© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/02 31. Mai 2002

 
Pankraz,
Arthur Koestler und das Maß des Zumutbaren

Beim nun schon Wochen andauernden Hickhack zwischen dem Zentralrat der Juden in Deutschland und wichtigen Teilen der FDP-Führung fällt vor allem eins auf: die schier unglaubliche Niveaulosigkeit der "Argumente", die ausgetauscht werden. Man debattiert nicht, man gefällt sich nicht einmal in witzigen Sottisen oder subtilen Bosheiten, sondern man kläfft sich nur gegenseitig an, belegt sich mit gängigen Schimpfwörtern ("Nazi-Methoden", "Antisemitismus"), spielt den Empörten ("Beleidigung, für die ich eine Entschuldigung hören will").

Natürlich ist die politische Arena, auf der das Trauerspiel abrollt, kein universitäres Proseminar, aber sie ist auch kein sizilianischer Hinterhof, auf dem sich verfeindete Waschweiber hemmungslos ankreischen. Auch Politiker sollten wenigstens ein Minimum an semantischem Aufwand anstreben. Daß sie das heute offenbar nicht mehr für notwendig halten, zeugt vom rapiden Verfall des politischen Stils, der im Zeitalter des Fernsehens und der Talkshows stattgefunden hat.

Von Konrad Adenauer zu Angela Merkel, von Kurt Schumacher zu Gerhard Schröder, von Theodor Heuß zu Guido Westerwelle - der geistige Abstieg ist unverkennbar. Und er betrifft auch den Zentralrat der Juden in Deutschland, wo es von Leo Baeck zu Paul Spiegel und Michel Friedman ging. Strahlkraft der Weisheit und diplomatisches Geschick wurden ersetzt durch bloßes Gezeter und öliges Fernsehgetue, was besonders deprimierend ist, wenn man sich daran erinnert, daß die Juden ja oft als "Volk der Schrift" apostrophiert wurden, als Meister sprachlicher Subtilitäten und feiner Anspielungen. Adel, auch Geistesadel, verpflichtet eigentlich, gerade auch in der Hitze von Wortgefechten.

Aber man hat es dem Zentralrat eben allzu lange allzu leicht gemacht. Seine Vertreter konnten sagen, was sie wollten - stets wurden ihre Äußerungen von den Politikern mit fast kriecherischer Untertänigkeit entgegengenommen, galten als Nonplusultra und manchmal sogar als mythische Orakelsprüche, gegen die jeder Einwand von vornherein zu verstummen hatte. Paul Spiegel oder Michel Friedman brauchten sich also beim Formulieren und Vor-die-Kamera-Treten überhaupt keine Mühe mehr zu geben, und daran haben sie sich allem Anschein nach so gewöhnt, daß sie nun umso erstaunter sind, wenn Möllemann nicht gleich in die byzantinische Hocke geht.

Mit Wehmut erinnert sich Pankraz an die Juden, mit denen er im Laufe seiner publizistischen und wissenschaftlichen Karriere zu tun hatte, an Ernst Bloch und Manès Sperber beispielsweise, an Norbert Mühlen und Arthur Koestler, an Friedrich Torberg, Erich Gottgetreu und manche andere. Es waren dies freilich keine Standesvertreter oder Verbandspolitiker, sondern höchst unabhängige Persönlichkeiten, die letztlich immer nur für sich selber sprachen und deren Treue zu ihrer Herkunft, wie sich das bei guten Intellektuellen ja beinahe von selbst versteht, ausbalanciert wurde durch ein andauerndes kritisches Bedenken dieser Herkunft, durch Distanz und Dissidenz.

Koestler etwa konnte in Zorn entbrennen, wenn man ihn wie selbstverständlich als Jude apostrophierte. "Ich bin kein Jude", sagte er ärgerlich, "ich bin ein atheistischer Brite ungarischer Abstammung. Wollte ich ein Jude sein, dann müßte ich entweder zur religiösen Glaubensgemeinschaft des Judentums übertreten oder nach Israel auswandern und die dortige Staatsbürgerschaft erwerben, eins von beiden. Beides zusammen wäre schon fragwürdig, und die sogenannten jüdischen Verbandspolitiker sollten sich endlich einmal entscheiden, ob sie nun ein Volk, eine Nation oder eine Glaubensgemeinde vertreten."

Trotzdem blieb auch er sich seiner Wurzeln scharf bewußt, und man konnte mit ihm interessante Gespräche über jüdische Probleme und Geschicke führen. Er hegte - mehr unbewußt denn bewußt - eine Grundsolidarität mit den Juden, aber alles blieb bei ihm im Lichte klarer Rationalität. Rassistische Mythisierungsversuche, gar solche aggressiver Art ("Ihr seid das Volk der Täter und werdet es ewig bleiben"), waren ihm, wie auch den anderen, völlig fremd. Solche Versuche, vermutet Pankraz, sind ziemlich neuen Datums. Sie werden in Szene gesetzt von Vertretern der "Holocaust-Industrie" (Nor-man Finkelstein), vor allem von jenen deutscher Abkunft, die meistens eine antiisraelische ("antizionistische") 68er-Vergangenheit haben, die sie "bewältigen" wollen.

Diese Leute haben nicht nur das Niveau dramatisch gesenkt, sie haben es fertig gebracht, in Hinblick auf jüdische, israelische oder palästinensisch-israelische Belange ein Geistesklima zu schaffen, das völlig unakzeptabel ist, weil es gewissermaßen zum Himmel stinkt und Zumutungen schafft, die jeden aufrechten Gang unmöglich machen. Es wird allen Ernstes verlangt, die ganze tausendjährige deutsche Geschichte auf den "Holocaust" im Zweiten Weltkrieg zu reduzieren, diesen zu einem Negativgott zu erhöhen, an dem sich alles ausrichten muß. Es werden Denk- und Sprechverbote ausgerufen, es wütet eine gnadenlose Meinungsjustiz, die historische und theologische Forschung wird behindert, der Operationsraum der Außenpolitik künstlich eingeschränkt. So etwas kann man sich nicht gefallen lassen.

Die Niveaulosigkeit der gegenwärtigen FDP- und Möllemann-"Debatte" ist letztlich nur ein Nebenaspekt der allgemeinen Misere. Sie birgt indes die Chance zu einer Umkehr, zur Rückkehr in normale Politik- und Geistesverhältnisse. Manchmal haben auch kleine Ursachen große Wirkung. Was als bloße Eintrübung modischer Spaßpolitik begann, könnte sich zu einem die politische Atmosphäre insgesamt reinigenden Gewitter auswachsen.

Alle beteiligten Kräfte müßten sich dazu allerdings kräftig am Riemen reißen. Sie müßten gleichsam über sich hinauswachsen, sich ihrer ruhmreichen Vorgänger Theodor Heuß und Leo Baeck erinnern und ihnen nachzueifern streben.


 
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