© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/02 31. Mai 2002

 
Die Wurzeln des Terrors
Tilman Nagel, Udo Ulfkotte und Hadayatullah Hübsch formulieren ihre Ansätze zur Problematik des Islamismus
Werner Olles

Den "Wurzeln des islamistischen Terrors" geht Hadayatullah Hübsch in dem Band "Fanatische Krieger im Namen Allahs" auf den Grund. Akribisch untersucht der Autor, der 1969 zum Islam konvertierte und neben seiner schriftstellerischen und journalistischen Arbeit und der Herausgabe islamischer Zeitschriften in Frankfurt am Main als Imam der Nuur-Moschee der Ahmadiyya-Muslim-Jamaat, einer islamischen Reformgemeinde, tätig ist, die historischen Dimensionen, die die Motivation der Attentäter vom 11. September vorigen Jahres geliefert haben könnte.

Bei seiner Analyse der Ursachen des Terrors stellen sich die wichtigsten Fragen - rechtfertigt der Islam gewalttätige Akte, und welche Gottesvorstellung haben die Islamisten - von selbst. Dabei weist Hübsch, ohne den Leser in Betroffenheit zu ertränken oder mit Zeigefinger-Belehrungen über den Islam und die Problematik des Nahen Ostens zu langweilen, nicht nur nach, daß der Koran den Selbstmord strikt verbietet (Sure 4, Vers 33), sondern er erläutert auch den von den Islamisten immer wieder mißbrauchten Begriff des "Djihad" und erklärt das sich aus dem frühen Islam entwickelnde Prinzip der Selbstverteidigung. Gerade dieses liege jedoch bei den terroristischen Untaten nicht vor, generell dürfe Krieg nur gegen eine reguläre Armee geführt werden. Selbst ein Feldzug nach dem Prinzip der "verbrannten Erde" sei grundsätzlich nicht gestattet.

Der offensichtliche Mißbrauch der Heiligen Schrift des Islam durch die Terroristen reproduziere die ohnehin starken Vorurteile und Klischeevorstellungen, die im Westen dem Islam als einer großen Weltreligion immer noch anhafteten. Zwar sei der Terrorismus kein spezifisch islamisches Problem, aber das weitverbreitete Unwissen über Inhalte, Riten und Gebräuche des muslimischen Glaubens schaffe weiteren Raum für latente Agressivität und Berührungsängste. Immerhin trägt der Autor mit diesem Buch erheblich dazu bei, diese Berührungsängste zu mindern, indem er religiösen Fanatismus eindeutig von aktiv gelebtem muslimischen Glauben differenziert und dem Terror der "heiligen Krieger" den wahren Geist des Islam entgegenstellt. Sein Versuch einer Synthese von religiöser Offenbarung und religiöser Vernunft im Sinne eines humanen Islam ist beachtlich und verdient Respekt. Auch der Aufforderung den "Dialog der Kulturen" zu vertiefen, um dadurch den gewalttätigen "Kampf der Kulturen" zu verhindern, wird man vorbehaltlos zustimmen. Als Konservativer weiß man jedoch auch, daß jede Kultur ihren eigenen Zugang zur Wirklichkeit hat und in dieser speziellen Wirklichkeit auch ihr einzigartiges Schicksal ausbreitet. Seine Kenntnis über radikale Gruppen bedarf teilweise jedoch der Korrektur. So ist die durch den Anschlag auf die Münchener Olympischen Spiele 1972 unrühmlich bekannt gewordene Terrorgruppe "International Black September Organisation" ("ailul assuad") nicht "aus verschiedenen Guerilla-Organisationen Palästinas" entstanden, sondern war eine Schöpfung des Arafat-Stellvertreters und Fatah-Sicherheits-Chefs Abu Ijad und sollte eigentlich primär mit Nicht-Palästinensern besetzt werden. Tatsächlich gab es einige Ausländer, darunter auch Deutsche, die allermeisten Operationen wurden aber von Fatah-Mitgliedern durchgeführt und die Kommandoebene lag ganz in den Händen von Fatah-Führern wie Abu Ijad und dessen Stellvertretern Abu Daoud und Amin el-Hindi.

Udo Ulfkotte, Geheimdienst-, Terrorismus- und Nahost-Experte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, geht in seinem Buch "Propheten des Terrors. Das geheime Netzwerk der Islamisten" von weit weniger optimistischen Prämissen aus. Keineswegs sei mit der Zerschlagung der al-Quaida in Afghanistan, jener Organisation des legendären Super-Terroristen Osama bin Laden, bereits das globale Netzwerk des islamistischen Terrors zerstört. Mindestens neun weitere islamistische Gruppen bereiteten sich momentan weltweit für neue Terroranschläge vor. Ulfkotte geht dabei den Spuren dieses arabischen, afrikanischen und asiatischen Terrornetzwerkes nach, beispielsweise der philippinischen "Abu Sayyaf"-Gruppe, die ebenfalls zum al-Quaida Netzwerk Bin Ladens gehört.

