© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/02 07. Juni 2002

 
Ohne Fischerei ist der Hafen tot
Globalisierung auf europäisch: Vom Verschwinden maritimer Kulturräume an Nord- und Ostsee
Rudolf Schmitt

Brüsseler Bürokraten verwüsten die historisch gewachsene Vielfalt europäischer Kulturräume effizienter als Holzkonzerne die Urwälder Amazoniens. Lange bevor es Mode wurde, über Globalisierung zu klagen, forcierten die Planungsexperten der einstigen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine Revolution der Lebens- und Arbeitsverhältnisse, wie sie der Niederländer Geert Mak unlängst in seinem Report über den "Untergang des Dorfes in Europa" ("Wie Gott verschwand aus Jorwerd", Berlin 1999) höchst anschaulich am Beispiel seiner westfriesischen Heimat schilderte. Daß die triste Monokultur der Marke "Jorwerd" inzwischen EU-Standard ist, werden demnächst die als nicht "lebensfähig" deklarierten und quasi schon abgewickelten Segmente der zur "Gemeinschaft" zählenden osteuropäischen Volkswirtschaften, also etwa Landwirtschaft, Fischerei und Kleinhandel, schmerzlich zu spüren bekommen. Dagegen dürfte sich dann die laufende Liquidierung der letzten Erinnerungen an die Agrargesellschaft im EU-"Altreich" nur noch wie Trümmerbeseitigung ausnehmen.

Anders kann man nämlich kaum nennen, was seit Jahren an den deutschen Hafenorten der Nord- und Ostsee zu beobachten ist. Dort verschwindet der Berufsstand der Küsten- und Seefischer - sehr zur Freude der politisch dafür Verantwortlichen. Höhnisch hatte Renate Künast, grün-alternative Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, im März auf einem niedersächsischen Landesfischereitag auf die Existenzsorgen derjenigen geantwortet, deren Interessen sie eigentlich zu vertreten hat: Die Fischer könnten doch künftig Geld mit der Vermietung ihrer Kutter als Hausboote verdienen. Ein charakteristischer Vorschlag für die Exponentin der Spaßgesellschaft, die sich die Waterkant nur als Freizeitpark vorzustellen vermag. Künast und ihre Amtsvorgänger jedweder parteipolitischen Couleur hatten sich freilich stets als Brüsseler Vollstreckungsgehilfen hergegeben, wenn es darum ging, die deutsche Fischereiflotte auf dem Altar "höherer" EU-Interessen zu opfern.

Neu ist lediglich, daß nun das Endstadium erreicht ist. Die deutsche Flotte besteht nur noch aus 130 Kuttern, die in Nord- und Ostsee der Schleppnetzfischerei nachgehen, sowie aus knapp 300 Krabbenkuttern, allesamt handwerklich strukturierte Kleinbetriebe. An die etwa 4.000 Arbeitsplätze, die direkt oder indirekt in diesem Wirtschaftszweig noch bestehen, werden in zehn Jahren vielleicht nur die mit alten Netzen drapierten volkskundlichen Nischen in den Landesmuseen Schleswig-Holsteins oder Mecklenburgs erinnern.

Hier scheint die von Brüssel und Berlin einvernehmlich betriebene Politik wieder einmal auf "Unumkehrbares" hinauszulaufen. Propagiert die EU-Kommission doch zur Zeit, daß, nach den Gewaltkuren der letzten zwanzig Jahre, die Fischereibetriebe in den Mitgliedsstaaten insgesamt nochmals um vierzig Prozent schrumpfen müssen. Damit glaubt die EU-Kommission die ökologisch geforderte Notbremse ziehen zu müssen, da die Fischereiforschung im Nordatlantik sowie in Nord- und Ostsee rückläufige Bestände registrierte.

