© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/02 14. Juni 2002


Political Correctness
Die Habermaskeule trifft ins Leere
Andreas Wild

Bei der deutschen Gedankenpolizei in Politik und Medien wird zur Zeit eifrig umgerüstet. Denn die bisher üblichen Totschlagvokabeln, die sogenannten Keulen, mit denen man nichtlinke Meinungsgegner bequemerweise einfach niederstrecken konnte, ohne auch nur ein einziges Argument bemühen zu müssen, überzeugen das Publikum nicht mehr. Antifaschismuskeule, Antisemitismuskeule, Verfassungsschutzkeule: wer damit herumfuchtelt, gilt nicht mehr von vornherein als "Gutmensch", der automatisch recht hat.

Einige "Gutmenschen" haben darüber schon ein Wehgeschrei angestimmt. Es müsse doch noch "Tabus" geben, klagen sie. Aber auch diese Masche zieht nicht mehr. Immer mehr jüngere Diskursteilnehmer haben die Nase von den vielen Tabus gründlich voll, sie wollen endlich frei und vernünftig miteinander reden dürfen, ohne gleich kriminalisiert zu werden. Tabus seien würdelos und vormodern, argumentieren sie. Eine Fronde der Tabubrecher formiert sich und klopft vernehmbar an die Türen der offiziellen Medien und Infokanäle.

Jürgen Habermas, der Friedenspreisträger und notorische Diskursaufseher, hat die Gefahr, die dem Establishment da droht, erkannt. In einem (pikanterweise Marcel Reich-Ranicki gewidmeten) Aufsatz in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel "Tabuschranken" dreht er den Spieß um und beschuldigt seinerseits die Tabubrecher, vormodern und würdelos zu sein. Das, was in Deutschland in der Politik und in den Medien Diskursverbot auslöse, sei kein vormodernes Tabu, sondern ein Ausdruck höchster Modernität und Zivilisiertheit, ein "Zuwachs an liberaler Gesinnung".

Über Begriffe läßt sich trefflich streiten, wenn man von den Sachen ablenken will. Im Laufe seiner Definitionsattacke erledigt Habermas gleich noch einen anderen gängigen Begriff, der den Geistespolizisten lästig ist, den der political correctness. Auch von political correctness dürfe man nicht sprechen, dekretiert der Soziologieprofessor, denn es gäbe sie gar nicht. Wer sich über das angebliche Übermaß an political correct-ness beklage, der wolle kein freies Gespräch ermöglichen, sondern im Gegenteil voller Heimtücke einen "Reflexionsstopper" installieren.

Nicht der Mörder, sondern der Ermordete ist also wieder einmal schuldig, nicht der, der freie Rede unterdrückt, sondern der, der freie Rede begehrt. Eine neue Keule ist geboren, die Habermaskeule. Ihr Schlag geht so: Nur wer "zivilisiert" spricht, wird zum Diskurs zugelassen, und was "zivilisiert" ist, bestimmen allein wir, die bereits "Zivilisierten".

Doch die Zeit für Sprachkeulen scheint sich wirklich dem Ende zuzuneigen. Schon ist Habermas in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vehement widersprochen worden, von Karl Heinz Bohrer, dem Herausgeber der Berliner Kulturzeitschrift Merkur. Sein Aufsatz kommt freilich etwas allzu akademisch daher, aber was soll's? Weitere Stimmen, auch aus der Politik, werden folgen.


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