© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/02 07. Juni 2002

 
Schülerumsiedlung
Einwandererkinder sollen auf verschiedene Schulen zwangsverteilt werden
Ellen Kositza

Daß die haarsträubenden Ergebnisse der im vergangenen Winter veröffentlichten PISA-Studie von Politikern und anderen Verantwortlichen verdaut und unter den Tisch fallen gelassen wurden, kann man nicht behaupten. Die Misere des "Bildungslandes Deutschland" erweist sich ausnahmsweise nicht als Saisonthema, das einige Wochen für Großschlagzeilen sorgt, um dann in Alltagsgeräuschen unterzugehen. Im Gegenteil: Geschäftig wird sich um Ursachenforschung und Symptombehandlung bemüht, werden straffere Lehrpläne, offenere Lehrinhalte, längere obligate Gesamtschulzeiten, frühkindliche Fremdsprachenerziehung und jede Menge anderer, oft ideologisch motivierter Rezepte zur Hebung des Bildungsstandards und Leistungsniveaus deutscher Schüler anempfohlen.

Nun trat der niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) mit dem Ruf nach einer "Ausländerquote" an Grundschulen hervor. Ein Ausländeranteil von maximal 30 Prozent soll dadurch erreicht werden, daß Schulbusse eine allmorgendliche Umsiedlung von jungen Nichtdeutschen aus stark ausländerfrequentierten Stadtgebieten in entferntere Schulen mit überzählig deutscher Klientel bewerkstelligen sollen. Konkret gesprochen könnten etwa von einer Schule in den Berliner Multikulti-Vierteln Kreuzberg oder Neukölln mit häufig um 90 Prozent Ausländeranteil einige Dutzend der Fremdsprachler abgezogen und in den bürgerlichen Vierteln wie Lichtenberg oder Zehlendorf eingeschult werden. Im Gegenzug wäre freilich ein täglicher Abtransport deutscher Muttersprachler aus ihren relativ ausländerfreien Schulen hin in die "Krisengebiete" nötig.

Gabriels Vorschlag stützt sich auf die am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung gewonnene Erkenntnis, daß vor allem die schlechten Deutschkenntnisse von Migrantenkindern das schlechte Abschneiden Deutschlands im europaweiten Bildungsvergleich zu verantworten hätten.

Gabriels abstruse Forderung, die man sicher als frühes "Sommerloch" ad acta legen wird, läßt einmal mehr an das Bild des unbeholfenen Tüftlers am Symptom denken, der den überkochenden Inhalt eifrig aus dem Topf schöpft, statt zunächst die Herdplatte abzuschalten.

Mit dem Nachsatz, wer eine solche Quotierung via "Schülerumsiedlung" nicht bedenke, handele "ausländerfeindlich", begibt sich Gabriel, selbst ehemaliger Lehrer und Vater einer Tochter im Schulalter, gleich auf die sichere Seite. Immerhin soll es trotz des bitteren Ausdrucks einer "Quote" vor allem um ein besseres Deutschlernen der Migrantenkinder gehen. So unterstützt auch die "Föderation Türkischer Elternverbände Deutschland" die Idee des schulischen "Wanderzirkus" (so eine Reaktion der Bündnisgrünen), wie von dieser Seite auch Forderungen nach türkischsprachigem Islamunterricht und Türkisch als versetzungsrelevantem Fremdsprachenfach geäußert werden.

Nun ist es zwar so, daß in Deutschland der Wohnort eines Kindes grundsätzlich einer bestimmten Lehreinrichtung zugeordnet ist. Das muß längst nicht immer der kürzeste Weg sein. In einem Frankfurter Vorort etwa, beliebte Wohnlage mit unter fünf Prozent Nichtdeutschen, weist die dortige Grund -und Hauptschule dennoch einen etwa hälftigen Ausländeranteil auf, weil dorthin, statt in die näheren Innenstadtlagen, die Zuständigkeit für die sozialschwachen Siedlungen beordert wurde. Eine Lehrerin, die 14 Nationen in ihrer Klasse unterrichtet, beklagte jüngst in der örtlichen Tageszeitung, daß verstümmelte Sätze wie "wir gehen heut Stadt" bereits Einzug auch in die Schriftsprache der wenigen deutschstämmigen Kinder gehalten hätten. Längst umgehen deutsche Eltern aus Angst vor Minderförderung ihres Nachwuchses die wohnortnahe Schulverpflichtung und schicken ihre Kinder nach entsprechenden Amtsanträgen auf die Grundschule im Nachbarort.

Den Kindern dient eine verordnete, von Sigmar Gabriel als "pragmatische und unideologische Lösung" gepriesene Umsortierung sicher nicht. Wie oft schon wurde das städtische Syndrom einer "Verinselung" der Kindheit beklagt, das Fehlen eines überschaubaren, identitätsbildenden "Territoriums" bemängelt. Motorisiert zurückgelegte Wege zu den Veranstaltungsorten der Heranwachsenden, zum Sport, zum Musikunterricht, sind längst die Regel, kindliches Umfeld wird weithin in Einzelplätzen statt im unmittelbaren Wohnumfeld erlebt. Mit einem Umverteilungsplan, wie er übrigens schon vor Jahrzehnten in den USA versucht und bald verworfen wurde, wird auch die Vorstellung einer besseren Integration obsolet, da Integration wie auch generell die kindliche Sozialisation ja statt direkt in einer unüberschaubaren "Gesellschaft" zunächst in einem eindeutig verortbaren Umfeld beginnen muß.

Gabriels Vorschlag strebt eine Egalisierung des Bildungselends an, statt die Misere mit den Mitteln zu lösen, die auf der Hand liegen: durch eine strikte Begrenzung der Zuwanderung gerade in bezug auf eingliederungsunwillige Migranten, und als dringende Erstmaßnahme durch verpflichtende Deutschkurse für Ausländerkinder, statt die finanzielle und organisatorische Ermöglichung von Islamunterricht zu diskutieren.


 
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