© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/02 31. Mai 2002

 
Condoleezza Rice
Hand am Colt
von Ronald Gläser

In der auseinanderdriftenden Gesellschaft der USA kommt den Vertretern der Minderheiten eine besondere Rolle zu. Es wäre aber voreilig, solche Repräsentanten als reine Quotenfiguren anzusehen. Condoleezza Rice verdankt ihr Amt nicht nur der Tatsache, daß sie Negerin ist. Die 47jährige Politikprofessorin hat Erfahrung im Washingtoner Politikbetrieb. Als Sicherheitsberaterin von George W. Bush übt sie großen Einfluß auf die amerikanische Außenpolitik aus.

Condoleezza Rice stammt aus Alabama. Bei ihrer Geburt galt im Süden noch die Rassentrennung. Ihre familiäre Herkunft aber weist sie als Vertreterin der schwarzen Oberschicht aus. Vielleicht versteht sie sich deshalb so gut mit den Ölbaronen des texanischen Bush-Clans.

Ihr Vater war Priester und Republikaner. Er prägte ihr Weltbild ebenso wie Josef Korbel, der Vater von Madeleine Albright, bei dem sie Politikwissenschaft studierte. Ihre Karriere als Regierungsbeamte begann die Osteuropaexpertin im Beraterstab von George Bush senior, unter ihm war sie 1990 an den Zwei-plus-vier-Gesprächen beteiligt.

Ihr Charme, ihr Klavierspiel und ihre Weiblichkeit vollenden ihre Erscheinung als Virtuosin der Macht. So wird sie auch als George Bushs "sanfte Hand am Colt des Sheriffs" tituliert. Sie hat gute Chancen, als erste schwarze Frau Außenministerin der Vereinigten Staaten zu werden.

Aber die talentierte Karrierefrau ist nicht die "Mutter Theresa" der neuen Weltordnung. Sie wäre nicht Topberaterin eines Präsidenten, wenn sie nicht auch berechnend und knallhart wäre. Sie "steht hinter" dem amerikanischen Raketenabwehrsystem NMD, sie verhandelt mit Vladimir Putin die Details der künftigen Zusammenarbeit. Dabei geht es etwa um Öllieferungen, sollte der Nahe Osten einmal als Lieferant ausfallen. Denn das Öl der Araber sprudelt möglicherweise bald nicht mehr, da die USA in dieser Region militärische Stärke statt politische Vernunft walten lassen.

Einiges über Condoleezza Rice verraten ihre Bemerkungen zur Geschichte: So kritisierte sie ihr Heimatland wegen des Mangels an multikulturellem Selbstverständnis. Dem Time-Magazin gegenüber nannte sie Harry Truman als den größten US-Präsidenten des 20. Jahrhunderts - eine Republikanerin huldigt einem Demokraten. Und Truman gehörte nicht nur einer anderen Partei an, er hatte auch die militärisch sinnlosen Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zu verantworten.

Zeichnet sich hier die neue Leitlinie der US-Außenpolitik ab? Ist die Topberaterin des "mächtigsten Mannes" der Welt gewillt, Stärke zu demonstrieren und Macht auszuüben, wie es Truman tat? Bereits im November äußerte sie als engste Vertraute des Präsidenten, daß dieser ohne Konsultation des Parlaments das Recht habe, den Irak anzugreifen. Condoleezza Rice darf nicht unterschätzt werden.


 
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