© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/02 31. Mai 2002


Im Widerstand gegen den Absolutismus
Friedrich August Ludwig von der Marwitz kämpfte für die alte ständische Verfassung
Martin Möller

Am 29. Mai vor 225 Jahren wurde in Berlin Friedrich August Ludwig von der Marwitz geboren (1777-1837), der bedeutendste neuere Vertreter des märkischen Militäradels und als Gegner Friedrich Wilhelms III. namhafter „preußischer Konservativer“. Die Familie Marwitz, seit dem 13. Jahrhundert in der Mark ansässig, hatte nach dem Dreißigjährigen Krieg das Gut Friedersdorf im Kreise Seelow erworben - eben jenes Gut, auf das sich der Onkel Friedrich Augusts, der bekannte Insubordinator Johann Friedrich Adolph von der Marwitz nach verweigerter Plünderung in Sachsen zurückgezogen hatte. Auf seinem Denkmal findet man die vielzitierten Worte: „Sah Friedrichs Heldenzeit und kämpfte mit ihm in allen Kriegen; wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte“.

Auf Gut Friedersdorf wuchs Marwitz auf und von hier aus trat er als Offizier des Gens d’armes Regimentes in den Dienst zunächst König Friedrich Wilhelms II. und nach dessen Tod König Friedrich Wilhelms III.. Marwitz nahm an vielen Schlachten der Koalitionskriege und der Befreiungskriege teil und zeichnete sich besonders in der Schlacht auf dem Hagelberg, dem Gipfel des Flämings, wenige Meilen südlich Berlins, in hervorragender Weise aus. Gemeinsam mit den Schlachten von Großbeeren und Dennewitz legte die Schlacht von Hagelberg die Grundlage für die Säuberung Mitteldeutschlands von den feindlichen französischen Truppen im Jahre 1813. Hier hatte Marwitz insofern die französische Strategie des „levée en masse“ erfolgreich kopiert, als er vier Bataillone der kurmärkischen Landwehr befehligte, Bataillone, die er selbst ausgebildet hatte, und die eine völlig unpreußisch formlose Truppe bildeten, die jedoch hervorragend zu kämpfen verstand. Durch Marwitz aus der Reserve herangeführt, brachten sie die schon verloren geglaubte Schlacht zum Stehen und gewährleisteten den preußischen Sieg. Unkonventionell wie das Wirken auf dem Schlachtfeld war der Auftritt der Märkischen Landwehr bei der Siegesparade in Berlin - die Pferde der berittenen Bauern gingen sämtlich durch und König Friedrich Wilhelm III. nutzte die Gelegenheit zu mildem Spott: „Ein Glück, daß die Mauer so fest stand!“.

Im Unterschied zu den Siegern von Wittenberg (von Tauentziehn), Nollendorf (von Kleist) und Dennewitz (von Bülow) wurde der 1817 zum General avancierte Marwitz jedoch nicht mit einer Prachtstraße in Berlin geehrt. Grund dafür war seine unversöhnliche Opposition gegen den innenpolitischen Kurs des Königs. Diese Opposition war auf das tiefverwurzelte landständische Bewußtsein des märkischen Edelmanns gegründet, eines Standesbewußtseins, daß die Hohenzollernherrscher seit dem Großen Kurfürsten höchst erfolgreich zu brechen verstanden hatten. In Marwitz lebte es fort und äußerte sich in hartnäckiger Ablehnung der Reformen, die mit den Namen Stein und Hardenberg bis heute verbunden sind: „Bei den Reformen handelt es sich um einen Krieg der Besitzlosen gegen das Eigentum, der Industrie gegen den Ackerbau, des Beweglichen gegen das Stabile, des krassen Materialismus gegen die von Gott eingeführte Ordnung, des eingebildeten Nutzens gegen das Recht, des Augenblicks gegen die Vergangenheit und Zukunft, des Individuums gegen die Familie, der Spekulanten und Comtoire gegen die Felder und Gewerbe, der Burreaus gegen aus der Geschichte des Landes hervorgegangene Verhältnisse, des Wissens und eingebildeten Talents gegen Tugend und ehrenwerten Charakter“, so Marwitz in hellsichtiger Vorahnung der Welt, die aus diesen Reformen erwachsen sollte.