Gehörig ins Gericht geht der Autor mit den Geheimdiensten der westlichen Staaten, die in vielen Fällen schmählich versagt hätten. Kaum sei je die nachrichtendienstliche Unterwanderung einer der islamistischen Gruppen gelungen, hier habe allein der israelische Geheimdienst Mossad einige Erfolge zu verzeichnen. Vehement tritt Ulfkotte der auch hierzulande verbreiteten Meinung entgegen, man könne dem Terrorismus mit immer mehr Entwicklungshilfe das Wasser abgraben. Tatsächlich seien die 11.September-Attentäter Söhne aus guten Häusern gewesen, und die eigentlichen Drahtzieher des Terrors allesamt schwerreiche Männer. Es gehe in Wahrheit um die Herrschaft über die Ölquellen. Wenn diese in die Hände der Islamisten gelängen, würde das den ökonomischen Ruin des Westens bedeuten, womit die Islamisten eines ihrer Ziele erreicht hätten.

Der Göttinger Arabistik-Lehrer und Islamwissenschaftler Tilman Nagel, der bereits zahlreiche Bücher zur Geschichte und Religion des Islam veröffentlicht hat, versucht hingegen eine Hinführung zu dieser Weltreligion, die er unter wesentlichen Aspekten von ihrem eigenen Selbstverständnis her behandelt und in seinen Grundzügen erläutert. Er zitiert Voltaires und Goethes Nähe zum Islam, den er als Buchreligion in ganz besonderem Maße bezeichnet. Wichtig sei die enge Verflechtung mit der Gesellschaft - der Islam als Staatsreligion - und die hohe Einschätzung des Rechts. Der Islam sei eine Lebensform, der es vor allem um rechtes Handeln, um Orthopraxie also, und weniger um Orthodoxie gehe. Weil der Koran jedoch nicht einfach Gotteswort, sondern zugleich Menschenwort des Propheten sei, sollte sich der Islam endlich seinem inneren Problem des Buchstabenglaubens stellen.

Nagel thematisiert auch das heikle Verhältnis des Islam zum "Apostaten", dem zwar die Gelegenheit zur reumütigen Umkehr eingeräumt werden muß, der jedoch sein Leben verwirkt hat, falls er dies ausschlägt. Daher zögerten die modernen islamischen Staaten unter Hinweis auf diese Gefahr mit der Anerkennung der Religionsfreiheit als eines Menschenrechtes. Während Juden und Christen als "Schriftbesitzer" immerhin unter dem mit einer Kopfsteuer bezahlten "Schutz" der Muslime stünden, bleibe den Anhängern der Religionen ohne Offenbarungsbuch, etwa den autochthonen Glaubensformen Schwarzafrikas, nur die Wahl zwischen Islamannahme und Tod, sofern sie sich im "Gebiet des Islam" befinden.

Wenn in Europa Säkularisierung die Abtrennung des Lebensvollzugs vom christlichen Glauben bedeute, habe in der islamischen Welt Vergleichbares nicht stattgefunden. Alle Behauptungen, die Muslime hätten im 18.Jahrhundert eine der europäischen analoge Phase der Aufklärung durchlaufen, halten laut Nagel einer Überprüfung nicht stand. Daher müßten die auf Dauer in Europa lebenden Muslime sich von dem Prinzip trennen, daß der Islam "Glaubenspraxis und Staat" zugleich sei. Ein wesentlicher Teil der Heilsbotschaft des Korans, etwa die Aussagen über den minderen Rang der Frauen (Sure 4,34), über das Erbrecht (Sure 4,11f. u. 4,176) und über die Blutrache (Sure 2,178f.) müsse zu einem historischen Dokument umgedeutet werden, das ohne normative Kraft von Vergangenem berichte. Dies könne freilich dazu führen, daß der Islam ohne die stets gegenwärtige prophetische "Rechtleitung" Gefahr laufe, sich zu jener unverbindlichen Religiosität zu verflüchtigen, die heute schon bei "Sufis" europäischer Herkunft anzutreffen sei. Die Rückwirkung solcher Reformen auf die islamischen Staaten würde jedoch zu einer völligen Neubewertung des Konzeptes der Zweiteilung der Welt in ein "Gebiet des Islams" und ein "Gebiet des Krieges" führen.

Hadayatullah Hübsch: Fanatische Krieger im Namen Allahs. Die Wurzeln des islamistischen Terrors. Diederichs, München 2001, 158 Seiten, 14,90 Euro

Udo Ulfkotte: Propheten des Terrors. Das geheime Netzwerk der Islamisten. Goldmann, München 2001, 272 Seiten, 10 Euro

Tilman Nagel: Islam. Die Heilsbotschaft des Korans und ihre Folgen. WVA-Verlag, Westhofen 2001, 166 Seiten, 12 Euro


 
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