© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/02 31. Mai 2002


Klotz am Bein
von Ellen Kositza

Schon im vorigen Jahr und seit Wochen verstärkt wurde deutlich, daß sich die Parteien ausgerechnet die Familienpolitik zum Wahlkampfthema Nummer Eins erkoren haben. Das ist insofern verwunderlich, da es als eine Konsensangelegenheit der gesamten relevanten politischen Bandbreite erscheint. Das Reden vom "Armutsrisiko Kind", von der erforderlichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf und von den "vielen Wunschkindern", denen mangels wirtschaftlicher und politischer Flexibilität bezüglich Arbeitszeiten und Kinderbetreuungsmöglichkeiten "der Weg ins Leben verwehrt" bleibe, sind einige der allerorten geäußerten Gemeinplätze, die auch noch bei der x-ten Wiederholung und ausbleibendem Widerspruch gern kämpferisch vorgetragen werden.

Den Parteien geht es bei ihrem derzeit favorisierten Thema um dreierlei: Um Wählerstimmen natürlich, immerhin leben 30 Prozent aller Wahlberechtigten in Familien mit Kindern und gehören damit zur Zielgruppe, daneben um einen in einigen Bereichen dringend zu füllenden Arbeitsmarkt. In der Hauptsache ist es jedoch Bevölkerungspolitik, das Feld mit dem übel beleumundeten Ruf, das im sympathischeren Namen der "Familienpolitik" einen Imagewechsel vollzogen hat. Daß in Europa im allgemeinen, in Deutschland im besonderen - drittletzter Platz bei der Geburtenrate - mit neun Kindern auf 1000 Einwohner jährlich viel zu wenig Kinder geboren werden, um das wirtschaftliche System, um das es alleine geht, aufrechtzuerhalten, wird seit Jahren schon angemahnt. Im Wahljahr 2002 wollen die Parteien in die Vollen gehen, von Schwarz über Grün bis Dunkelrot wird nicht an Versprechungen gespart.

Seit geraumer Zeit bereits wirbt die Bundesregierung mittels der großplakatierten Kampagne "FamiliDeutschland" für ihr buntes Familienkonzept. Die Bilder stiften Verwirrung, organisierte Singles schimpfen sie eine polarisierende "Regierungspropaganda", homosexuelle Eltern beklagen ihre Diskriminierung. Da thront eine Hochschwangere mit über die Lenden hochgerutschtem Hemd und herausforderndem Blick zum Betrachter auf einem Sofa. Am Boden, zwischen ihre geöffneten, leggingbewehrten Beine gelehnt, schläft einer mit doppeltem Kinn. Ein gefälligeres Motiv zeigt ein Paar mit zwei kleinen Kindern und einem Negerpüppchen aus Plastik, ein weiteres eine ältere Rotgefärbte mit Schulkind, wieder ein anderes eine schwarzweiße Mischehe mit Nachwuchs. Unter der beigegebenen Internetadresse ( www.familie-deutschland.de ) darf eine Broschüre zur laufenden Kampagne und allgemein zur rot-grünen Familienpolitik angefordert werden, in der die bisherigen Bemühungen der Regierung Schröder (unter anderem Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften, Integration ausländischer Jugendlicher qua reformiertem Staatsangehörigkeitsgesetz, Hochschulförderung für Frauen und "Frauen ans Netz") präsentiert werden.

Die SPD verspricht bei Wiederwahl, in der kommenden Legislaturperiode mit vier Milliarden Euro flächendeckend Ganztagsschulen zu errichten, des weiteren wird eine Erhöhung des Kindergeldes von derzeit 154 auf 200 Euro in Aussicht gestellt. "Familie", das ist für Gerhard Schröder, dreimal geschieden und kinderlos, "der Ort, wo Menschen unmittelbar Verantwortung füreinander übernehmen, vor allem für Kinder". In die (freilich durchweg Negativ-) Schlagzeilen geriet kürzlich die stellvertretende Parteivorsitzende Renate Schmidt mit dem Vorschlag, die Wahlstimmen von Familien gemäß deren Kinderzahl zu erhöhen, eine Idee, die manche konservativen Politiker wie Rainer Eppelmann und Otto von Habsburg schon seit längerem vortragen.

Noch gut in Erinnerung ist die Mitte April geführte Bundestagsdebatte mit scharf ätzenden Beiträgen über den Respekt, den man vor abtreibenden, also verantwortungsvoll handelnden Frauen haben sollte einerseits und Friedrich Merz´ lautstark kontrovers kommentiertem Hohelied auf die noch konventionelle Familienform, gebildet durch Mutter, Vater und Kinder. In Wahrheit handelt es sich bei den zunächst einander widersprechenden familienpolitischen Leitvorstellungen um eine Schein-Kontroverse. Das grundsätzliche Bild von Familie und Erziehung changiert nur geringfügig, auch CDU/CSU nennen die "Vereinbarkeit von Familienarbeit und Erwerbstätigkeit beider Eltern" als ein zentrales Ziel ihrer Familienpolitik. Unions-Kanzlerkandidat Stoiber will ab 2004 600 Euro Familiengeld monatlich für Kinder bis drei Jahren zahlen, 300 für die Älteren bis zur Volljährigkeit. Im Grunde jedoch handelt es sich bei den beiden großen Parteien um Variationen allein im Detail, um ein letztlich konturenloses Sowohl-als-auch in bezug auf die Erhöhung finanzieller Grundleistungen sowie verbesserte Möglichkeiten zur Fremdbetreuung.

Das durchgängige Grundbild der "auch karriereorientierten" Mutter variiert die FDP, die mittels einer "Kita-Card" Ganztageseinrichtungen in Wettbewerb gegeneinander antreten sehen will, die Grünen, denen die Familie gerne als mißliebiger "Hort autoritärer Strukturen" galt, wollen gar sieben Milliarden in den Ausbau von Tagesstätten investieren, die PDS verspricht einen Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung.

Steigt aber tatsächlich mit der Lohnarbeit die Gebärfreudigkeit der Frauen? Allgemein wird gerne auf das Ausland verwiesen, Skandinavien und Frankreich mit ihren Ganztagsangeboten für wenigstens 50 Prozent aller Kinder werden als leuchtende Beispiele für geglückte Familienpolitik hochgehalten, immerhin liege dort die Geburtenrate bei durchschnittlich 1,8 statt 1,3 Kindern wie bei der deutschen Frau. Norwegen kann auf einen Anteil von 76 Prozent Erwerbstätigen unter Müttern verweisen.

Verschwiegen wird dabei gern, daß der hochgelobten, weil aufgeklärt agierenden Familienpolitik (günstige Fremdbetreuungsmöglichkeiten für den Nachwuchs, der Zwang zur Aufteilung der Elternzeit zwischen Mann und Frau) in den nordischen Ländern eine Scheidungsrate von knapp 50 Prozent gegenübersteht - der verordnete Rollentausch birgt scheinbar immenses Konfliktpotential, das letztlich gerade zu Lasten derer geht, die man fördern will. Ungeklärt bleibt dabei auch, ob es tatsächlich die Mehrfachmütter sind, die dank ganztags wegorganisierter Kinder ihre berufliche Karriere weiterverfolgen oder ob diese Angebote nicht vielmehr von den Einkindfamilien genutzt werden.

Ein Blick in den Osten der Republik, gerühmt für sein Krippen- und Hortangebot, läßt die Rechnung "Ermöglichung von Frauenerwerbsarbeit = Geburtensteigerung" völlig obsolet werden: In Brandenburg etwa, wo jedem zweiten Kleinkind ein Krippenplatz zur Verfügung steht, werden dennoch deutlich weniger Kinder geboren als in Bayern, wo nur verschwindende ein Prozent des jungen Nachwuchses krippenversorgt werden können. Diese Tendenz wird insgesamt im Ländervergleich Ost/West deutlich.

