© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   23/02 31. Mai 2002


Die Populisten kommen
Möllemann provoziert die politische Klasse - und beerdigt die alte FDP
Michael Wiesberg

In den Aphorismen des Schriftstellers Robert Musil findet sich die treffende Bemerkung, daß Politik Wille und nicht Wahrheit sei. Politischer Wille freilich bewirkt nichts, wenn er nicht erfolgreich kommuniziert werden kann. Diese Einsicht gilt in der heutigen Informationsgesellschaft mehr denn je. Die Kommunikation politischer Inhalte muß, soll sie zum Erfolg kommen, die Aufmerksamkeit der "Öffentlichkeit" auf sich ziehen.

Genau das gelingt Jürgen Möllemann, der die Parole von den 18 Prozent ausgegeben hat, die seine FDP bei den Bundestagswahlen erreichen könnte, wenn sie nur wollte. Möllemanns Agenda setting hat inzwischen selbst die politischen Schwergewichte der Volksparteien SPD und Union verblassen lassen. Wenn auch die veröffentlichte Meinung in diesen Tagen kein gutes Haar an dem umtriebigen PR-Strategen aus Nordrhein-Westfalen läßt: Möllemann kann sich sicher sein, daß er den Nerv breiter Bevölkerungsschichten getroffen hat.

Insbesondere seine klaren Worte in Richtung Michel Friedman, dem so selbstverliebten wie selbstherrlichen stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrates der Juden, dürften bei vielen auf Sympathie gestoßen sein. Möllemann haben seine deutlichen Worte gegenüber Friedman den Vorwurf des "Antisemitismus" eingebracht. Dieser wurde ausgerechnet im Spiegel von Matthias Mattusek entkräftet. Mattusek stellte dort unter anderem fest: "Was soll daran antisemitisch sein, Michel Friedman nicht zu mögen?" Anstatt Möllemann in seine Show einzuladen, rekurriere Friedman auf die "billigste Volte" überhaupt. Er rufe Antisemit und könne sicher sein, daß in fünf Minuten "das gesamte gute Deutschland" mitrufe. "Das ist der eigentlich skandalöse, weil für einen Intellektuellen und Journalisten so unsportliche Vorgang", schlußfolgert Mattusek. "Austeilen und dann nicht etwa einstecken, sondern hinter den nächsten Baum springen und brüllen ‚Antisemit'." Der Antisemitismus-Verdacht, das sei der "Overkill im öffentlichen Raum".

Möllemann hat es nicht bei seiner Kontroverse mit Friedman belassen, sondern gleich noch einen Kampfplatz eröffnet. Am Montag dieser Woche verkündete er in einer Kolumne im Neuen Deutschland: "Zu Beginn des dritten Jahrtausends prägte eine Welle des erwachenden Selbstbewußtseins der Menschen die Völker und Staaten Europas. Ein mündiges Volk von Demokraten nach dem anderen zwang die politische Klasse, sich an Haupt und Gliedern zu erneuern." Beispielhaft nannte er die Erfolge von Jörg Haider in Österreich und die des ermordeten niederländischen Politikers Pim Fortuyn.

"Die Zeit der Glaubenskriege", schreibt Möllemann weiter, "in der jede Wahl als ideologischer Richtungskrieg und Lagerwahlkampf geführt worden war, gehe ihrem Ende entgegen." Worte, die den Nerv der Zeit treffen. Diese überraschende Wendung Möllemanns dürfte sich vor allem der Einsicht verdanken, daß auch Deutschland über kurz oder lang von dem Rechtstrend in Europa erfaßt werden könnte.

Dies ließ Parteichef Westerwelle durchblicken, als er feststellte: Wenn die Parlamentsparteien nicht stärker aussprächen, was im Volk gedacht werde, werde es "höchstens zwei Jahre dauern", bis sich auch in Deutschland eine neue rechtspopulistische Partei formieren werde. Thomas Schmid hatte also nicht unrecht, als er in der FAZ feststellte, daß nicht "deutschnationale Traditionsseligkeit, sondern der brennende Wunsch, die jüngste und frischeste aller Parteien zu sein", die FDP "zum Vollstrecker des Tabubruchs gemacht" habe, der "auch ohne sie gekommen wäre".

