© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/02 14. Juni 2002

 
"Österreich ist kein Einwanderungsland"
Interview: Die österreichische Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer über die Zukunft der ÖVP/FPÖ-Koalition und den Rechtsrutsch in der EU
Andreas Mölzer

Frau Vizekanzlerin, seit über zwei Jahren haben Sie die Aufgabe, die FPÖ als die größere der beiden österreichischen Regierungsparteien zu führen. Wie würden Sie denn Ihre Bilanz diesbezüglich ziehen?

Riess-Passer: Ich ziehe eine absolut positive Bilanz. Wir haben unter sehr schwierigen Umständen begonnen, nicht nur aufgrund des Erbes, das wir vorgefunden haben, des Schuldenberges und der anderen Mißstände, sondern auch des Drucks, der auf diese Regierung ausgeübt wurde von innen und von außen, die Demonstrationen auf der Straße, die Sanktionen. Niemand hat eigentlich damals dieser Regierung ein langes Leben zugetraut, und wir haben, wenn man sich jetzt die Bilanz der letzten zweieinhalb Jahre anschaut, zwei Drittel des Regierungsprogramms schon umgesetzt, wir haben richtungsweisende und unumkehrbare Veränderungen im Land bewirkt, mit dem Nulldefizit, mit dem Kindergeld, mit der "Abfertigung neu" (Abfindung für entlassene Arbeitnehmer nach drei Jahren) und vielen anderen Dingen. Das sind Meilensteine, und selbst unsere politischen Gegner erkennen das an. Das ist im Anbetracht der Widerstände, die wir dabei überwinden müssen - im medialen Sektor, aber auch der Organisationen und Strukturen dieses Landes - eine Leistung, die mehr als herzeigbar ist. Nichts von dem wäre ohne die FPÖ möglich gewesen. Und deswegen ist es auch so wichtig, daß wir in der Regierung sind, nicht nur, weil das Regieren so lustig ist, sondern weil es ohne uns entweder den Rückfall in Rot-Schwarz gibt, und das haben wir schon 13 Jahre gesehen, was das heißt. Oder Rot-Grün für Österreich - und da brauchen wir nur nach Deutschland schauen, um zu sehen, was das bedeuten würde.

Sie sagen, die FPÖ ist der Reformmotor. Manchmal hat man aber den Eindruck, daß sie vom Koalitionspartner ÖVP vorgeschickt wird, um unpopuläre Dinge nicht nur zu initiieren, sondern auch durchzudrücken. Zahlt die FPÖ einen Preis für diese relativ schmerzhafte Reformpolitik?

Riess-Passer: Ich glaube nicht, daß wir einen Preis zahlen. Aber ich glaube, daß Regieren natürlich viel schwieriger ist, als manche es sich vorgestellt haben und daß das auch heißt, daß man Themen anpacken muß, um die andere jahrelang einen Bogen gemacht haben. Wir haben uns die schwierigsten Ressorts ausgesucht, das Finanzministerium, Sozialministerium und das Verkehrsressort. Auch mein Ministerium liegt im Öffentlichen Dienst - das sind die ganz großen Brocken. Die Widerstände gegen die Regierung sind ja vielfältig, etwa bei den Demonstrationen. Und egal um welche Maßnahme es geht, es gibt immer ein großes Geschrei. Aber schließlich hat sich bei all diesen Maßnahmen erwiesen, daß sie richtig waren. Das wird der Wähler letzten Endes auch so beurteilen. Ich bin davon überzeugt, daß die Bilanz am Ende dieser Regierungsperiode im Jahr 2003 eine positive sein wird und die Wähler erkennen werden, daß die Schritte notwendig und richtig waren.

Man sagt, daß schon nach der Sommerpause bereits der Vorwahlkampf beginnen könnte. Es zeichnet sich dabei so etwas wie ein Lagerwahlkampf Mitte-Rechts gegen Mitte-Links ab. Auch die Demonstrationen um den 8. Mai deuten das an. Wie sehen Sie denn die Polarisierung, die damit auch auf das Land zukommt?

Riess-Passer: Ich glaube, daß die FPÖ ein Dammbrecher für Europa gewesen ist. Wenn man sich die Entwicklung der letzten zwei Jahre in der EU anschaut und sich an die sozialistische Hegemonie erinnert, die es gegeben hat zu dem Zeitpunkt, als wir in die Regierung gekommen sind, und es nur zwei nichtsozialistische Regierungen in der EU gegeben hat, die jetzt wie die Dominosteine fallen, dann ist das schon ein Zeichen, daß es eine Wende gibt, die nicht nur auf Österreich beschränkt ist und daß wir da auch Türöffner waren und hier den Weg vorgezeigt haben. Rot-Grün als Alternative für Österreich ist eine reine Abschreckung, wenn man sich Deutschland anschaut. Deutschland hat heute ein halb so hohes Wirtschaftswachstum wie Österreich, eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeit, hat die Rote Laterne in der Budgetpolitik der EU. Ich glaube, daß das etwas ist, das die Wähler in Österreich nicht wollen. Natürlich ist das, was sich in den letzten Wochen auf der Straße abgespielt hat, eine Polarisierung gewesen, bei der man sieht, wo uns das hinführen könnte. Es ist aber ganz gut, daß man einmal gesehen hat, was Rot-Grün in der Praxis heißt, was das an Auseinandersetzungen auf der Straße bedeutet, wo auch rote und grüne Abgeordnete mitmarschieren, aber kein Wort der Distanzierung von der Gewalt finden.

