© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/02 14. Juni 2002

 
Arm an politischem Willen
Hungerkatastrophe: Weltweit 815 Millionen Unterernährte / UN-Welternährungs-Konferenz spricht von einer kläglichen Bilanz
Volker Kempf

Weltweit hungern etwa 815 Millionen Menschen, davon allein 225 Millionen im Land der Atomraketen und der begehrten Software-Experten - in Indien, das am Rande eines Krieges mit Pakistan steht. Die Menschen hungern im bettelarmen Äthiopien, in der "boomenden" Volksrepublik China und im kriegszerrütteten UN-Protektorat Afghanistan. In der Demokratischen Volksrepublik Kongo (Ex-Zaire) hungern 64 Prozent der Bevölkerung - das ist "Weltrekord". Mit diesen Problemen beschäftigte sich vom 10. bis 13. Juni eine Konferenz der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Uno (FAO) in Rom, an der etwa 100 Staats- und Regierungschefs teilnahmen. Schon vor 1996 hatte man beschlossen, das Elend in der Welt zu verringern, so daß bis 2015 statt 840 Millionen lediglich 400 Millionen Menschen unter Unterernährung leiden sollten. Die Wirklichkeit hat sich daran nicht gehalten; Bislang ist es lediglich gelungen, diese Horrorzahlen zu stabilisieren.

Vor zwanzig Jahren hatte man innerstaatliche Ursachen dieser Armut noch sträflich vernachlässigt. Das hat sich in den letzten zehn Jahren zwar geändert, man mußte sich aber zunehmend eingestehen, daß die internen Armutsursachen jedoch nur schwer anzugehen sind. Die Gründe für Hunger und Armut sind vielfältig, dazu gehören:

- ein hohes Bevölkerungswachstum, das gerade in den untersten Schichten auch eines "Schwellenlandes" wie Brasilien auszumachen ist und eine befriedigende gesellschaftliche Integration der Betroffenen verhindert.

- Ein mangelhafter Zustand von Staat, Parteien und politischer Kultur durch Filz, Vetternwirtschaft und Korruption. Das bedeutet, daß der Staat kein Garant für Rechtssicherheit sein kann. Chaotische Verhältnisse, die der Staat in Ordnung und Stabilität überführen sollte, verkörpert er selbst.

- Eine unzureichende Struktur- und Sozialpolitik gibt dem ärmeren Bevölkerungsanteil keine reelle Chance, aus seiner Misere herauszukommen.

l Mangelnde oder nicht vorhandene Umweltpolitik führt etwa dazu, daß Bäume wichtiger sind als Menschen und entsprechend Wälder gerodet werden; von diesem Prinzip haben letztlich weder Bäume noch Menschen etwas.

- In einigen Ländern herrscht gar Krieg oder Bürgerkrieg, was die Lage vollends hoffnungslos macht.

Als wichtiger externer Faktor gilt die hohe Verschuldung in Ländern der Dritten Welt. Ein gängiges Argument besagt, daß die chronische Wirtschaftskrise etwa Brasiliens, das absolut die weltweit höchste Staatsverschuldung aufweist, nur deshalb fortbestehe, weil Schuldenrückzahlungen Entwicklungspotentiale binden. Vor einem solchen Hintergrund dachte nach Darstellung der Auslandskorrespondentin des Südkuriers vom 20. Juni 2001 selbst der vielkritisierte italienische Regierungschef Silvio Berlusconi daran, armen Ländern "sämtliche Handels- und Hilfskredite" zu erlassen. Dies wirft die Frage auf, was im Falle eines Schuldenerlasses seitens der Gläubiger geschehen würde. Die Antwort muß lauten, daß das freiwerdende Potential ebenso verpulvert würde, wie Mexiko seine Ölmilliarden oder Venezuela seine Drogeneinnahmen.

