© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/02 31. Mai 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Orientierungshilfe
Karl Heinzen

Im Prinzip setzt der Staat, wer immer das dann im Zeitalter von Europäischer Integration und Föderalismus auch sein mag, jene Rechtsordnung, an die sich die Unternehmen zu halten haben. Er beeinflußt damit ihre Kosten und ihre Erträge. Auch wenn unser Gemeinwesen die Wirtschaft letztlich nicht in die Pflicht nehmen kann, ist auf diese Weise wenigstens ihr Interesse an öffentlichen Belangen geweckt.

Dies gilt sogar für große, gar international aufgestellte Konzerne. Wenn deren Spitzenmanager, wie jüngst von der "Welt am Sonntag" dokumentiert, sich so ihre Gedanken über die anstehende Bundestagswahl machen, ist dies nicht von vornherein als Imageheuchelei zu werten, obwohl ihre Stimme am 22.September ja gar nicht mehr wiegen wird als die eines jeden x-beliebigen Geringverdieners. Ihr Wunsch ist so bescheiden wie berechenbar: Sie wollen, allein schon ihrer Shareholder zuliebe, aber auch, um den Erfolgsanreizen ihrer Arbeitsverträge gerecht zu werden, vom Staat die Chance erhalten, mehr Gewinn zu erzielen. Diesen Wunsch müssen sie fairerweise öffentlich äußern. Die Staaten stehen im Wettbewerb um die Gunst der Unternehmen und sollten alle gleichermaßen wissen, worauf sie zu achten haben. Die Wähler wiederum brauchen diese Orientierung, damit sie sich von der Politik nicht zuviel versprechen und ihren Wohlstand nicht durch eine unbedachte Stimmabgabe in Frage stellen.

Welches Votum ist aber nun die beste Investition? Die Sozialdemokratie hat viel von ihrem Nimbus verloren, mit dem sie nach der Beendigung der Schreckensherrschaft Helmut Kohls angetreten war. Sie hat zwar begriffen, daß man jenen Unternehmen, die größer sind, auch mehr Gewicht beimessen muß. Es reicht aber nicht, prioritäre Interessen bloß zu erkennen und anzuerkennen, wenn keine entsprechenden Taten folgen. Die rot-grüne Regierungskoalition gibt sich zu schnell mit Reformen zufrieden, die die Wirtschaft nicht als solche ansehen kann. Die Union hingegen hat sich in den viel zu kurzen Jahren der Opposition zwar nicht regeneriert, aber doch insofern Sympathiepunkte gesammelt, als sie gewillt zu sein scheint, dem moralischen Anspruch der Unternehmen auf eine geringere Belastung unabhängig von haushaltspolitischen Beckmessereien Rechnung zu tragen. Diesen Bonus verspielt sie jedoch durch ihre Mittelstandsideologie und den hinsichtlich seiner Konsequenzen auch für die Wahlchancen Edmund Stoibers undurchdachten Vorschlag, die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen für Kapitalgesellschaften wieder abzuschaffen.

Welches Ergebnis der 22. September auch bringen mag: Viele Wünsche der großen Unternehmen werden auch danach offen bleiben. Dies wird sie gleichwohl nicht unzufrieden stimmen. Die Macht, die die Ökonomie mit ihren vorgeblichen Sachzwängen über die Menschen beansprucht, wird durch ein strukturelles Versagen der Politik legitimiert. Weder Gerhard Schröder noch sein Herausforderer werden hier den Gegenbeweis führen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen