© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/02 31. Mai 2002

 
Besuch aus Übersee
Warum es den Deutschen an innerer Souveränität gegenüber Amerika fehlt
Doris Neujahr

Der Mann aus Übersee - Die Amis kommen - Ins deutsche Disneyland / Der Mann aus Übersee - Die Amis kommen - Wer ist unser Präsident? / Der Mann aus Übersee - Die Amis kommen - Du bist die Mickymaus / Der Mann aus Übersee - Die Amis kommen - Oder kommen die Russen? Refrain: Keine Heimat! Wer schützt mich vor Amerika?

"Ideal": Keine Heimat, 1982

 

Es gab gute Gründe, die Aufrufe zur Demonstration gegen den Besuch von Georg W. Bush in Berlin zu ignorieren, es gibt genauso überzeugende, gegen Bush zu sein. Selten wurde das globale Übergewicht der Amerikaner so ungeniert verkörpert wie von ihm. Nur zeigten die Proteste keine Alternativen und Gründe auf, weshalb die Amerikaner ihre Kritiker aus dem real existierenden deutschen Disneyland ernst nehmen sollten. Schwammige Begriffe wie "Frieden", "Gerechtigkeit", "Neoliberalismus" waberten durch den Raum, die Atmosphäre war hysterisch, ressentiment- und komplexgeladen. Für die einen handelte es sich um ein Happening, andere führten jene altbekannte Angst vor, über die im Ausland als "the German angst" gespöttelt wird.

Angst ist die Negation der Politik- und Erkenntnisfähigkeit, ein körperlicher oder seelischer Affekt, der durch fehlende oder unverhältnismäßige Gegenstandsbeziehung gekennzeichnet ist. Die Angst besagt mehr über denjenigen, der von ihr erfüllt ist, als über die tatsächliche Bedeutung des Angstobjekts.

Das Gegenstück zur Anti-US-Hysterie ist die servile Unterwerfung. Sie äußert sich in Joschka Fischers Kommentar "Da haben wir nichts zu kritisieren!" (die US-Militärpolitik nämlich) wie in dem albernen Beschluß des Springer-Verlags, die unverbrüchliche Liebe zur transatlantischen Supermacht als Credo des Hauses festzuschreiben. Beides beruht auf dem Mangel an Selbstgewißheit.

Zunächst sind es historisch-sentimentale Gründe, die die innere Souveränität gegenüber den USA so schwierig machen. Die BRD verdankt dem Bündnis mit ihr den wirtschaftlichen und politischen Wiederaufstieg. Zwar hätte es auch ohne die Amerikaner eine Wiedervereinigung gegeben - allerdings unter Hammer und Sichel. Eine wichtige Rolle in der Erinnerung spielen die Care-Pakete und der Marshall-Plan. Noch bedeutsamer ist die "Amerikanisierung" Deutschlands durch die Omnipräsenz der amerikanischen Massenkultur.

Der Begriff wird überwiegend benutzt, um eine mentale Unterwerfung und die Denunziation der eigenen Traditionsbestände nach dem Zweiten Weltkrieg zu bezeichnen. Die Wirklichkeit war komplizierter. Chewing-gum, After Shave oder das Life Magazin, die die "Amerikanisierung" einleiteten, waren nach 1945 der Vorgriff auf ein besseres Leben und von entsprechender Verführungskraft. Die lässigen Bewegungen, zu denen Swing und Jazz animierten, waren eine Erholung vom Gleichschritt der NS-Zeit. Noch die spätere deutsche Protestkultur bezog sich auf amerikanische Vorbilder.