Sie sprechen vom Österreicher als einem europäischen Eisbrecher. Sehen Sie angesichts der aktuellen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland um die FDP Anzeichen, daß sich auch dort etwas in jene Richtung bewegen könnte, wie es in Österreich politisch vorgelebt wurde?

Riess-Passer: Ja, es ist ja ganz interessant zu sehen, daß die FDP nach den vielen Jahren der Erfolglosigkeit und dem Weg in die politische Bedeutungslosigkeit jetzt erkannt hat, daß es kein politisches Rezept ist, nur Teilhaber der Macht zu sein und Mehrheitsbeschaffer für andere, sondern daß die Wähler Problemlösungen erwarten. Und die Diskussion, die heute in der FDP stattfindet, ist eine ganz andere, aber ob das von Erfolg getragen sein wird, wird man erst sehen. Da gibt es ja unterschiedlichste Kräfte, und ich kenne die FDP viele Jahre lang, also das ist für uns auch ein Kapitel, das abgehakt ist. Ich glaube, daß die Tendenz in Europa generell eine ist, wo die Wähler verkrustete Strukturen und korrupte politische Systeme abwählen. Das hat man in Frankreich gesehen. Es war nicht der Sieg des Herrn Le Pen, sondern das war dort das Versagen des politischen Systems. Und das hätte man noch viele Jahre auch ohne politische Erneuerung retten können, aber die Zeiten sind vorbei, und die Wähler sind heute viel mobiler, viel offener, auch für neue Gruppierungen. In Holland ist die Liste Pim Fortuyns, die erst vor wenigen Monaten gegründet wurde, zweitstärkste Partei geworden. Die Wähler suchen nach einer Alternative und nach Politikern, die ihnen nicht nur immer alles schönreden, sondern die die Probleme aufzeigen und auch konkrete Lösungen dafür anbieten.

Aber es sind nicht nur die verkrusteten Strukturen, sondern es sind auch gewisse politische Themen, die die Wähler offenbar präferieren: Probleme der Migrationsgesellschaft und der Inneren Sicherheit. Alles Sorgen, bei denen eher "rechtspopulistischen Kreisen" die Problemlösungskompetenz zugeordnet wird.

Riess-Passer: Das ist ganz logisch, weil die Linke uns dieses Problem ja in Europa beschert hat, indem man jahrelang eine Zuwanderungspolitik betrieb, wo man alle Tore öffnete und die Probleme, die dadurch - auch im sozialen Bereich - entstehen, nicht berücksichtigt hat. Das ist in Österreich so gewesen, und das war auch in anderen Ländern Europas so. Und politische Probleme löst man eben nicht damit, indem man einen Glassturz darüber stellt und sagt, es gibt Themen wie Migration oder Ausländerpolitik, die wir einfach nicht ansprechen, weil sie nicht der politischen Korrektheit entsprechen, sondern das ist ein Problem, und das muß man offen ansprechen und auch lösen. Und Österreich hat auch hier eine Vorreiterrolle gespielt, weil wir rechtzeitig Einhalt geboten und gesagt haben, Österreich ist kein Einwanderungsland und soll auch keines werden. Und das ist letzten Endes eine vernünftige Politik, die auch den sozialen Frieden sichert.

Glauben Sie, daß es in irgendeiner Form europaweit zur Zusammenarbeit von Kräften, die diese Probleme ähnlich sehen und ähnlich lösen wollen, kommen kann?

Riess-Passer: Absolut. Ich glaube, daß es auch auf europäischer Ebene dazu kommen wird, daß es auch neue Formen der Zusammenarbeit gibt, vor allem mit Parteien, die nicht in diesen "Hurra-Europa"-Jubel einstimmen, sondern die auch Fehlentwicklungen erkennen und auch dafür Lösungen bieten. Europa ist nicht in allen Bereichen in den letzten Jahren erfolgreich gelaufen, was man auch daran sieht, daß die Distanz zu den Bürgern immer größer wird. Bei der letzten EU-Wahl haben im Durchschnitt nur mehr 49 Prozent ihre Stimme abgegeben, also nicht einmal mehr die Hälfte der EU-Bürger sind zur Wahl gegangen, und das zeigt ja, daß ein Handlungsbedarf gegeben ist. Und die Parteien, die das ansprechen, sind daran interessiert, daß Europa nicht so ist, daß man über die Leute drüberfährt, sondern daß man sie auch mit einbindet in Entscheidungen, die dann letzten Endes erfolgreich sind.

