© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/02 31. Mai 2002

 
Nicht nur ein Streit um Worte
Europäische Union: Schnelle EU-Eingreiftruppe könnte am Veto Griechenlands scheitern / Angst vor türkischem Einfluß
Gregor M. Manousakis

Das früher jugoslawische Mazedonien sollte der erste Einsatz für die Soldaten mit dem blau-goldenen Sternenbanner werden. Doch die Bildung einer "Schnellen EU-Eingreiftruppe" ist weiter unsicher, denn die griechische Regierung ist entschlossen, deren Aufstellung durch ein Veto zu verhindern, sollte die Bildung der EU-Streitmacht tatsächlich auf der Grundlage des "Papiers von Ankara" erfolgen . Man könne sich doch nicht den Türken ausliefern.

Das "Ankara-Papier" sei außerhalb der EU erstellt worden, erklärte der griechische Vizeaußenminister Anastassios Giannitsis. Es müsse zwar eine enge Kooperation mit der Nato geben, aber es könne nicht angehen, daß einem Drittland (also der Türkei) mehr Mitspracherecht als einem EU-Mitglied eingeräumt werde, meinte der für EU-Fragen zuständige Giannitsis.

Im Zusammenhang mit der Bombardierung Jugoslawiens sind zwischen den USA und Großbritannien einerseits und den übrigen europäischen Nato-Verbündeten andererseits erhebliche Meinungsverschiedenheiten entstanden. Sie wurden sorgfältig kaschiert und bleiben bis heute unter Verschluß.

Unmittelbar nach der Beendigung dieses Krieges, Anfang Juni 1999, legten die EU-Staats- und Regierungschefs in Köln den Grundstein für eine eigene Sicherheits- und Verteidigungsidentität der EU. Ziel war - wenn auch in enger Zusammenarbeit mit der Nato - eigenständige Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) zu entwickeln. Das neue EU-Organ sollte demnach bis Ende 2000 die Aufgaben der Westeuropäischen Union (WEU) im Bereich der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung in Europa übernehmen. Dafür wurde die Aufstellung einer Streitmacht von 60.000 Mann bis 2003 vorgesehen.

Der EU-Rat strebte von vornherein klare Zuständigkeiten und eigenständige Entscheidungen für das neue Organ der Union an. Es wurde daher gleich festgelegt, daß es nur aus den zehn Vollmitgliedern der WEU (Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal, Spanien), zusammengesetzt wird. Damit wurden bewußt Nicht-EU-Mitglieder von dem Entscheidungsprozeß des neuen EU-Organs ausgeschlossen. Dahinter stand das Drängen Washingtons, durch die Beteiligung der Türkei als Vollmitglied der ESVP ihre EU-Mitgliedschaft zu präjudizieren.

Dennoch hatte Briten-Premier Blair im Dezember 2000 in Nizza alle Vorhaben des EU-Rates über die Eigenständigkeit der ESVP abgeblockt. Der französische Präsident Chirac, der am stärksten die Eigenständigkeit der ESVP forderte, meinte dazu lediglich, er wolle "einen Streit um Worte vermeiden". Damit war es um die Eigenständigkeit der ESVP geschehen. Indes machte die Türkei klar, daß sie als Nato-Mitglied den Rückgriff der EU-Truppe auf Nato-Strukturen verweigern würde, wenn sie selbst nicht als Vollmitglied der ESVP beteiligt wird. Zugleich lehnte Ankara den späteren, aber bereits angemeldeten Beitrag Zyperns in der EU-Truppe ab.

Daher arbeitete EU-Chefdiplomat Javier Solana einen Kompromißvorschlag aus, der in Ankara von ihm, Nato-Generalsekretär George Robertson, sowie türkischen und US-Diplomaten verfaßt wurde - das "Papier von Ankara". Danach wird die Türkei über die Nato an der Planung des Einsatzes der EU-Streitmacht beteiligt. Darüber hinaus wird außer Zypern auch die Ägäis als Einsatzgebiet der EU-Truppe ausgeschlossen. Bestehen bleibt aber der Beschluß des türkischen Parlaments, die Ausdehnung der griechischen Territorialgewässer - gemäß des neuen Seerechts auf zwölf Seemeilen auszudehnen - als casus belli zu betrachten.

Athen erwartet nicht, daß die EU griechische Inseln gegen die Türkei verteidigt, es kritisiert aber die Art, wie Washington die Beschlüsse des EU-Rates behandelt. Es sei ein Beispiel dafür, wie die Türkei EU-Mitglied werden kann, ohne die Bedingungen von Helsinki zu erfüllen: Realisierung der Menschenrechte, Ausgleich mit Griechenland, EU-Mitgliedschaft Zyperns. Durch die Beteiligung der Türkei an der militärischen Planung der EU-Truppe werden auf die Union die gleichen Schwierigkeiten übertragen, mit welchen die Nato konfrontiert ist, seitdem Ankara Anfang der siebziger Jahre Ansprüche auf griechische Inseln in der Ägäis erhob.

Im Mai 2002 kamen Solana und Robertson nach Athen, um Ministerpräsident Kostas Simitis umzustimmen. Der Sozialist machte ihnen aber nochmals klar, das "Papier von Ankara" bedeute Athens ochi (nein) zur ESVP. Ihr Angebot, in einem offiziellen Brief gewisse Aspekte des "Papiers von Ankara" zu "erläutern" und zugleich Griechenland eine "führende Rolle" in Südosteuropa zuzuerkennen, wurde abgelehnt.

Auch ein spanischer Kompromißvorschlag blieb erfolglos. Dabei wird es bleiben - jedoch nicht, weil Simitis standhafter ist oder besser für EU-Interessen eintritt als seine europäischen Kollegen. Allein seine Absicht, jenes Papier zu unterschreiben, würde zu seinem sofortigen Sturz führen. Und zwar nicht durch die bürgerliche oder kommunistische Opposition, sondern durch die eigene Partei - die Panhellenische Sozialistische Bewegung (PASOK). Und ab Juli übernimmt Athen als Mitglied der EU-Troika die sicherheitspolitischen Agenden der EU und ab Januar 2003 die Ratspräsidentschaft. Das stärkt die griechische Position ebenfalls.


 
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