Der Deutsche Fischerei-Verband führt diese akute Verschlechterung jedoch weniger auf Umweltschäden zurück als auf die rücksichtslose Ausbeutung durch jene EU-Mitgliedsstaaten, die Prinzipien der Bestandserhaltung notorisch mißachten. Offenbar haben allein die Deutschen die ökologisch orientierten Brüsseler Dekrete buchstabengetreu exekutiert und ihre Fangflotte verkleinert, die Einhaltung der Fangquoten streng kontrolliert und die fischereibiologische Begleitforschung an der Bestandsschonung ausgerichtet, während die lieben Nachbarn weiter Raubbau zur See betreiben. Allen voran Spanien, dessen Ministerpräsident vor einigen Wochen die Brüsseler Reformpläne torpedierte, um die Interessen seiner Fischer zu verteidigen, die vor den Briten und Niederländern über die größte Flotte verfügen. Für die Deutschen ist das keine gute Nachricht. Denn einerseits zementiert der Status quo ihre Wettbewerbsnachteile, andererseits dürfte der übliche "Kompromiß", den Spanien mit dem zuständigen EU-Kommissar Franz Fischler aushandelt wird, wieder einmal primär zu Lasten deutscher Fischer gehen. Eine Verschlechterung des bestehenden Systems würde aber endgültig die Weichen in Richtung von Künasts "Hausboot"-Lösung stellen. Schon heute, so der Deutsche Fischerei-Verband in einer Anhörung des Bundestagsausschusses für Verbraucherschutz (Das Fischerblatt, 4/02), verhindert die EU-Flottenpolitik gerade in der deutschen Küstenfischerei die Ausbildung des Nachwuchses. Denn Schiffsneubauten seien nur zulässig, wenn entsprechende Alttonnage herausgenommen werde. Der Einstieg eines Jungfischers, der nicht das Fahrzeug seines Vaters übernehme und als Äquivalent für einen Neubau abwracke, sei damit "praktisch unmöglich" geworden. Zudem müssen auch Nachwuchskräfte, die einen Familienbetrieb erben, für Neubauten Alttonnage zukaufen, da moderne Kutter größer sein müßten als ihre Vorgänger, von denen die meisten vor vierzig Jahren vom Stapel liefen. Also seien Neubauten nur von Kapitalgesellschaften zu finanzieren und die "traditionelle Familienstruktur an der Küste" gehe verloren.

Die Modernisierung der deutschen Flotte sei dank des Brüsseler Systems so nachhaltig verhindert worden, daß die verbliebenen überalterten Kutter nicht einmal in der Lage seien, die zugeteilten Fangquoten abzufischen. Auch auf diesem Wege würden die Bestände von deutschen Fischern geschont - in der Nordsee zur Freude der britischen und niederländischenKollegen. Dem Sprecher des Verbandes der deutschen Kutter- und Küstenfischer blieb es vorbehalten, während der Anhörung die kulturelle Dimension dieser ökonomischen Debatte über Fangquoten und Flottenkapazitäten wenigstens anzudeuten. Mit der Fischerei werde die maritime Identität der Küstenregionen an Nord- und Ostsee verschwinden. Den Hafenorten zwischen Husum und Greetsiel will dieser Verbandsvertreter offenbar das "Jorwerd"-Schicksal sozialer Verödung und lebensweltlicher Uniformierung in letzter Minute ersparen, wenn er an die Parlamentarier appelliert: "Ich hoffe, daß Sie auf unsere Regierung einwirken können, daß Deutschland keine Verminderung, sondern eine Erneuerung und Vergrößerung seiner Flotte dringend braucht. Hierbei muß man auch an die kleinen Häfen denken, in denen der größte Teil der deutschen Kutter- und Küstenfischerei beheimatet ist. Ich komme aus dem kleinen Sielhafen Neuharlingersiel in Ostfriesland. Hier hängen nicht nur die Fischerfamilien an dem Betrieb, sondern auch Abnehmer- und Zulieferbetriebe und auch der Fremdenverkehr. Denn die Touristen wollen nicht nur am Strand liegen, sondern auch einen lebendigen Hafen sehen. Ohne Fischerei ist der Hafen tot!". 


 
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