Doch hatten die Vorfahren Friedrich Wilhelms III. schon ganze Arbeit geleistet. Bereits im Jahre 1653 hatte der märkische Adel im Landtagsrezeß sein Einspruchsrecht bei außenpolitischen Angelegenheiten aufgeben müssen. Zwar hatte der Große Kurfürst erhebliche Konzessionen gewährt: Privileg auf Rittergüter, Dominanz im Gutsbezirk und ständische Obrigkeitsposition gegenüber den Bauern, doch führte die großkurfürstliche Politik der konsequenten Entrechtung der Landstände unmittelbar in den königlichen Absolutismus seines Urenkels Friedrichs II. hinein. Hier durfte auch der landständige Adel nach seiner Fasson selig werden, wenn er nur gehorchte und diente.

Diese Staatsräson hatte Marwitz lebenslang abgelehnt und so nachhaltig bekämpft, daß er nach der öffentlichen Forderung nach Wiederherstellung der alten ständischen Verfassung gemeinsam mit seinem Mitkämpfer Graf Finckenstein aus Reitwein am Lebus nach Spandau auf die Zitadelle geführt wurde - fünf Wochen hielt man sie gefangen. Im Unterschied zu den heutigen demokratischen Vernichtungskämpfern war der König jedoch nicht nachtragend. Fontane beschreibt in „Das Oderland“ den Abschied des Generals aus dem königlichen Dienst: „Der König ging ihm durch den halben Saal entgegen, reichet ihm fest die Hand und sagte dann laut, in Gegenwart aller Umstehenden: ’Mir sehr leid getan, einen so ausgezeichneten General zu verlieren.‘ Marwitz antwortete mit der Versicherung unverbrüchlicher Loyalität. ’Mir sehr wohl bekannt, immer nach Grundsätzen gehandelt haben‘, antwortete der König mit gnädiger Verbeugung. So trennte man sich.“

Welche Grundsätze waren es, von denen der König sprach und die er zweifellos genau kannte? Nun, Marwitz verteidigte die landständige Verfassung der Mark Brandenburg, die ja bereits unter den Vorfahren Friedrich Wilhelms III. erhebliche Einbußen und Einschränkungen hatte hinnehmen müssen. Nachdem durch die älteren Hohenzollern zunächst im Zuge der Reformation die Prälaten von Ihrer Mitwirkung im Landtag ausgeschlossen wurden, hatte der Große Kurfüst seine fürstliche Macht gleich einem Felsen, einem „rocher de bronce“, befestigt und die Mitwirkung der Landstände, das heißt des Landadels und der städtischen Vertreter immer mehr eingeschränkt. Dies hatte zu erheblichem Widerstand bis hin zu offenem Ungehorsam geführt; in (Ost-) Preußen hatten die Hohenzollern nicht davor zurückgeschreckt, mit rechtswidrigen Folterungen und Hinrichtungen ihre Anmaßung durchzusetzen. Der Widerstandswille des Adels war auch am Anfang des 19. Jahrhunderts nicht gebrochen; doch wäre es verfehlt, mit der vorherrschenden Geschichtsdarstellung - und zwar höchst einheitlich aus liberaldemokratischer, nationalsozialistischer und kommunistischer Sicht - die Haltung des Adels oder Konservativer wie Marwitz und Haller soziologisierend als Rückzugsgefechte einer zum Untergang verurteilten Kaste zu deuten. Es ging - die Preußen Marwitz und Yorck waren sich dessen vollständig bewußt - um das Überleben von Freiheit, Kultur und Gesittung, nicht nur im Königreich Preußen, sondern in ganz Europa und damit weltweit.

Die Reformen Steins und Hardenbergs versuchten, destruktive Kräfte durch kontrollierte Freisetzung zu bändigen - ein vergebliches Unterfangen wie wir heute wissen. „Ein unsinniger Kopf ist schon zertreten; das andere Natterngeschmeiß wird sich in seinem eigenen Gift auflösen!“ , so Yorck nach dem Abgang des frühnationalistischen Stein, und auch wenn das Gift noch heute durch die Adern Europens fließt, das Gegengift steht bereit.


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