© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/02 07. Juni 2002

 
Weltzerfall und Menschwerdung
Paul Wall hat einen Sammelband über die Philosophie Leopold Zieglers herausgegeben
Martin Schwarz

Das Werk Leopold Zieglers erfährt zur Zeit, wenn schon vielleicht keine Konjunktur, so doch eine kleine verlegerische Wiederentdeckung. Neu herausgegeben wurden in jüngster Zeit "Überlieferung", "Zwischen Mensch und Wirtschaft", "Der europäische Geist" und "Die neue Wissenschaft" sowie ein Briefband. Weitere Bände sind in Vorbereitung. Leopold Ziegler lebte von 1881 bis 1958 und hinterließ zahlreiche und sehr umfangreiche Werke, neben den bereits erwähnten - neuaufgelegten - sind dies unter anderem noch: "Gestaltwandel der Götter", "Das Heilige Reich der Deutschen", "Menschwerdung", "Das Lehrgespräch vom Allgemeinen Menschen".

Ein Sammelband mit größtenteils bereits veröffentlichten Beiträgen von Kennern und Liebhabern des Werkes des großen unbekannten deutschen Philosophen ergänzt nun diese Mini-Renaissance und gibt Lesehilfen. Der Text "Leopold Ziegler und die Tradition" von Walter Heinrich (1902-1984) versucht zu zeigen, "daß aus allen Teilen des Zieglerschen Werkes (...) der Begriff der Tradition immer heller und immer von neuem erstrahlt und sich von Etappe zu Etappe dieses Werkes vertieft". In sehr knapper Form legt Heinrich sozusagen Lichtschneisen auf das umfangreiche und in seinen Verästelungen nicht leicht zu über- und durchblickende Werk Zieglers, die auf jene Aspekte hinweisen, die in der Tradition wurzeln und von Ziegler aktualisiert wurden. Dabei betrachtet er drei Themenfelder: Wirtschaft, Staats- und Geschichtslehre, metaphysisch-religiöse Lehre. Die von Heinrich aufgewiesenen Errungenschaften des Zieglerschen Werkes seien hier in seinen Worten aufgezählt. Im Themenfeld Wirtschaft die Entdeckung des Gegensatzes von "adamitischer" (paradisischer) und "kainitischer" (Im Sinne des "Im Schweiße deines Angesichtes") Wirtschaft; die Darlegung der modernen Wirtschaft als eines Phänomens der Frustration; die Forderung nach einem Standesrecht des Arbeiters. Im Bereich Staats- und Geschichtslehre: Institutionen als bildnerische Mächte; Zieglers Lehre vom Reich; die Entlarvung des Kommunismus als einer verkappten Religion. Das Thema der metaphysisch-religiösen Lehren: Der Erweis der Fruchtbarkeit der "traditionellen Methode" durch Zieglers Werk; Die Wiederaufnahme der Lehre von der integralen Tradition durch Leopold Ziegler; Die Lehre vom Ewigen Menschen.

Es ist naheliegend, diesem Beitrag Heinrichs, der in seinem Buch "Über die traditionelle Methode" bewiesen hatte, daß er es meisterhaft versteht das schwierige Feld der Tradition prägnant und dennoch unverkürzt zu beackern, einen Blick auf das Verhältnis von Ziegler zu seinem Lehrer in metaphysischer Hinsicht, René Guénon (JF 47/01), folgen zu lassen. Leider ist dieser Beitrag an das Ende des Bandes gerückt, er erscheint in unmittelbarer Nähe zu Heinrich zielführender. Matthias Korger hat 1994 eine "Kurze Skizze des traditionalisme intégral und Hinweis auf seine wachsende Aktualität" veröffentlicht und gibt hier in diesem Sammelband eine Schnelleinführung in das Werk Guénons, das dasjenige Zieglers wohl an Schwierigkeit noch übertrifft. Wertvoll sind auch seine Hinweise auf den Briefwechsel Guénon-Ziegler. Am Schluß deutet sich an, worin die große Differenz Zieglers zu Guénon liegt. Im Gegensatz zu letzterem hat Ziegler seine Verhaftetheit in der modernen Denkwelt des "Deutschen Idealismus" niemals ganz abgeschlossen und wurde daher nicht zu einem Denker der Tradition sui generis, sondern blieb ein Vermittler der Tradition.

