.

Rettung findet er statt dessen auf dem Boden der Wirklichkeit. Fox, der als Sohn eines Berufssoldaten in der kanadischen Provinz und später von Großfamilie umgeben in einer Vorstadt von Vancouver aufwuchs, widmet sich nun mit Hingabe den eigenen Kindern. Seine Frau, die Schauspielerin Tracy Pollan, durchschwebt dieses Buch als blonder Engel voller gesundem Menschenverstand. Und die meisten Mitmenschen, merkt er zu seiner Freude, haben eine "bessere Seite".

"Lucky Man" ist ein sicherlich kalkulierter Versuch, die Lawine unerwarteter Effekte fortzuschreiben, die Fox 1998 mit dem Entschluß lostrat, seine Erkrankung nicht länger geheimzuhalten. Damit hatte eine weitgehend unsichtbare, weil in Alten- und Pflegeheime verdrängte Krankheit plötzlich ein öffentliches Profil gewonnen. Nach einigem Zögern ließ Fox sich von dem organisatorischen Geschick der HIV-Lobby inspirieren. Als Präsident der Michael-J.-Fox-Stiftung bemüht er sich seither, Gelder in die rasche Entwicklung eines Heilmittels zu pumpen und lebensrechtliche Bedenken gegen die Stammzellenforschung mit ebenso lebensrechtlichen Argumenten abzubauen. "Lucky Man" ist aber viel mehr als ein Appell - erst auf den letzten Seiten wächst der sympathische Clown völlig in diese neue Rolle des reifen, intelligenten, zutiefst humanen Fürsprechers der "Parkinson-Gemeinschaft" hinein.

Sein unterhaltsamer, aber anspruchsloser Schreibstil - für den er in der Schule Bestnoten erntete, wie Fox stolz berichtet - scheint der Schwere des Themas zunächst nicht standzuhalten. Hier spricht jemand, der gewohnt ist, eher die Lachmuskeln als den Intellekt seines Publikums zu strapazieren. Ihm fehlen die Worte, Erfahrungen zu verdichten, zu verklären. Beim Weiterlesen verkehrt sich dieser Effekt in sein eigentümliches Gegenteil. Immer dankbarer wird man für die einfache, alltägliche Sprache, mit der Fox erzählt, wie die Diagnose seiner Krankheit ihn 1991 in einer veränderten Welt aussetzte, die sich doch eigentlich gar nicht verändert hatte. Denn welcher noch so große Wortschatz reicht aus, gegen die Ungeheuerlichkeit des Schicksals anzuschreiben? Fox geht es nicht darum, unsterbliche Literatur zu schaffen, sondern ein allzu sterbliches Leben so gut wie irgend möglich zu leben. Nur gelegentlich verfällt er in den Tonfall der in den USA so beliebten Selbsthilferatgeber und verwechselt Rhetorik mit Therapie.

Seinen ursprünglichen Eintritt in eine andere Welt datiert Fox ein halbes Jahrzehnt vor den ersten Parkinson-Symptomen: Mitte der achtziger Jahre verschaffte der kometenhafte Aufstieg des Marty McFly ihm Zugang zu einer Parallelgesellschaft, deren Sprache kein Wort für "Nein" kennt. Für die Bürger dieses Schlaraffenlandes gelten weder Verkehrsregeln noch Preisschilder.

Fox' Einsichten in die Natur - genauer gesagt: die Widernatürlichkeit - der Massenmedien sind überzeugender als vieles, was gelehrte Theoretiker zu diesem Thema hervorgebracht haben.

Wie jede Erfolgsgeschichte ist auch diese zugleich eine Geschichte des Fast-Scheiterns, der um-ein-Haar-verpaßten Chancen. Das "Papiermonster" in seinem Küchenschrank, das Fox während seines Hungerjahrs in den "Slums von Beverly Hills" mit unbezahlten Rechnungen fütterte, ist eine solche Anekdote, die erst im nachhinein urkomisch wird. Wie jede Tragödie ist auch diese Geschichte eine Kette unglücklicher Zufälle, hier neurologischer und nicht existentieller Art. Die Wahrscheinlichkeit, als junger Erwachsener Parkinson zu bekommen, ist ähnlich gering wie die Chance auf eine erfolgreiche Hollywood-Karriere, stellt Fox trocken fest.

Es hätte auch anders kommen können: Der von den Göttern wie vom Teufel Verwöhnte kokettiert mit seinem Los, wo der Pechvogel hadert. Auf Dauer kommen beide nicht umhin, sich zu fragen: "Warum gerade ich?" Daß Fox' Geschichte beides ist, triumphal und tragisch, macht sie so fesselnd. Daß er sie umgekehrt lesen, die Tragik als Triumph verstehen möchte, macht ihn schließlich nicht nur bedauerns- und beneidens-, sondern vor allem bewundernswert.


 
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