© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/02 31. Mai 2002

 
BLICK NACH OSTEN
Neue Budapester Kehrtwende
Carl Gustaf Ströhm

Heutzutage gleichen Wahlen in demokratischen Staaten einem Roulettespiel: oft gehen sie anders aus, als es Demoskopen prophezeiten. Im Grunde sind die Ergebnisse nichts anderes als momentane Stimmungsbilder. Würde man die gleiche Wahl zwei oder drei Wochen später nochmals abhalten, könnte das Ergebnis ganz anders aussehen.

In Ungarn sind die aus den Kommunisten hervorgegangenen Sozialisten (MSZP) - nicht zuletzt mit Hilfe des hervorragenden israelischen Werbeprofis Ron Werber - als Sieger aus den Parlamentswahlen hervorgegangen. Sie können mit Hilfe der gerade noch über fünf Prozent gekletterten linksliberalen Freien Demokraten (SZDSZ) regieren. Dem abgewählten Premier Viktor Orbán hilft es nicht, daß seine bürgerliche Fidesz stärkste Partei bleibt.

Interessant ist, daß die neue Links-Regierung in Budapest offenbar einige "Kurskorrekturen" in der Außenpolitik vollziehen will. So hat der neue Außenminister László Kovács (der übrigens gleichzeitig MSZP-Chef ist) ungewöhnlich scharfe Kritik an der Außenpolitik der konservativen Vorgänger geübt. Eine solche Distanzierung von der bisherigen Außenpolitik ist zumindest für konsolidierte demokratische Strukturen ungewöhnlich. Es zeigt die innere Labilität der postkommunistischen Gesellschaften an.

Kovács, der schon 1994 bis 1998 in der MSZP-SZDSZ-Regierung Gyula Horns das Außenamt leitete, wirft der Orbán-Regierung "Nationalismus" vor. Gleichzeitig beschuldigt er den abgewählten Ministerpräsidenten, dieser habe ständig an der EU herumgemäkelt. Solch scharfe Worte, wie sie Orbán in Richtung Brüssel aussprach, werde es unter der neuen Linksregierung nicht geben. Anders gesagt: Der 62jährige ex-kommunistische "Altkader" wirft der bisherigen Fidesz-Regierung vor, die nationalen Interessen gegenüber der EU zu nachdrücklich vertreten zu haben. Der "Abbau des Nationalen" erweist sich einmal mehr als Gemeinsamkeit zwischen westlichen "Neoliberalen" und "gewendeten" Sozialisten.

Kovács läßt auch kein gutes Haar an der bisherigen Volksgruppen-Politik. Man müsse die von Orbán eingeführten "Status-Gesetze" überprüfen. Diese gewähren Angehörigen der ungarischen Volksgruppe außerhalb des heutigen Ungarn (Siebenbürgen, Banat, Slowakei) gewisse Privilegien - etwa das Recht auf einen Arbeitsplatz und Ausbildung in Ungarn - trotz "fremder" Staatsbürgerschaft. Wenn Kovács, wie er sagt, diese Gesetze "überprüfen" und den Nachdruck auf eine Förderung der ungarischen Minderheiten innerhalb ihrer Staaten legen will, bedeutet dies, daß vielleicht die Beziehungen zu Preßburg oder Bukarest verbessert werden - allerdings auf Kosten der dort lebenden Ungarn. Hier könnte es Konflikte geben.

Eine weitere Akzentverschiebung läßt aufhorchen. Vor einigen Wochen hatte der internationale Sekretär der Sozialisten, Vilmos Szabó, ziemlich brüsk erklärt, die neue Regierung werde die Beziehungen zu Österreich distanzierter und kühler wahrnehmen als bisher. Eine "Achse Wien-Budapest" (möglicherweise mit Stoibers München im Hintergrund) "brauche Ungarn nicht". Statt dessen wolle man die Beziehungen zu den Nachbarn im Osten - und zu den USA, Asien und Japan ausbauen. Das ist eine Verbeugung vor der Sozialistischen Internationale und ein Hieb gegen Edmund Stoiber und den Wiener Kanzler Wolfgang Schüssel. Beide hatten Orbán im Wahlkampf unterstützt. Das "neue" (alte) Budapest antwortet mit ideologischer Außenpolitik.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen