© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/02 14. Juni 2002

 
Am Anfang war ein Interview
Der "Fall Karsli" ist mit dem Rückzug des Ex-Grünen aus der NRW-FDP-Fraktion abgeschlossen
Hans-Peter Rissmann

Chaosforscher kleiden ihre Theorie gerne in folgendes Bild: Es sei denkbar, daß in einem komplexen System wie dem des Klimas der Erde, der Flügelschlag eines Schmetterlings eine Kettenreaktion auslöse, an deren Ende ein verheerender Hurrikan stehe, der ganze Landstriche verwüstet.

Im "Fall Karsli", der die FDP und mit ihr die deutsche Öffentlichkeit bis Anfang dieser Woche in Atem hielt, war der "Flügelschlag des Schmetterlings", der den Sturm der Entrüstung und eine wochenlange hysterische Debatte über angeblichen Antisemitismus in der deutschen Politik auslöste, ein Interview in der JUNGEN FREIHEIT. Jamal Karsli, langjähriger grüner Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfallen, schickte sich im April an, die politischen Fronten zu wechseln. Keine öffentliche Empörung hatte es anderthalb Jahre zuvor gegeben, als Karsli eine grüne Pressemitteilung herausgab, in der er von "Nazimethoden" des israelischen Militärs in den besetzten palästinensischen Gebieten gesprochen hatte.

Nun aber war er in den Augen seiner ehemaligen Parteifreunde und einer offenbar mehrheitlich mit Rot-Grün sympathisierenden Medienöffentlichkeit fahnenflüchtig geworden, indem er sich der FDP und Jürgen W. Möllemann als deren nordrhein-westfälischem Landeschef andiente. Mit diesem Frontwechsel schmolz die Regierungsmehrheit des SPD-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement auf ein kritisches Minimum. Es mußte im Zusammenhang mit der heiklen Kölner SPD-Spendenaffäre nämlich noch damit gerechnet werden, daß mehrere Genossen infolge Parteiausschluß die SPD-Fraktion verlassen müssen.

Aus Sicht mancher Kommentatoren war Karsli so über Nacht vom multikulturellen Paulus zum antisemitischen Saulus geworden. Das Interview mit der JUNGEN FREIHEIT, das am 3. Mai erschien, bot den sehnlichst erwarteten Anlaß, zur Gegenkampagne anzutreten. Rückblickend ist der "Fall Karsli" ein phantastischer Befreiungsschlag für die gebeutelte NRW-SPD geworden. Weg vom roten Spendensumpf hin zum "braunen Sumpf" der FDP.

Was Karsli wirklich im JF-Interview gesagt hat, war nur noch zweitrangig. Nie wurde wirklich vollständig zitiert, auch wurde Karsli nie im Fernsehen befragt, was er eigentlich wirklich hatte sagen wollen. Klar war für viele Journalisten nur der saftige Plot: Möllemann will ein Tabu brechen, er will mit Antisemitismus Wählerstimmen fangen, er will die FDP auf Haiderkurs führen.

Alles an den Haaren herbeigezogen. Karsli sagte tatsächlich (das vollständige Interview ist im Internet unter www.jungefreiheit.de  abrufbar): "Ich bin weder antiisraelisch noch antijüdisch, noch antisemitisch. Wenn Sie wollen, ich bin auch ein Semit. Ich bin vielmehr 'anti-Scharon' bzw. besser gesagt, gegen dessen Politik." Er hatte im JF-Interview sogar ausdrücklich seine umstrittenen Äußerungen widerrufen, die er als grüner Abgeordneter von sich gegeben hatte: "Ich bedauere das Wort 'Nazimethoden' verwandt zu haben."

Vom SPD-Spendensumpf zum "braunen Sumpf" der FDP

Die Äußerung, die am meisten Anstoß erregte, lautete: "Man muß allerdings zugestehen, daß der Einfluß der zionistischen Lobby auch sehr groß ist: Sie hat den größten Teil der Medienmacht in der Welt inne und kann jede auch noch so bedeutende Persönlichkeit 'klein' kriegen. Denken Sie nur an Präsident Clinton und die Monika-Lewinsky-Affäre. Vor dieser Macht haben die Menschen in Deutschland verständlicherweise Angst."

Karslis fragwürdigen Mutmaßungen über den Einfluß einer "zionistischen Lobby" auf den "größten Teil der Medienmacht", gar auf die Lewinsky-Affäre, war dann jedoch gar nicht Gegenstand der Empörung, es genügten die Reizwörter "Nazimethoden" und (wie dann nur noch frei zitiert wurde) die "jüdische Lobby", um die FDP und die Öffentlichkeit in Atem zu halten.

Vor allem aber skandalisierte man am Beginn des "Falles Karsli" den Ort, an dem das Interview erschienen war: Die JUNGE FREIHEIT. Nahezu alle deutschen Tageszeitungen, Magazine, Fernseh- und Rundfunksender übernahmen eine DPA-Meldung, nachdem diese Zeitung "vom Verfassungsschutz wegen antisemitischer, verfassungsfeindlicher Propaganda seit Jahren beobachtet" werde. Selbst in der sonst seriösen FAZ meinte ein Redakteur ins richtige Horn zu tuten, als er bei der JF von einem "rechtsradikal durchwirkten Wochenblättchen" (FAZ, 8. Mai 2002) sprach.

Es zeigte sich hier, welche verheerende, demagogische Wirkung die Praxis des NRW-Verfassungsschutzes zeitigt, die JUNGE FREIHEIT seit 1995 unter fadenscheinigen Begründungen in seinen Verfassungsschutzberichten zu "erwähnen". Die Folge ist eine Berichterstattung, die die JUNGE FREIHEIT in diskriminierender Weise als "verdächtig" aus dem demokratischen Diskurs ausschließt. Mit dem Ergebnis, daß sich Karsli eben nicht hätte in der JF äußern dürfen! Daß die JF seit 1996 aufwendig gegen NRW, inzwischen vertreten durch den ehemaligen Generalbundesanwalt Alexander von Stahl, prozessiert (siehe nebenstehender Artikel), wurde durchweg unterschlagen.

So überschattete die Affäre bereits den Bundesparteitag der FDP am 11./12. Mai in Mannheim. Die Partei sah sich nun unter wachsendem Druck, sich wieder von Karsli zu trennen. Zunächst war Karsli am 15. Mai vom FDP-Kreisverband Recklinghausen aufgenommen worden. Die Auseinandersetzung verlagerte sich damit zunehmend auf Möllemann, da dieser sich nicht nur demonstrativ vor Karsli stellte, sondern seinerseits den stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, angriff. Am 22. Mai verzichtete Karsli in einem Brief an Möllemann auf seine Mitgliedschaft in der Partei. Die Kompromißlinie lautete nun, Karsli werde nicht Mitglied der Partei, dürfe aber in der NRW-Fraktion mitarbeiten. Doch auch diese Lösung hielt nur ein paar Tage. Am 5. Juni forderte Westerwelle Möllemann ultimativ auf, Karsli aus der Fraktion zu entfernen. Möllemann vollzog dies, indem er am 6. Juni vor dem Landtag das Ausscheiden Karslis verkündete.

Der "Fall Karsli" - eine Affäre, die bitteren Nachgeschmack hinterläßt. Die Kontrahenten sprachen nicht miteinander, der billige Vorwurf des Antisemitismus wurde allzu leichtfertig als Wahlkampfmunition gegen politische Konkurrenten eingesetzt - am Ende ein Lehrstück über demokratische Kultur und Nachhilfe im Einmaleins politischer Kampagnen.


 
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