Verhältnis Deutschlands zu den USA ist komplexbeladen

Weiterhin war die "Amerikanisierung" eine scharfe Waffe zur materiellen und ideellen Selbstbehauptung im Kalten Krieg. Nicht umsonst verkoppelte die DDR die politische mit einer neoklassizistischen Erziehungsdiktatur und erklärte diese zum nationalen Schutzwall gegen die US-amerikanische "Kulturbarbarei". Umso mehr faszinierte diese die DDR-Jugend. Die amerikanische Haltung zur deutschen Wiedervereinigung unterschied sich wohltuend von den Positionen der europäischen Nachbarn, welche Motive die USA im einzelnen auch gehabt haben mögen.

Daraus ist eine gefühlsbetonte, durch Verpflichtung und Bekenntniszwang geprägte Haltung entstanden. Das psychologische Verhältnis Deutschlands zur USA ist vergleichbar mit dem der neuen zu den alten Bundesländern, und wie dieses ist es voller Subalternität und Minderwertigkeitskomplexe. Diese schlagen - wie die Demonstrationen zeigten - leichter in ihr Gegenteil um, als daß sie einen klaren Blick zuließen.

Der Antiamerikanismus der 68er Bewegung konnte schon deshalb keine differenziertere Betrachtungsweise und mehr innere Souveränität zur Folge haben, weil er mit dem Haß auf das eigene Vater-Land einherging. Beide Affekte fanden zusammen unter dem Dach der marxistisch-leninistischen Faschismustheorie, die das NS-Regime als aggressivste Variante des kapitalistischen Systems interpretierte, dessen Hauptmacht die USA waren (und sind). Restbestände davon haben sich bis heute bewahrt. Doch mehrheitlich konvertierten die linken Kapitalismus-Feinde und Anti-Amerikaner - wie Joschka Fischer - nach 1989 zum forcierten Pro-Amerikanismus. Das Verhältnis zum eigenen Land wurde dadurch nicht entspannter, die Komplexe wurden nicht geringer, sondern durch den rot-grünen Konvertiteneifer eher noch verschärft.

Das eingangs zitierte Lied "Keine Heimat" wurde vor 20 Jahren, auf dem Höhepunkt der Nachrüstungsdebatte, von einer der kreativsten Bands der "Neuen Deutschen Welle" gespielt. Autorin und "Ideal"-Sängerin Annette Humpe trieb es um, daß ein "Verbündeter zur Bedrohung wird" und man "das nicht mehr aushalten konnte, daß immer nur (...) das Böse vom Kommunismus oder von der DDR oder der Sowjetunion kommen würde (...) und gleichzeitig schoß an jeder Ecke ein Fast-Food von Amerika aus dem Boden". Die selber als Kinder der "Amerikanisierung" aufgewachsen waren, wurden vom Gefühl der durch sie herbeigeführten geistigen Leere und Traditionslosigkeit überwältigt. Das Lied thematisiert den Zusammenhang zwischen politischer und mentaler Servilität und der kulturellen Entfremdung.

Tatsächlich stellten die amerikanischen Politikwissenschaftler Simon Reich und Andrej S. Markovits in ihrem vor zwei Jahren erschienenen Buch über "Das deutsche Dilemma" fest, daß Deutschland unter seinen politischen Möglichkeiten bliebe, weil sein kollektives Gedächtnis verbaut sei. Sie bezogen sich auf die NS-Vergangenheit. Die kulturellen Umwälzungen nach 1945, die im öffentlichen Diskurs ausschließlich positiv gewertet werden, müßten ebenfalls einer kritischen Betrachtung unterzogen werden.

Symptom und Reizwort "Hollywood": Es ist unsinnig, seine genialen Spitzenleistungen, die technische Professionalität auch mittelmäßiger Filme, die unterhaltsame Leichtigkeit, mit der alte Menschheitsmythen variiert werden, zu bestreiten. Dennoch bleibt bemerkenswert, wie wenig kulturellen Ehrgeiz und Phantasie, wie wenig Stolz die Deutschen dem US-Kulturexport und seiner impliziten Melange aus politischen, ökonomischen und ideologischen Interessen und mentalen Konditionierungsstrategien bis heute entgegensetzen.

