© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   25/02 14. Juni 2002


Die verspielte Zukunft
Das Debakel der Riester-Rente ist Symptom einer verfehlten Sozialpolitik
Bernd-Thomas Ramb

Während die SPD ihren vormals als Paradepferd ins politische Rennen geschickten Arbeitsminister vier Monate vor der Wahl am liebsten in der Versenkung verschwinden lassen würde, gerät Walter Riester immer stärker in das Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik. Vor Jahresanfang mit seinem Rentenreformmodell, der Riester-Rente, noch als Retter der staatlichen Altersvorsorge stürmisch gefeiert, verschärfen sich die Klagerufe ob des größten "Flops" der Regierung Schröder. Zu unübersichtlich, zu bürokratisch und vor allem zu ineffizient lautet das nahezu einhellige Urteil der Fachleute ein halbes Jahr nach der Einrichtung des staatlich subventionierten Ansparmodells für ein zusätzliches Alterseinkommen.

Der markige Spruch des ehemaligen CDU-Arbeitsministers Norbert Blüm: "Die Rente ist sicher" hatte zumindest den Charme der treuherzigen Notlüge. Daß sich der Inhalt dieser Behauptung allein auf die Tatsache beschränken konnte, irgendeine staatliche Rente würde immer ausgezahlt werden, tat der Popularität Blüms kaum Abbruch. Schon damals aber war fraglich, ab welchem Lebensalter und in welcher Höhe die Rente künftig fließen wird - und ob sie tatsächlich zum Leben auf akzeptablem Niveau reicht. Fakt ist nun einmal, daß die Menschen immer älter werden und das Alter und das Altwerden immer teurer. Selbst eigenfinanziertes Rentnerdasein der Besserverdienenden wird auf dieser Basis immer schwieriger finanzierbar.

Auf keinen Fall aber läßt sich das schon seit Jahrzehnten ins Schlingern geratene staatliche Rentensystem in der bestehenden Form länger erhalten. Denn die in Deutschland bevorzugte Form einer umlagenfinanzierten Altersversorgung führt zu einer zusätzlichen Verschärfung der Altersproblematik. Bei schrumpfender Bevölkerung nimmt die Anzahl der Beitragszahler stetig ab, während die Zahl der Rentner aufgrund der verlängerten Lebenszeit dagegen steigt. In den Jahren 1998 bis 2000 stiegt die Anzahl der Rentner von 22 Millionen auf 23 Millionen, während die Anzahl der Versicherten konstant bei 43,7 Millionen blieb. Die sich erst noch auswirkenden, geburtenschwachen Jahrgänge lassen in Zukunft ein Verhältnis von einem Rentner auf einen Beitragszahler erwarten.

Lösungen wurden von allen Regierungsverantwortlichen in der Vergangenheit stets auf die lange Bank geschoben oder aber durch halbherzige Reformansätze nur vorgegaukelt. Keiner wollte es sich durch harte Reformschnitte mit den Wählern verscherzen. Auch das rentenreformerische Spektakulum der grün-roten Regierung zielt in diese Richtung. Dabei ist der Ansatz der Riester-Rente im Prinzip durchaus geeignet, einen Fluchtweg aus der Generationenfalle zu öffnen. Im Kern besteht sie aus einer Ergänzung der staatlichen Rentenversicherungspflicht mit umlagefinanzierter Rente durch ein künftiges Zusatzeinkommen aus freiwillig angespartem Kapital. Die Sparbeträge werden staatlich bezuschußt, müssen aber über einen langen Zeitraum eingezahlt werden. Angespart werden darf jedoch nicht in ein beliebig gewähltes Finanzangebot. Dazu bedarf es einer Zertifizierung zum anerkannten Riester-Renten-Finanz-Produkt. Etwa 3.500 Anlageformen haben diesen Status erreicht, doch die große Zahl täuscht. Zu 90 Prozent steckt dahinter nichts anderes als ein simples Sparprogramm der Banken mit einer kaum höheren Verzinsung als bei einem Sparbuch. Versicherungslösungen bestehen 230 und Sparmodelle mit Wertpapierfonds nur 30. Außerdem existieren noch einige betriebliche Alterssparmodelle mit Riester-Zertifikat, sieben als Pensionsfonds und drei als Pensionskasse. Gleichwohl verwirrt den potentiellen Riester-Rentner zunächst die fast unüberschaubare Fülle des Rentenangebots.

Zweiter Knackpunkt ist der Kreis der Anspruchsberechtigten. Nicht jeder darf Riester-Rentner werden. Anspruch auf staatliche Förderung haben alle Personen, die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung leisten. Nach Schätzungen der Marktforscher kommt damit für 41 Prozent der 14- bis 49jährigen die Riester-Rente nicht in Frage. Von den auf 30 Millionen geschätzten Riester-Kandidaten haben bislang nur etwa zwei Millionen von dem Angebot des Arbeitsministers Gebrauch gemacht. Fast 95 Prozent der Zielgruppe zögert noch. Wie viele sich bis Ende dieses Jahres - dann läuft die Frist ab - noch entscheiden, ist mehr als fraglich. Denn von den wenigen bereits abgeschlossenen Verträgen wurde fast ein Viertel bereits wieder gekündigt. Die Riester-Rente gerät dadurch in den Ruch von Haustürgeschäften, die schnell bereut werden.

Andererseits ist die Konjunkturlage desolat und gerade der Kreis, der von der Riester-Rente angesprochen wird, nicht in Sparlaune, weil jeder Cent des Einkommens benötigt wird. Auch Arbeitslose sind zwar berechtigt, einen Riester-Vertrag abzuschließen, aber wer kann sich das schon leisten. Pech hat die Riester-Rente zusätzlich, weil das Jahr ihrer Einführung mit der Euro-Bargeldeinführung und der damit verbundenen Verunsicherung der Verbraucher zusammenfällt.

Das größte Manko der Riester-Rente ist jedoch ihr Zwitterdasein. Sie will staatlich organisiert und doch frei wählbar sein, sie will eine gewisse Sicherheit der Rentenerträge gewährleisten und doch auf dem freien Markt der Finanzprodukte mitmischen. Da ist ein Scheitern vorprogrammiert. Wer aufgrund privater Sparleistungen Rückstellungen für das Alter bilden will, hat mehr Möglichkeiten als ein Sparbuch mit Spareckzins, selbst wenn die staatlichen Zuschüsse eingerechnet werden.

Wer sein angelegtes Kapital zwischenzeitlich umschichten oder für Extraanschaffungen belasten will, dem bieten sich auf dem freien Kapitalmarkt bessere Produkte als die Riester-Anlagen. Selbst bei den Möglichkeiten der Steuerersparnis bildet die Riester-Rente, deren Erträge nachträglich zu versteuern sind, gegenüber steuerfreien Spekulationsgewinnen und privaten Anlageerträgen, die nach sieben oder zwölf Jahren steuerfrei sind, nicht den Stein der Weisen.

Seiner eigentlichen volkspädagogischen Aufgabe wird die Riester-Rente somit kaum gerecht: das Bewußtsein im Volk zu schärfen, für die Zukunftsvorsorge Sparleistungen erbringen zu müssen. Die Sparleistung der Deutschen ist im letzten Jahr auf 6,5 Prozent des verfügbaren Einkommens abgesunken. Dagegen hat die Verschuldung der privaten Haushalte zugenommen. In diesem Fällen ist die erste Altersvorsorge der Abbau der Verschuldung. Denn es macht keinen Sinn, Riester-Geld für 1,5 Prozent Zinsen anzusparen, wenn die Kredite das Zehnfache an Zinsen verschlingen.


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