© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/02 31. Mai 2002

 
Faschismuskeule gegen einen Toten
Klaus Hornung verteidigt den Historiker Hans Rothfels
Albrecht Jebens

Hans Rothfels, einer der profiliertesten Historiker des deutschen Ostens, Jahrgang 1891, hat von 1926 bis 1934 an der Königsberger Universität gelehrt, wurde dann aus rassischen Gründen abgesetzt und ging 1939 unfreiwillig ins Exil. Er kehrte nach dem Zusammenbruch wieder nach Deutschland zurück und wirkte an der Tübinger Universität bis zu seinem Tode am 22. Juni 1976.

Mit der vorliegenden Schrift hegt sein Schüler Klaus Hornung nicht nur das Andenken, sondern bewahrt sein Bild vor ungerechtfertigter Schmähung. Rothfels wurde trotz seiner jüdischen Herkunft, aufgrund der er verfolgt wurde, auf dem deutschen Historikertag 1998 in Frankfurt unter die Historiker im (nicht unter dem) Nationalsozialismus eingereiht, eine unhaltbare Behauptung, in der sich eiferndes, kenntnisloses Proselytentum offenbart. Hornung nimmt die notwendige Ehrenrettung vor.

Hornung behandelt eingangs den von jüngeren Historikern erhobenen Vorwurf an Rothfels, er habe "trotz seiner jüdischen Herkunft eine deutschnationale und völkische Geschichtsschreibung propagiert" und sein "konservatives Denken habe sich mit dem nationalsozialistischen Gedankengut bestens vertragen". Schlimmer noch, er habe "als aufsteigender Protagonist der völkischen Wissenschaft im Dienste des Volkstumskampfs im Osten zu einer beständigen Radikalisierung der Fachwissenschaft beigetragen mit dem Ziel einer dynamisch-politischen Sprengwirkung gegen den status quo in Ostmitteleuropa." Die Beweisführung Hornungs zur Entkräftung dieser vollmundigen, aber inhaltsleeren Behauptung ist bemerkenswert sachlich, versucht sie doch, den heutigen Leser in die wirkliche Lage an der Königsberger Universität in den entscheidenden Jahren des Umbruchs Anfang der dreißiger Jahre zu versetzen.

Nachdem der Verfasser die Wandlung Rothfels von einem begeisterten "Wandervogel-Patrioten" von 1914 durch das bittere Kriegsende von 1918 zu einem "Vernunftrepublikaner" geschildert hat, erklärt er die Spannung Rothfels', die für ihn aus dem Ringen zweier universaler Ideen um Deutschland entstand: aus dem Druck des "demokratischen Völkerbunds" vom Westen und dem des "revolutionären Bolschewismus" vom Osten her, und hier, besonders gefährdet, für das vom Reich durch den Korridor abgeschnittene Ostpreußen. Dabei sah Rothfels Deutschland an der Seite des Westens, freilich ohne das Opfer der eigenen Überlieferung. Denn den "Sinn deutscher Demokratie sah er nicht in der libertinären Freiheit vom Staat, sondern in der Anteilnahme des einzelnen Bürgers am Staat. Eine demokratische Erneuerung war nur zur erhoffen durch die Einsenkung der Wurzeln des Gemeinwesens so tief wie möglich auf den Boden nationalen Lebens, um die Freiheit des einzelnen mit der Macht des Ganzen innigst zu verknüpfen."

"Rothfels' Ansätze und Methoden waren nicht 'ethnohistorisch-biologisch', wie sie damals in Mode gekommen sind, sondern blieben dem ideengeschichtlichen, also konservativen Ansatz verhaftet. Auf diesen Ansatz gründete er seine historisch-politische Gegenwartsanalyse. Mit dieser Methode gelang es ihm, eine beziehungsgeschichtliche Gesamtschau Osteuropas zu formulieren, die die Nichtanwendbarkeit nationalstaatlicher Prinzipien für diese ethnisch-nationale Mischzone beinhalteten. Rothfels sprach sich vielmehr für eine Symbiose mit den anderen Völkern in großer räumlicher Gemeinschaft aus. Damit stand Rothfels nicht nur dem integralen Nationalismus fern, weil eben nicht anwendbar in Ostmitteleuropa, sondern darüber hinaus, einem völkisch und erst recht imperial definierten Ordnungskonzept. Anders formuliert: Rothfels wollte Deutschland nur als geistige, wirtschaftliche Ordnungsmacht bei Anerkennung der Vielfalt der Staatenordnung unter weitgehender Autonomie der jeweiligen Volksgruppen verstanden wissen, aber keine grundlegende Revision, weil er von ihr den Einbruch der Sowjetunion nach Mitteleuropa fürchtete. Sein Verständnis vom Staat ist geradezu vermächtnishaft definiert in einem Brief vom April 1933 an seinen Freund Siegfried Kaehler: "Für mich ist der Staat nun einmal, so wichtig ich auch die Volkstumsbewegung zu nehmen bereit bin, nicht Exponent des Blutes und anderer Naturtatsachen, sondern ein geschichtlich ordnendes Prinzip und objektiver Geist, und weil ich das Prinzip des doktrinären Antisemitismus widerlege, muß ich weg." Der Schrift ist weiteste Verbreitung zu wünschen. In ihrer Ausgewogenheit, dem Faktenreichtum der brillanten Gedankenführung und Quellenbeherrschung ersetzt sie dickkalibrige Werke und ist jedem Studenten und Dozenten, der sich mit der Geistesgeschichte der Universität Königsberg in ihren letzten Dekaden und speziell mit dem Wirken von Hans Rothfels beschäftigen will, wärmstens empfohlen. Sie ist weit mehr als eine Ehrenrettung für einen heute von Verfemung bedrohten Historiker. Albrecht Jebens

Klaus Hornung: Hans Rothfels und die Nationalitätenfragen in Ostmitteleuropa 1926-1934, Hrsg. von der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn 2001, 56 Seiten, 2,50 Euro


 
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