Nehmen wir als Gegenbeispiel den französischen Film "Das Leben ist ein Chanson". (Ein aktuelles Gegenbeispiel aus Deutschland ist nicht greifbar.) Regisseur Alain Resnais unterlegt Alltagsgeschichten mit Originalfragmenten aus französischen Liedern, um die Personen und Situationen zu charakterisieren. Zum Schluß bläst ein Laienorchester Edith Piafs Klassiker "Non, je ne regrette rien": eine ironisch-liebevolle Huldigung an eine kulturelle Tradition, an die darin versammelte Lebensfreude und -erfahrung. Der Film ist unterhaltsam, witzig, lebensklug, vielschichtig, doch hatte er hierzulande gegen die thematisch verwandte, perfekt gemachte, letztlich aber eindimensionale Reißbrett-Produktion "American Beauty" keine Chance.

Der Resnais-Film erschließt sich allerdings auch nur dem völlig, der mit spezifischen Teilen des europäischen Kulturkanons vertraut ist. Wo diese Vertrautheit fehlt, treten die Ahnung eigenen Ungenügens und Unlustgefühle an ihre Stelle. Die Abwärtsspirale aus der Standardisierung künstlerischer Ausdrucksformen, der Reduktion kultureller Bildung, Rezeptionsfähigkeit, Traditions- und Erfahrungsverlust, aus individuellem und kollektivem Unbehagen, in der wir uns befinden, wird hier evident.

McDonalds zum globalen Glücksbringer überhöht

Als eschatologische Lösung des Konflikts propagieren liberale Ideologen das emphatische Aufgehen deutscher und europäischer in einer US-dominierten Globalkultur. 1995 veröffentlichte Richard Herzinger ein Manifest gegen die "Offensive der Antiwestler", in dem er den "Aufbruch in die Weltkultur" und die "Amerikanisierung als Voraussetzung für die Freiheit Europas" und den Ruf nach "europäischer Identität" als "Abschottung gegen den amerikanischen Universalismus" und die "offene Gesellschaft" beschrieb. Vollends komisch wurde es, als er McDonalds als Mittel zur Weltbeglückung überhöhte, das von den deutschen "Rechten" nur deswegen gehaßt würde, "weil es auf zivilisierte Weise die Idee des nationalsozialistischen Eintopfsonntags überboten hat". Anders gesagt: McDonalds ist zu loben, weil es die Idee der Gleichschaltung auf die globale Ebene gehoben hat!

Klar ist, daß multinationale (überwiegend US-dominierte) Konzerne ein Interesse daran haben, die menschlichen Bedürfnisse zu standardisieren, um auch die zu ihrer Befriedigung nötigen Produkte vereinheitlichen zu können. Das verbilligt ihre Herstellung und maximiert im Ergebnis den Profit. Es handelt sich um eine komplexe Struktur sich wechselseitig steigernder, politischer, wirtschaftlicher, kultureller und mentaler Vereinnahmungen. Die sanfte Konditionierung soll die Menschen dazu bewegen, einen Zustand als naturgegeben hinzunehmen, der sich in einer "One world" vollendet. Heimat wäre dann nur noch eine Filiale des infantilisierten globalen Dorfes. Doch diese Manipulation erzeugt auch ein Gefühl von Verlust und Selbstverlust, das sich vorerst nur in Angst und infantilen Gegenreaktionen äußert, weil das gesellschaftliche Bewußtsein sich zu den Ursachen noch nicht vorgearbeitet hat.

Man kann dem Besucher aus Übersee dankbar sein, daß der amerikanische "Universalismus" bei ihm so offen als machtbewußter Unilateralismus daherkommt. Das erleichtert es, sich diesen Prozeß bewußt zu machen. Das kann ein erster Schritt aus der Angst sein. Die Antwort auf die Frage: Wer schützt uns vor Amerika?, lautet: Wir selber, indem wir das Kind in uns endlich erwachsen werden lassen!


 
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