Festhalten muß man immerhin, daß die Parteien mit ihrer im Kern identischen Forderung nach außerhäuslicher Arbeit für Frauen weder am tatsächlichen Bedarf vorbeireden noch damit nur gesellschaftsumfassend Bedürfnisse wecken, die andernfalls nur in einzelnen gären würde. Auch sollte die zu Debatte stehende Lösung des Familie-Beruf-Problems durch Fremdbetreuung in Form von Ganztagesstätten - wirkliche pädagogische Qualifikation und ein entsprechendes erzieherisches Leitbild vorausgesetzt - nicht als von vorneherein schlechteste Lösung angenommen werden. Immerhin ist die befristete Überantwortung des Nachwuchses an ein gesellschaftliches Kollektiv weder eine Geburt des Kommunismus noch überhaupt ein Konzept der Moderne.

Es bleibt dennoch die Frage, ob solche Wahlversprechen, ihre Einlösung gesetzt, Familien erstens zufrieden stimmen und zweitens einen Anreiz zum Kinderkriegen leisten können. Laut einer aktuellen Umfrage, die der Spiegel veröffentlichte, sind es zwei Bereiche, die Frauen von einem (weiteren) Kinderwunsch abhalten: erstens die finanzielle Belastung, zweitens die Beanspruchung durch Erziehungsarbeit.

Das ist eine deutliche Aussage, die gebietet, weit tiefer zu graben, als es pure ökonomische Berechnung leisten kann. Die beliebte und so gern abgenickte Aussage, Kinder seien zum "Luxus" geworden und die Regierung verteile "Almosen" an Familien, ist ein Hohn gegenüber sämtlichen vorangehenden Generationen, die Kindergeld als symbolischen Kleckerbeitrag, Erziehungsgeld, Eigenheimprämien, Wohngeldzulagen und familienspezifische Steuererleichterungen schon gar nicht kannten. Bis in die fünfziger Jahre gab es weder Plastikwindeln, Fertigmenüs für den Zögling oder die vielen elektrischen Helfer, die der Frau die Arbeit im Haushalt erleichtern konnten, geschweige denn flächendeckende Betreuungseinrichtungen. Es wurden stets mehr Kinder geboren und großgezogen als in unserer Zeit, wo die Meinung, dem Staat sei man nichts schuldig, und doch habe er als treusorgender Vater eine Unterstützungspflicht, zur gängigen Einsicht geworden ist.

Der Wunsch nach Kindern entsteht nicht durch eine Summe in Euro, durch einen neuen Hort oder Krippenplätze. Der europaweite Kindermangel ist eine Frage mangelnder Identität - es fehlt an überzeugenden Mutterbildern. Die berühmte familienpolitische Aussage von Konrad Adenauer, "Kinder kriegen die Leute von allein" ist schon lange, spätestens seit Einführung der "Pille", hinfällig geworden. Zeugung und Erziehung von Kindern ist zur bewußten Entscheidung im Rahmen einer selbstbestimmten Lebensplanung geworden.

Daß eine Schwangerschaft seit jeher neben Freude auch Not bedeuten konnte, soll nicht in Abrede gestellt werden, der Kinderwunsch als Planbarkeit mit relativ unproblematischer Alternative - der selbstgewählten Kinderlosigkeit - ist als soziales Phänomen sehr jung. Aus einer nicht hinterfragungsfähigen Tatsache, die "kollektiven Normen in Gestalt mächtiger Institutionen wie der Kirche, aber auch Herkommen und realer Naturabhängigkeit gehorchte, entwickelte er sich zu einer immer stärker vom Individuum ausgestalteten Motivvielfalt, zu einem Gefühl von einzelnen" (Barbara Sichtermann).

Apropos Kirche: die Säkularisierung aller Lebensbereiche dürfte in bezug auf die Gebärunlust kein ganz oben anzusetzender Faktor sein, liegen doch die katholischen Länder Italien (1,2 Kinder pro Frau) und Spanien (1,14) mit ihrer Geburtenrate noch hinter Deutschland auf den beiden letzten Rängen.