In den größeren und weniger spezifischen Bereich der "Philosophia perennis" wird Ziegler durch Sophie Latour gerückt. Sie hält sich an eine von Antoine Faivre aufgestellte Definition der Theosophie durch fünf Komponenten, deren Vorhandensein bei Ziegler aufgewiesen werden: Entsprechungslehre, Übereinstimmungslehre, Einbildungskraft und Mittlertum, Lebendigkeit der Natur, Transmutationserlebnis. Auch auf Zieglers Quellen (Jakob Böhme, Paracelsus, usw.) weist sie hin.

Ernst Benz (1907-1978), der bedeutende Religionswissenschafter, der selbst zahlreiche Studien zur "Philosophia Perennis" verfaßt hatte, verfolgt diese Spuren weiter, unter dem Leitbild der "Menschwerdung", dem zentralen Gedanken des Spätwerks Zieglers. Die Menschwerdung ist eine dynamische Fassung des Verhältnisses zum "Ewigen Menschen", den alle Traditionen kennen. "Der Ewige Mensch (ist) gleichzeitig die Erstabsicht und die Endabsicht der Menschheitsgeschichte." Diese eschatologische Perspektive ist Zieglers spezifisch christlicher Auffassung geschuldet, die ihn von anderen Vertretern der traditionellen Methode unterscheiden mag. Wie Benz zeigt, ist die Menschwerdung für Ziegler aber auch der korrespondierende Vorgang zum - im Titel des Bandes ebenfalls genannten - "Weltzerfall", zum Verlust des Kosmos durch die fortschreitende Entzauberung der Welt. Benz erwähnt auch das wichtige Faktum, daß gerade der nachhegelianische Existenzialist Sören Kierkegaard Ziegler auf den zentralen Gedanken der Menschwerdung stieß, den er - wie Benz treffend anmerkt - "erstaunlicherweise" in einen Rang mit den großen Jakob Boehme und Franz von Baader erhebt. Diese zusätzliche protestantische Wurzel ist ein weiterer Hinweis auf die Modernität Zieglers und die erste re-aktive Entdeckung der Tradition.

Einen sehr traditionellen Gedanken Zieglers lotet Friedrich Romig in seiner Tiefe aus: die zentrale These des Zusammenhangs von Herrschaft und Opfer. Manfred Bosch hatte in seinem Vortrag "Zur insgeheimen Aktualität Leopold Zieglers" geschrieben, dieser sei "eher Vor- denn Antidemokrat". In Romigs Aufsatz findet sich die Auflösung. Echte Herrschaft beruht im wesentlichen auf Opfer. Wo dies geleugnet wird, wie in der modernen Massendemokratie, gibt es auch keine "Herrschaft" mehr, sondern das Überwuchern von Interessen im "schwelgerischen Staat".

Mit den Folgen der "psychischen Entropie" - nämlich dem Wärmetod der Gesellschaft - befaßt sich Franz Vonessen in einem der stärker polemischen Beiträge dieses Bandes, der die "Kritik an der modernen Welt", die auch andere Beiträge als wichtigen Bestandteil des Zieglerschen Werkes feststellen, konkretisiert. Die Entwertung der psychischen Seelenkräfte im denkbar größten Maßstab kennzeichnet die pluralistische, moderne Demokratie: "Was früher nur einzelne, still für sich und im kleinen, individuellen Rahmen versucht haben, nämlich sich selber mit ihrem Verstand über den Wert oder Unwert der Ziele, die sie im Auge hatten, so gut wie möglich zu täuschen, das geschieht heute im Großen, quasi als Industrie. (...) Im Zeitalter des Pluralismus wird einer Menschheit, die ihre Orientierung völlig verloren hat, das Unsägliche als fortschrittlich, unbedenklich und richtig, weil modern, aufgeschwatzt."

Damit hätten wir den Bogen von der Tradition zur modernen Gesellschaft geschlagen, dabei haben wir allerdings weitere, wichtige Beiträge unberücksichtigt gelassen. Matthias Vereno über die "Ahnung des Weiblichen im Werk Leopold Zieglers", Renate Vonessen über "Drache und Lamm - Mythos und geschichtliches Bild bei Leopold Ziegler" und J. Hanns Pichlers an Ziegler orientierte Deutung des "Vater unser".

Leopold Ziegler: Weltzerfall und Menschwerdung. Herausgegeben von Paul Wall. Königshausen & Neumann, Würzburg 2001, 195 Seiten, 25 Euro


 
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