Ein plötzlicher Geldregen löst also in unterentwickelten Ländern nicht das Armuts­problem. Das freiwerdende Geld versandet in einem Dramadreieck aus Kapitalfluch, Korruption und importiertem Luxuskonsum der Oberschichten. Deutschland konzentriert sich bei der Entschuldung aufgrund der geschilderten Problematik auf einige wenige Länder wie Vietnam oder Bolivien. Diese Länder legen beispielhafte Bemühungen an den Tag, eigene Entwicklungspotentiale freizusetzen. Die wirtschaftlich dominierenden "G-8-Staaten" beschlossen unterdessen vor einem Jahr, Genua einen Schuldenerlaß von 54 Milliarden Dollar zu erlassen.

Die gesamte Entwicklungspolitik hat sich damit in den letzten Jahren gewandelt, weg vom offenen Geldbeutel und dem Streuungsprinzip. Nach Vorstellung des Bundeskabinetts etwa sollen die einzelnen Bundesministerien ihre Arbeit mit der anvisierten Entwicklungspolitik abstimmen. So sollen künftig alle neuen deutschen Gesetze darauf geprüft werden, ob sie Belange von entwicklungspolitischer Tragweite berühren und das Ziel der weltweiten Armutsbekämpfung fördern oder aber behindern. Das berührt etwa den Protektionismus, den die EU in der Vergangenheit mit der Banane betrieben hat, der aber nur in Einzelfällen von Gewicht ist. Die Vernetzung der einzelnen Bundesministerien trägt zur Abstimmung entwicklungspolitischer Ziele bei.

Ob die Abstimmung und Vernutzung allerdings sehr weitgehend umgesetzt wird, erscheint fraglich. Denn das Innenministerium müßte darauf achten, daß Zu- und Einwanderung nach Deutschland ärmeren Ländern in der Regel nichts nützt, sondern eher schadet - Stichwort "Computer-Inder".

Es wandern in der Regel nämlich gerade Fachkräfte ab, die vor Ort gebraucht würden; davon haben die Ärmsten nicht viel. Entwicklungshilfe ist in Entwicklungsländern letztlich besser aufgehoben, als bei uns in Form von Fachkräfteabwerbungen ("brain drain") aus Armuts- und Schwellenländern. Schleicht sich hier Laxheit beim Umgang mit der politischen Armutsbekämpfung ein, kann sich das bei uns also rasch durch eine massenhafte Zuwanderung aus ärmeren Ländern bemerkbar machen, was letztes Jahr vor einigen Wochen die Badische Zeitung bemerkte. Das Problem hat sich mittlerweile aber von selbst relativiert; nicht aus politischer Einsicht, sondern wegen der vergleichsweise schwachen Resonanz auf die "Green-Card" bei den Indern und dem Platzen der Spekulationsblase "new economy".

Die "Dritte Welt" besteht zudem nicht nur aus unterernährten Menschen, von denen es immer noch 815 Millionen gibt, sondern wächst auch zu einem internationalen Machtfaktor heran, etwa im Milliardenreich China. Flüchtligsströme in die USA und nach Europa sind die Folge.

Die Uno und die G-8-Staaten haben in den letzten Jahren manche populäre Irrtümer über vermeintliche externe Ursachen der weltweiten Armut deutlich relativiert. Das gilt vor allem für Verschwörungstheorien über die kapitalistische Welt, die die politische Linke mit teilweise militantem Nachdruck verbreitet. Die Wirklichkeit ist komplexer. Das erkannt zu haben, ermöglichte eine gezieltere Armutsbekämpfung. Angesichts der Größe des Problems blieben die bisherigen Erfolge aber dennoch bescheiden.

Nicht bescheiden waren hingegen die Erklärungen von Politikern. So beteuerte etwa Deutschlands Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul (SPD) noch im April 2001 auf einer Pressekonferenz, eine Halbierung des Elends auf der Welt binnen 15 Jahren sei "nicht utopisch".


 
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