© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/02 07. Juni 2002

 
PRO&CONTRA
Sonderstatus für Königsberg?
Andreas Polkowski / Michail A. Grabar

Das Problem liegt darin, daß nach dem EU-Beitritt
Polens und der baltischen Staaten dieses Gebiet praktisch von Rußland abgetrennt würde. Das kann man nicht zulassen. Dieses Gebiet muß lebensfähig bleiben. Rußland selbst hat sich in der Vergangenheit darum bemüht, diese Region - die als vormals stark militarisiert bekannt ist - für wirtschaftliche Zwecke mit Hilfe ausländischen Kapitals stärker aufzurüsten. Man hat der Region einen Sonderstatus gegeben, eine Sonderwirtschaftszone geschaffen. Das hat aber nicht funktioniert, weil die Reformen in Rußland insgesamt ins Stocken gerieten.

Im Hinblick auf den nahen EU-Beitritt muß diese Frage neu geregelt werden. Da ist die Europäische Union natürlich daran interessiert, daß Rußland nicht ausgesondert bleibt, sondern in die europäische Zusammenarbeit einbezogen wird. Einen guten Ansatz dafür bietet die Zusammenarbeit in der Ostsee-Region. Mitte der neunziger Jahre wurde die Ostsee zum Binnensee der Europäischen Union erklärt. Zu der Ostseeregion gehören EU-Mitglieder, EU-Kandidaten, Norwegen und eben Rußland. Norwegen ist bereits sehr stark in die Zusammenarbeit eingebunden, das gleiche sollte nun mit Rußland angegangen werden. Kaliningrad sollte stärker in diese Zusammenarbeit eingebunden sein. Dies gilt auch für andere russische Regionen an der Ostsee, wie St. Petersburg und die Leningrader Region.

Rußland ist nun dabei, neue föderale Strukturen zu schaffen. Ein Konzept dafür soll von einer Expertenkommission, die schon seit einem Jahr an einem solchen Programm arbeitet, im Juli diesen Jahres vorgelegt werden. Kaliningrad ist ein Teil Rußlands. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Rußland ohne weiteres auf dieses Staatsgebiet verzichten würde. Man kann sich diese Region als eine Sonderregion Rußlands vorstellen, mit starkem Engagement der EU, mit weitestehenden ökonomischen Freiheiten und Garantien.

 

Dr. Andreas Polkowski ist Sprecher der Abteilung "Europäische Integration" des Hamburger Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA).

 

 

Die EU-Erweiterung ist ein rechtmäßiger Prozeß und diesbezüglich gibt es keine Einwände seitens Rußlands. Wir sind allerdings der Meinung, man sollte diesen Prozeß zivilisiert und unter Berücksichtigung der Interessen aller europäischen Staaten vorantreiben. Sonst führt die EU-Erweiterung zu neuen Trennlinien in Europa, da sie für die einen Staaten und Völker das Wohlergehen bringen und für die anderen eine Quelle der Schwierigkeiten darstellen würde.

Bedauerlicherweise muß man feststellen, daß die russischen Vorschläge zurückgewiesen werden. Mehr noch, es werden gleichzeitig Ängste ausgestreut, die russischen Bürger würden angeblich gleich "nach Europa stürzen", ein freier Transitverkehr durch Litauen und Polen soll dabei die Schengenregelung negativ beeinflussen, wenn die bestehenden Einreiseregeln unantastbar bleiben. Die Situation um Kaliningrad ähnelt eher einer künstlichen Isolation des Gebietes. In der europäischen Geschichte gab es bereits Präzedenzfälle, wobei Blockaden von einzelnen Regionen verhängt wurden. In der Regel fand man aber Verfahren, um die künstlich errichteten Barrieren zu überwinden. Soll man auch Anfang des 21. Jahrhunderts, in dem Vereinigungstendenzen auf dem Kontinent vorherrschen, an den Bau eines "Lebensweges" für Kaliningrad denken? Man darf nicht zulassen, daß ein neuer "Visumsvorhang" anstatt des Eisernen aus den Zeiten des "Kalten Krieges" kommt.

Rußland setzt sich dafür ein, Kompromißbeschlüsse, die für alle beteiligten Seiten annehmbar sind, noch vor der EU-Erweiterung zu fassen. Es wird mitunter über eine Internationalisierung des Kaliningrader Gebietes oder gar über dessen Sonderstatus geredet. Solche Quasi-Ideen sind allerdings für Rußland keineswegs akzeptabel, da sie im krassen Widerspruch mit dem völkerrechtlich anerkannten Prinzip der Souveränität Rußlands über sein ganzes Territorium stehen.

 

Michail A. Grabar ist Leiter der Abteilung für Kultur, Presse und Information an der russischen Botschaft in Berlin.


 
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