© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/02 07. Juni 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Gute Verlierer
Karl Heinzen

Die Begeisterung der Menschen für die Politik der Bundesregierung ist auf dem Wahlparteitag der Sozialdemokraten verstanden worden. Man spürt, daß man allmählich einen Termin für die allfällige Aktenvernichtung im Kanzleramt ins Auge fassen muß. Vor allem aber gilt es, der Öffentlichkeit frühzeitig zu verstehen zu geben, daß man ein guter Verlierer sein wird. Auch hierin war Helmut Kohl stilbildend. Hätten die Wähler ahnen können, daß er nach seiner Niederlage gar nicht zerknirscht, sondern bestens gelaunt sein würde, wäre das Votum für seinen Herausforderer möglicherweise nicht so überzeugend ausgefallen. Man wollte ihn auch als Menschen endlich am Boden sehen, doch hat er dies nicht mit sich machen lassen. Die SPD sollte daraus lernen und den Haßwählern glaubwürdig die Hoffnung nehmen, jemals einen fassungslosen Gerhard Schröder am Bildschirm erleben zu dürfen. Das ist vielleicht schon der letzte Strohhalm für rot-grün.

Die Chance, das Blatt zu wenden, bleibt trotzdem gering. Welches Wunder soll die Sommerpause noch bringen? Daß die Wähler die Wahrheit über die Unionsparteien begreifen? Diese ist doch allen längst bekannt! Daß Zweifel an der Integrität Edmund Stoibers aufkommen? Es gibt doch kaum jemanden, der ihm nicht zutraut, das Zeug zu einem deutschen Jacques Chirac zu haben! Daß die Menschen lernen, Wahlentscheidungen auf der Grundlage passabler Argumente zu treffen? So etwas hofft nur, wer den Glauben an sich selbst verloren hat.

Die demokratischen Spielregeln sind schön, leider aber auch inflexibel: Auf der Verliererstraße gibt es keine Abkürzung. Was der 22.September bringen wird, ist erst danach relevant. Vorher wird jenen, die an diesem Tag zur Abwahl anstehen, in erster Linie Haltung abverlangt. Gerhard Schröder hat sie auf dem Berliner Parteitag gezeigt. Seine Autorität bleibt kurz vor Ende des rot-grünen Zukunftsprojekts daher weiterhin ungebrochen. Die Sozialdemokratie findet über die Erwartung der Niederlage zu ihrem Ethos zurück. Jeder muß kämpfen, Tag für Tag, an seinem Platz, auch wenn alle zu Recht sagen, es hat keinen Sinn,

Und dennoch: In die Vorfreude der Bürger auf einen neuerlichen, wenn auch nicht so stimmungsvollen Epochenwandel schleicht sich Wehmut ein: Der rot-grünen Regierung ist es zwar gelungen, sehr viele wichtige Positionen in unserem Gemeinwesen mit zuverlässigen Menschen zu besetzen. Dennoch waren vier Jahre einfach zu kurz, um ein System Schröder wirklich etablieren zu können. Häufige Regierungswechsel belasten zudem die Staatskasse, da nicht nur das alte Personal sozialverträglich zu verabschieden ist, sondern das neue einige der Wahlversprechen, mit denen es sich von der Konkurrenz abhob, einlösen muß. Das besondere Mitgefühl gilt aber Gerhard Schröder. Manches, was der Kanzler schnell erledigen wollte, hat sich als eine Langzeitaufgabe herausgestellt. Nun will man es ihm verwehren, sich hier weiter zu beweisen. Das ist schade.


 
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