© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/02 07. Juni 2002

 
Gott und Teufelswerke
Semperoper: Pendereckis "Die Teufel von Loudun"
Konrad Pfinke

Ein Mann wird gefoltert. Mit den Teufeln soll er im Bunde sein, also werden ihm, streng nach Vorschrift, zunächst die Fingernägel ausgerissen. Dann zertrümmern die Folterer seine Beine. Der Mann schreit, er könnte das Verfahren abkürzen, wenn er ein Geständnis abgeben würde, aber er weigert sich bis zuletzt, während die hysterische Nonne Jeanne, deren Aussagen ihn der Justiz auslieferten, sich in seelischen Schmerzen windet, die sich zur bangen Frage formen: "Ist Gott hier?"

Als Krzysztof Penderecki seine Oper "Die Teufel von Loudun" im Jahre 1969 zur Uraufführung brachte, konnte man nicht hoffen, daß die Frage in nächster Zeit zufriedenstellend beantwortet wird. Harry Kupfer, der nach sechs Jahren mit der Inszenierung von Pendereckis musikdramatischem Hauptwerk an die Semperoper zurückkehrt, macht sie zum Zentrum einer Untersuchung, die den Zuschauer vom ersten bis zum letzten Moment in Spannung hält, obwohl der Ausgang von Beginn an klar ist: Der Pfarrer Urban Grandier, dessen Sinnlichkeit in einer Atmosphäre der bedrückenden Enge und rigiden Sexualmoral ein Politikum sein muß, wird am Ende zum Mordopfer einer Justiz werden, die im Klima der Massenhysterie prächtig gedeihen kann, da der Glaube an Dämonen stärker ist als die Einsicht, daß die Hölle aus uns selbst kommt.

Hans Schavernoch hat dem Regisseur denn auch in bewährter Manier ein fast überdeutliches Symbol auf die typisch dunkle Bühne gestellt: in der Faust der Gewalt wurde das zerbrochene Kreuz, an dem die bucklige Jeanne verzweifelt emporklettert, zur teuflischen Stichwaffe gegen alle Grandiers und Jeannes dieser Welt. Mag sonst auch das Prinzip der Zeitlosigkeit, wie es hier in den Kostümzitaten zwischen 1634 und 2002 realisiert wird, zu den fragwürdigsten Stilmitteln der modernen Opernregie gehören, so hat's in diesem Fall, zwischen Bäffchen und Schlagstock, Staat und Kirche, nackten Nonnen und surrealistisch kolorierten Komparsen, seine Richtigkeit.

"Die Teufel von Loudun" haben, nicht allein musikalisch, nichts von ihrer Frische eingebüßt - was auch der Dramaturgie der Simultanszenen und schnellen Bildwechsel zu verdanken ist, die Harry Kupfer mit Hilfe der exzessiv eingesetzten Hubpodien und Versenkungen souverän bewältigt.

Mit Evelyn Herlitzius und Hans-Joachim Ketelsen besitzt die Neuproduktion allerdings auch zwei herausragende Sängerdarsteller, die die Qualen der Protagonisten in gleichsam realistischer Weise über die Rampe bringen. Die Herlitzius bewältigt als Jeanne die vokale und gestische Gipfelbesteigung mit kochender Energie und Bravour, und Ketelsen zeigt uns sowohl den eleganten, leicht zynischen Lebemann wie den unerschütterlichen Märtyrer Grandier, der die "Christen", die ihn schamlos hinrichten, nur beschämen kann.

Günter von Kannen wirft sich, nicht immer textverständlich, mit Verve in die Rolle des geilen Exorzisten. Diana Tomsche erklimmt als Philippe mit ihrem Sopran die heikelsten Höhen, und mit Peter Svenssons Laubardemont steht ein gefährlicher Gockel auf der Bühne, der die Schärfe eines Rasiermessers besitzt.

Zur Tragödie gehören, das weiß man spätestens seit Shakespeare, auch die Clowns: Günter Neumann und Andreas Scheibner geben das Pärchen von Apotheker und Chirurg, also die gehässigen Kleinbürger, die bis heute das Spiel der Mächtigen beifällig kommentieren.

Der exzellente Chor der Sächsischen Staatsoper darf, nach Peter Ruzickas "Celan", unter Matthias Brauer wieder einmal zeigen, daß er auch in der Moderne zu Hause ist - so wie das Orchester, dem Vladimir Jurowski die rechten Impulse gibt, um aus der meisterhaften Partitur ein faszinierendes, hochnuanciertes Klangkunstwerk zu schaffen, das immer dem Theater und also,vertraut man dem Regisseur Harry Kupfer, der höheren Wahrhaftigkeit dient. Der Beifall des Publikums war lang und heftig, also wohlverdient.


 
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