© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/02 24. Mai 2002

 
Ausrichtung auf das sittliche Bewußtsein
Johannes Messners Kulturethik wurde nach fast fünfzig Jahren neu herausgegeben
Friedrich Romig

Zu den bekanntesten Gestalten des österreichischen Geisteslebens gehört der 1938 nach England emigrierte und nach dem Krieg wieder in seiner Heimat lehrende Verfasser des Standardwerkes über das "Naturrecht", P. Johannes Messner (1891-1984). Jetzt wurde seine 1954 ersterschienene "Kulturethik" neu herausgegeben.

Weder der Verfasser der "Kulturethik" noch die Herausgeber des Neudrucks hätten sich wohl träumen lassen, daß dieses Werk durch den "Zusammenstoß der Kulturen" eine kaum zu überbietende Aktualität erhalten könnte. Doch auch die Tatsache, daß in diesem mit 700 Seiten sehr umfangreichen, aus der damaligen Zeit heraus geschriebenem Werk kein Satz zu finden ist, der heute nur noch mit Einschränkungen zu akzeptieren wäre. Das hat wohl damit zu tun, daß Messners Schaffen sich an immer gültigen Wahrheiten und Prinzipien orientiert, die in der "Natur" oder dem "Wesen" des Menschen begründet sind.

Zu diesem Wesen des Menschen gehört ganz untrennbar "die Kultur". Mehr noch und in höherer Bedeutung als homo sapiens oder animal rationale ist der Mensch homo culturalis. Vernunft allein macht ihn noch nicht zum Kulturwesen, sondern allenfalls zur "Intelligenzbestie", erst die Überhöhung und die Ausrichtung durch das sittliche Bewußtsein bewirkt, daß der Gebrauch der Vernunft die ganze Kultur mit Geist erfüllen kann. Die Kultur ermöglicht dem Menschen "Lebenserfüllung", volle Entfaltung seiner Persönlichkeit, ein "Mensch von Kultur" zu werden und damit "Würde" zu erlangen. Die Entfaltung der sittlichen Persönlichkeit ist das "Leitmotiv" der Kultur.

Alle Lebenserfüllung ist an die Welt der Werte gebunden, Kultur als "Werteverwirklichung" gehört daher ganz und gar in "das Reich der Ethik", sie entspringt dem "ursprünglich sittlichen Bewußtsein" des Menschen. Die Ethik als Werteordnung ist nach Inhalt und Rangordnung nur begründbar aus der "Natur des Menschen", seinen "existentiellen Zwecken". Lebenserhaltung, Lebensvorsorge, Bildung, Reproduktion, gesellschaftliche Verbindung, Gottesverehrung sind solche Zwecke. Sie bilden den unveräußerlichen, unbestreitbaren, weil eben "existentiellen" oder "wesenhaften" Seinsbestand jeder Kultur und Maßstab für die Güterabwägung. Kultur entspringt der "Sozialnatur" des Menschen, sie ist Ausdruck des menschlichen Zusammenlebens, das sich hier auf Erden in der Zeit vollzieht und damit eine "Geschichte" aufweist und erzählt. Eben weil der Mensch von Anfang an nicht anders als in Gesellschaft, nämlich in der Familie leben konnte, hatte er auch von Anfang an ein sittliches Bewußtsein und ausgeprägten Ordnungssinn, sonst wäre er im Unrat seiner Wohnhöhlen erstickt. Von Kindheit an wird der Mensch geistig "durchformt" von Überzeugungen und Wertungen, wird er eingeführt in die gesellschaftlich überlieferten Denk- und Wertungsweisen und der darauf beruhenden Haltungen, Sitten und Gebräuche, die "man mit einem Wort auch als Volkstum bezeichnen kann". Kultur kann daher definiert werden als "die gesellschaftlich-geschichtliche Form der Lebensentfaltung eines Volkes als Ganzheit mit dem Grundziel der Persönlichkeitsentfaltung seiner Glieder durch Anteilnahme an dieser Lebensentfaltung auf allen Lebensgebieten". Die Kultur eines Volkstums spiegelt sich in seinem "objektiven Geist", der in Religion, Tradition, Ethos und Recht seine stärksten Ausdrucksformen findet.