Auch wenn Möllemann einen Teil seiner Worte wieder relativiert hat, als er Jörg Haider einen "politischen Rattenfänger" nannte, den er "zum Teufel" wünsche: Möllemann ist, wie es Schmid ausdrückte, zum "Vollstrecker des Tabubruchs" geworden, ob er diese Rolle nun annimmt oder nicht. Das spürt auch die politische Konkurrenz.

Der bündnisgrüne Außenminister Fischer beeilte sich denn auch, die FDP als einen "Hort des Antisemitismus" zu denunzieren. Er weiß warum: Sollte die FDP nämlich zu stark werden, ist es um die Regierungsbeteiligung der Bündnisgrünen und vor allem um seine ganz persönliche Karriere als Außenminister geschehen. Entsprechend dramatisch ist das Lakrimosa, das Fischer und seine Sekundanten mit dem notorisch guten Gewissen anstimmen: FDP-Chef Guido Westerwelle und dessen Vize Jürgen Möllemann sei "das übelste Gebräu nicht zu schade", um ihr Bundestagswahlziel 18 Prozent zu erreichen, jammerte Fischer. Es sei "schäbig und gefährlich", Minderheiten zu instrumentalisieren, um einen Kurswechsel der Partei zu bewerkstelligen.

Zum Gutmenschen Fischer gehört mittlerweile auch die kritiklose Adaption der israelischen Standpunkte. Diese Voreingenommenheit verletze nach den Worten des Unionspolitikers Karl Lamers das Neutralitätsgebot der deutschen Außenpolitik. Seitdem wird Lamers von den Bündnisgrünen, die keine Kontroverse mehr ohne Volksverhetzungsklage führen mögen, ähnlich kritisch wie Norbert Blüm beäugt, der mit seinem Vorwurf vom "Vernichtungskrieg", den die Regierung Scharon führe, die Grenzen der Political Correctness aus Sicht der Grünen in unzulässiger Art und Weise auslotete.

Nicht müde, seine Bedenken zu verkünden, wird auch der um staatsmännische Dignität ringende Bundeskanzler Schröder: "Wir lassen nicht zu", verkündete der Kanzler mit der ihm eigenen verschraubten Rhetorik, "daß dieses Europa rechten Populisten in die Hände fällt." Es begann in Österreich, stellte auch Schröder fest, "und hat sich in Norwegen, Dänemark, Italien, Frankreich, Belgien und den Niederlanden fortgesetzt." In ganz Europa? Nein! Denn ein Gebiet, nämlich Deutschland, widersteht bisher dank Schröder und seinen rot-grünen Panzerbären noch der rechtspo-pulistischen Expansion. Daß Schröder in Wirklichkeit um sein Amt zittert, weiß Möllemann ganz genau: "Der hat die Hosen gestrichen voll. Der ist bei 33 Prozent, der Knilch."

Auch die Union mag beim großen Möllemann-Verhauen nicht zurückstehen. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel bezeichnete Möllemann als nicht mehr "ministrabel". Sie forderte Westerwelle auf, sich "endlich und eindeutig" gegen Möllemann durchzusetzen. Westerwelle müsse beweisen, daß seine Partei nicht "mit dumpfen Gefühlen und Vorurteilen" Wahlkampf mache, meinte Merkel.

Möllemann erteilte allen diesen Bedenkenträgern in der ARD-Talkshow "Beckmann" souverän die passende Antwort: "Die sollten sich ihre eigenen Pfeifentruppen angucken", angefangen bei der "Gurke Scharping". Das sind Töne, wie sie Volkstribunen eigen sind - und für die Möllemann der Beifall und die Sympathie großer Teile der deutschen Bevölkerung sicher sind. 


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