© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/02 31. Mai 2002

 
Tabus brechen für Wählerstimmen
FDP: Der vermeintliche Rechtskurs hat keinen substantiellen Hintergrund, sondern dient ausschließlich der Wahltaktik
Paul Rosen

Für Gutmenschen und stets Be troffene ist die FDP dabei, in den Prozeß der "Haiderisierung" überzugehen. Und während Bundeskanzler Gerhard Schröder den Liberalen, die er vielleicht nach dem 22. September dringend brauchen könnte, zunächst die Regierungsfähigkeit abspricht, hüllt sich der andere potentielle Koalitionspartner, die Union, in betretenes Schweigen.

Die sogenannte "Karsli-Affäre" hat die Bundesrepublik durcheinandergewirbelt. Grund war die Verletzung eines staatlichen Tabus: In Deutschland kritisiert man Juden und Israel nicht. Die in ihren Endzügen liegende Spaßgesellschaft hat den komplexen Vorgang jedoch nicht so recht begriffen: Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Jürgen Möllemann, der die ganze Sache ins Rollen brachte, ist alles andere als ein Antisemit. Der Mann will Aufmerksamkeit um jeden Preis. Und die erhält man in der politisch verklemmten deutschen Republik am besten durch den Bruch von Tabus.

Es darf allerdings als sicher gelten, daß der Fall Jamal Karsli nicht von Anfang an in eine Debatte über Antisemitismus in Deutschland münden sollte. Möllemann hatte mit der Aufnahme des aus Syrien stammenden Düsseldorfer Landtagsabgeordneten in die FDP nach dessen Austritt bei den Grünen etwas anderes im Sinn. Er wollte die rot-grüne Mehrheit in Nordrhein-Westfalen schwächen. Dafür nahm er Karsli in Kauf, der selbst im Nadelstreifenanzug nicht gerade wie ein typischer Repräsentant des deutschen Liberalismus wirkt. Möllemanns Rechnung ging offenbar dahin, daß die SPD den ein oder anderen Landtagsabgeordneten wegen der Kölner Spendenaffäre verlieren könnte und Ministerpräsident Wolfgang Clement ohne Mehrheit im Landtag sein würde. Dann wäre Möllemanns Stunde gekommen, Rot-Grün durch ein sozialliberales Bündnis ersetzen zu können.

Es kennzeichnet den chamäleonhaften Charakter Möllemanns, daß er die Kritik an Karslis angeblich antisemitischen Äußerungen zu einer Kehrtwende nutzte. Derselbe Möllemann, der gerade noch an der sozialliberalen Option bastelte, machte sich nun zum Stoßtruppführer gegen den Zentralrat der Juden, einer Organisation, die viele in Deutschland für eine Oberinstanz in Sachen politischer Moral halten.

FDP-Chef Guido Westerwelle schien lange zu zögern, ehe er seinen Stellvertreter in die Schranken wies. In Berlin wurde das Gerücht ausgegeben, Westerwelle habe sich erst mit der Altherrenriege der FDP, allen voran Möllemanns altem Patron Hans-Dietrich Genscher, einig werden müssen. Erst als Genscher sich pflichtschuldig über Möllemann mit einem väterlichen Du-Du entrüstete, ging auch der Parteivorsitzende auf Gegenkurs.

Doch eine Wende um 180 Grad wollte und konnte Westerwelle nicht schaffen. Zu stark ist Möllemanns Einfluß in der FDP. Sein nordrhein-westfälischer Landesverband stellt ein Viertel aller FDP-Mitglieder. Die Liberalen an Rhein und Ruhr verehren den Lehrer aus Münster, den sie einst davongejagt hatten, weil nur Möllemann in der Lage war, sie aus der politischen Bedeutungslosigkeit zu erlösen und in den Landtag zurückzuführen. Auch Westerwelle gehört zu dem nordrhein-westfälischen Landesverband. Nur gemeinsam schafften es Westerwelle und Möllemann, den bürgerlich-langweiligen Hessen Wolfgang Gerhardt an der Parteispitze abzulösen. Und gemeinsam betrieben sie das "Projekt 18" und die "Kanzlerkandidatur", auch wenn Möllemann bei diesen Themen eher als die treibende Figur erscheint. Westerwelle kann es sich im Moment nicht leisten, Möllemann wie eine heiße Kartoffel fallenzulassen. Er will es auch gar nicht.

Möllemann hat seine Prinzipien, besser gesagt seine Prinzipienlosigkeit, bereits vor mehreren Jahren auf einem FDP-Bundesparteitag dargelegt. Damals wies er darauf hin, daß eine kleine Partei wie die FDP, wenn sie mehr Aufmerksamkeit und größer werden wolle, dies nicht mit wohlfeilen sachpolitischen Argumenten schaffen könne. Er empfahl den Bruch von Tabus, in denen es in Deutschland nur zu viele gäbe. Einen Vorgeschmack lieferte er im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf, indem er ein Hitler-Porträt auf ein Wahlplakat drucken wollte. Der Aufschrei der Empörung stellte sicher, daß der Entwurf des Wahlplakats bundesweit bekannt wurde, ohne daß Möllemann die Druckmaschinen hätte anwerfen lassen müssen.

Als der Fall Karsli hochkochte, witterte Möllemann die Chancen, die darin lagen und liegen. Westerwelle ließ ihn gewähren, weil auch der FDP-Chef inzwischen weiß, daß er an den Vorgängen nur gewinnen kann: Setzt sich Möllemann durch, hat die FDP als einig dagestanden. Fällt Möllemann, kann sich Westerwelle als Lordsiegelbewahrer der "Political Correctness" präsentieren. So konnte Möllemann - betont locker - gegen den Zentralrat der Juden in Deutschland losgehen, dessen Hauptakteure Paul Spiegel und Michel Friedman den Luftikus aus Münster offenbar nicht durchschaut haben, sondern die ihnen servierten Spielchen für bare Münze nahmen und nehmen. Möllemann würde, das sollten Spiegel und Friedman wissen, ebensogut den Papst attackieren, wenn sich daraus politisches Kapital schlagen ließe.

Spiegel und Friedman übersahen auch, wie Möllemann sich von dem von ihnen entfachten Sturm mit Vergnügen treiben ließ. So schrieb er ausgerechnet im einstigen SED-Zentralorgan Neues Deutschland eine Kolumne, in der er wissen ließ, die FDP sei auch an Wählern rechter Protestparteien interessiert. Mit Blick auf Wahlergebnisse in Österreich, Frankreich und den Niederlanden redete er von Veränderungen der Parteienlandschaft, die auch in Deutschland möglich wären.

Nichts anderes hat vor Monaten bereits Westerwelle getan, als er das Ende der traditionellen Volksparteien ausrief. Möllemann will die Liberalen nicht auf Rechtskurs bringen, für ihn sind weder Haider noch Le Pen Vorbilder. Möllemann will nur Möllemann. Mit leichten Einschränkungen gilt dies auch für Westerwelle. Der Kampf gegen deutsche Tabus wird aus Lust an der Freude, aber nicht vor dem Hintergrund irgendwelcher Überzeugungen geführt. Daher taugt diese FDP nicht zur Haiderisierung. Sie ist und bleibt ein Karriereverein.


 
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