Auch wenn als "Emanze" kaum noch eine Frau heute gelten mag , die Zeichen der Zeit, denen sich auch die konservativen Parteien in ihrer Programmatik nicht einmal im Ansatz zu entziehen vermögen, stehen stärker denn je im Zeichen der Emanzipation, im Zeichen des in jeder Hinsicht Machbaren. Dieser Voluntarismus setzt voraus, daß ein Ausbruch aus den Naturfesseln gelingen muß, wenn frau, aus dem Bannkreis des Heims entlassen, als vollends "biologisch Mündige" den Postulaten der modernen Welt , gefaßt als Mobilität, Flexibilität, Fungibilität und also der Rationalität genügen will.

Was im gesamten westlichen Kulturkreis fehlt, ist ein positives Selbstbewußtsein von Empfängnisfähigkeit, Schwangerschaft, Gebären- und Erziehenkönnen als weiblicher Potenzen. Gebärverweigerung, die Unlust am Leben mit Kindern, ist, modern gesagt, ein Image-Problem. Das geht weiter als der berechtigte Vorwurf einer kinderfeindlichen Gesellschaft reichen kann - und gerade das geburtenschwache Italien gilt ja immerhin als Land, in dem den "Bambini" mit Herzensgüte und einem geradezu sprichwörtlichen Wohlwollen begegnet wird, Kinderlärm mehr erfreut denn als Belästigung empfunden wird. Der Mutter, dem Mütterlichen, wird kein geeignetes Rollenmodell vorgestellt, Elternschaft allgemein und Mutterschaft im besonderen erscheinen wie ein freiwilliges Begeben in einen Zustand der Behinderung auf Zeit. Der Schaff´ mit dem Kind macht undynamisch, unsexy, binden das Individuum in Unfreiheit. Wie unattraktiv! Ist das ein mediengemachtes Bild, die reale Ausstrahlung junger Familien - oder als ganzes ein Zirkelschluß? Die Entwicklung nach dem "Pillenknick", der die biologische Determiniertheit außer Kraft setzte und nach der 68er-Revolte, die gerade in bezug auf die derart veränderten Frauenbelange als unabdingbare Konsequenz folgte, hätte auch anders verlaufen können. Immerhin stellten sich die 68er-Protagonistinnen in den Frauengruppen und Weiberräten als kraftvolle Frauen dar, die ihr Kind öffentlich stillten und schon mit diesem Tabubruch Mutterschaft - nun die "bewußte" - und Kinder, gerade in den fünfziger Jahren in die heimische Beschaulichkeit und ins ausschließlich Private versetzt, stolz ins Rampenlicht stellten.

Man kann die "Errungenschaften" in der Abtreibungsfrage ("Mein Bauch gehört mir") und ihre nachhaltig-negative Auswirkung bis heute nicht bedeutsam genug werten, doch um wieviel dynamischer, lustvoller in ihrer Weiblichkeit wirkten diese Frauen im Aufbruch als das heutige Gros der tratschenden Spielplatz-Muttis, die Brigitte mit Modeanweisungen in der einen, das wohlausgestattete Kind an der anderen Hand, müde, gelangweilt und langweilig. Da ist er wieder, der Imagefaktor.

Wo Kinder planbar geworden sind, statt Schicksal zu sein, wo der wider die Natur anbrandende Voluntarismus allenthalben Mutterschaft von einer sexuellen Potenz zu einer freiwilligen Beschneidung degradiert hat, hilft keine "Familienpolitik" weiter. Ein neues Selbstbewußtsein als weiblicher Stolz steht aus. Zu erwarten freilich ist solches nicht.

 

Ellen Kositza, Jahrgang 1973, ist von Beruf Lehrerin und Mutter von drei Kindern sowie regelmäßige JF-Autorin.


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