Wie wird es mit der FPÖ nach dem Parteitag vom Wochenende weitergehen? Wird man sich schon langsam - neben der Regierungsarbeit - auf die Wahlbewegung einstimmen?

Riess-Passer: Wir werden die großen Themen, die jetzt noch vor uns liegen, auch mit dem entsprechenden Engagement bearbeiten. Die Steuerreform ist da ein ganz wichtiger Bereich. Das ist die Reform des Öffentlichen Dienstes - was noch offen ist nach der Verwaltungsreform: die Dienstrechts und Besoldungsreform, die Harmonisierung der Pensionssysteme, um hier endlich einmal Gerechtigkeit zu schaffen und keine geschützten Werkstätten - dazu haben wir Sonderregelungen für einzelne Berufsbereiche. Dann wird man sich auf den Wahlkampf vorbereiten und nicht nur die Bilanz legen, sondern auch sagen, was noch an großen Strukturreformen zu tun ist, denn dreißig Jahre Sozialismus und all das, was damit an Fehlentwicklungen in dem Land passiert ist, können nicht in vier Jahren zur Gänze aufgearbeitet werden. Um die Reformen auch wirklich dauerhaft zu gestalten und strukturell zu verankern, wird man eine zweite Periode der Regierungsbeteiligung der FPÖ brauchen, denn es gibt die SPÖ sowieso, aber es gibt auch in der ÖVP welche, die nur darauf warten, wieder ans Ruder zu kommen und die alten Zustände wieder herzustellen. Und das, glaube ich, ist eine Vorstellung, die für niemanden positiv ist.

Sie selbst würden aber eine Fortsetzung der Koalition unter ähnlicher, auch personeller Konstellation präferieren oder auch unter Umständen unter umgekehrten Vorzeichen mit einer klaren "blauen" Führungsrolle?

Riess-Passer: Es kommt auf das Ergebnis der Wahlen an. Aber wenn beide Parteien wieder annähernd gleich stark sind, dann glaube ich, ist es nur gerecht, daß man sagt, in der zweiten Runde soll der andere Partner an vorderster Stelle stehen. Wobei ich sage, wir gehen nicht als Koalition in die Wahl, sondern wir sind Mitbewerber im politischen Geschäft, das heißt jede Partei tritt für sich an. Ich schließe auch keine Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Parteien aus. Es hängt nur davon ab, ob dort ein Reformwille gegeben ist; der ist bei der SPÖ nicht sichtbar, die ist ja immer noch dabei, ihre Depression nach dem Austritt aus der Regierung zu verdauen, und das ist ihr noch nicht so richtig gelungen.

Glauben Sie, daß man nach dieser gut zweijährigen Regierung und Ihrer Bilanz als Parteiobfrau sagen kann, daß dieses Experiment Wenderegierung schon mehr als eine Fußnote in der österreichischen Geschichte ist - mehr als die erste Rot-Blaue Koalition (1983-1986) unter Fred Sinowatz und Norbert Steger?

Riess-Passer: Absolut nicht. Man kann das auch gar nicht vergleichen, weil damals war das Problem, daß die FPÖ in eine Regierungsbeteiligung gegangen ist, als kleiner Partner mit einem sehr großen Partner, und eigentlich daran gescheitert ist, daß man in der Regierung kein eigenes Profil gewinnen konnte, sondern eigentlich nichts anderes war als SPÖ-Mehrheitsbeschaffer. Wir haben jetzt in dieser Regierungsbeteiligung bewiesen, daß wir diejenigen sind, die den Ton angeben, daß wir diejenigen sind, die Reformen vorantreiben und daß diese Regierungsarbeit freiheitliche Handschrift trägt.

 

Dr. Susanne Riess-Passer, geboren 1961 in Braunau am Inn. Jurastudium an der Universität Innsbruck (Dr. iur.). Pressemitarbeiterin der FPÖ seit 1987, danach Bundespressereferentin, Auslandsreferentin der FPÖ. Abgeordnete zum Tiroler Landtag 1999, Bundesparteiobmann-Stellvertreterin der FPÖ 1995-1996, Obfrau der Bundesratsfraktion der FPÖ 1992-1995 sowie 1997/98, geschäftsführende Bundesparteiobfrau der FPÖ 1996-2000, Vizekanzlerin seit Februar 2000, Bundesparteiobfrau der FPÖ seit Mai 2000.

 

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