© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/02 31. Mai 2002

 
Erlösung von den Qualen der irdischen Existenz
Glücksverheißung: Der französische Autor Martin Page hat ein erstaunliches Debüt vorgelegt
Konrad Pfinke

Glück ist was für die Dummen". Der glückliche Leser muß an diesen Ausspruch Friedrich Nietzsches denken, wenn er das Projekt des jungen Antoine lesend begleiten darf. Der nämlich, hochintelligent wie kaum ein zweiter, beschließt "das Leichentuch der Idiotie über sich zu werfen". Schließlich ist es außerordentlich anstrengend, immerzu das Leben zu durchschauen, um es doch nur angesichts der enormen Blödheit dieser Welt durchleiden zu können. Wieso also sollte man nicht seinen ganzen Verstand einsetzen, um "normal" und endlich glücklich zu werden?

Martin Page hat mit seinem brillanten Debüt (Motto: "Er beneidete sie um alles, was sie nicht wußten" bzw. "Ob-la-di-Ob-la-da life goes on bra") eine wundersame Erzählung über einen unmöglichen Versuch geschrieben, der den sonderbaren Helden über den Willen zum Alkoholismus über einen Selbstmord-Kurs direkt in die High-Society des Börsenmarktes und die Abgründe bewußtseinsdämpfender Psychopharmaka führt. Page gelang damit nicht nur eine leichthändige, überaus stilsichere Satire über die verschiedenen Erlösungsmöglichkeiten von den Qualen der irdischen Existenz, sondern auch eine haarsträubend komische Studie über einen Sonderling, mit dem sich mancher Leser identifizieren könnte. Zuweilen darf dieser auch mal den Eindruck haben, daß sich der Autor über den derzeitigen Modeautor und vermeintlichen Gesellschaftskritiker Michel Houellebecq lustig macht, wenn er seine Analyse der verdummten Gesellschaft mit Hilfe seiner liebenswürdigen und linkischen Kunstfigur, dem Hochgebildeten in den Bereichen Aramäische Rhetorik, Film, Biologie, Schmetterlinge und Falter, schnörkellos, quasi in Pillenform verabreicht.

Schön auch die Details: Wunderbar, wie Page das Milieu eines isländischen Exilantenrestaurants in Paris entwirft, witzig, wie der Debütant seinen Antoine endlich von der Sehnsucht erlöst, ein Idiot zu werden - was zwar nicht idiotisch ist, aber die Verheißung eines großen Glücks birgt. Wie gesagt: ein ungewöhnlich komisches, erstaunliches Debüt eines Autors, dem der Leser nur wünschen kann, daß er uns auch weiterhin mit seinen Idiotengeschichten beglückt.

Martin Page: Antoine oder die Idiotie. Wagenbach Verlag, Berlin 2002, 16,50 Euro


 
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