Religion geht, so Messner, "in das geistige Wesen eines Volkes ein, um zum Lebensgrund seiner Kultur zu werden". Sie bestimmt "die Grundanschauungen und Grundwerte einer Kultur" und "sichert die Wahrheiten des natürlichen Sittengesetzes". Sie besitzt "stärkste Bindungskraft", denn "sie verwurzelt Tradition und Ethos im Ewigen, Unbedingten und Unwandelbaren". Gerade die empirischen Forschungen auf dem Gebiete der Ethnologie, Kulturanthropologie, Kunst- und Kulturgeschichte, Kultursoziologie und Kulturphilosophie haben gezeigt, daß "geschichtlich gesehen nichts gewisser ist, als daß die Religion die Kultur im eigentlichen Sinne erzeugt", Lebensstile und Kunstformen geschaffen hat und in die geistigen, die sozialen, die wirtschaftlichen und die politischen Kulturbereiche hineinwirkt. Nur materialistische, sozialistische und liberalistische "Blickverengung" kann den Zusammenhang von Religion und Kultur sowie die Tatsache leugnen, daß mit der Schwächung der Religion als lebensformender Kraft jede Kultur zu verfallen beginnt. Die Trennung von Religion und Kultur, Politik und Religion zeugt von Verantwortungslosigkeit und "irregeleitetem Kultursinn". Heute sind gerade die Kulturvermittler, die Familien, die Schulen, die Universitäten und Forschungsstätten, die Berufsgemeinschaften, die Religionsgemeinschaften und vor allem die auf die öffentliche Meinung einwirkenden Medien und Parteien sowie der Staat, aufgerufen, den Blick für jene Werte offenzuhalten, deren Anerkennung allein die Entwicklung der Kultur in Richtung des vollentfalteten Menschentums zu verbürgen vermögen. Sie sind durch das Gemeinwohl, dem sie dienen, sittlich verpflichtet, jeder "Zersetzung des sittlichen und religiösen Wurzel- und Wachstumsgrundes der Kultur" entgegenzutreten. Zu ihrer Pflicht gehört der Respekt vor Tradition und Ethos der Gesellschaft. Alle haben das "überkommene Erbe an Erfahrungen, Arbeit und Erkenntnissen" der Generationen "durch eigene Bewährung zu erhalten, fortzubilden und an die Nachkommen weiterzugeben". Ethos ist ja nicht anderes als "die traditionsgebundene Sittlichkeit einer Gesellschaft", entfalten doch in den "Ethosformen die Völker ihre sittliche Individualität mit ihren besonderen sittlichen Werten wie Tapferkeit, Ausdauer, Gerechtigkeit, Treue, Familiensinn, Arbeitsfleiß, Sparsamkeit, Gleichmut, Mäßigkeit, Nüchternheit, Reinheit". Für ihre Geltung und Wirksamkeit sind alle Glieder einer Kulturgemeinschaft mitverantwortlich, und sie haben ihre Verantwortung in allen Lebensbereichen zu bewähren, in der Familie, im Beruf, im Staatsleben und im öffentlichen Leben, in dem sie mitwirken. Mit ihrer Gemeinschaftsverantwortung "für das Heil des ganzen Kulturkreises" tragen sie auch mit an der "Gemeinschaftsschuld" für den "Zerfall des Ethos", an dem die Völker zugrunde gehen.

Dem ist nur durch Wiedererrichtung einer "Gemeinwohlordnung" zu begegnen, die "Eigenrechte, Eigenmacht und Eigenverwaltung der nachbarschaftlichen und beruflichen Gemeinschaften stärkt, den "Kultursinn der Arbeit" wiedergewinnt und die Gemeinschaftstugenden wie Familiensinn, Gerechtigkeit, Hingabe und Opferbereitschaft entwickelt. Wir sollten nicht übersehen, daß der Sozialismus ja einst aus "verletzter Liebe" entstand, weil der Arbeiter aus der Kulturgemeinschaft ausgeschlossen und nur noch als Gegenstand des ökonomischen Kalküls und als "Produktionsfaktor" in der technisch-ökonomischen Funktionswelt angesehen wurde. Aber auch er möchte, wie jeder Mensch, daß durch seine Arbeit "die Erde reicher wird, als sie vor seiner Ankunft war".

Der Reichtum und die Gedankenfülle der "Kulturethik" läßt sich in einer Rezension nur andeuten. Das Hauptverdienst Messners besteht in der Aufrichtung unbestreitbarer und verbindlicher Maßstäbe für die Kulturethik, die Kulturentwicklung und die Kulturpolitik. Aus diesem Grunde gehört dies Buch in die Hände aller an Kultur Interessierten, der Kulturschaffenden und der Kulturpolitiker. Ihm ist schon wegen der so notwendigen Eindämmung des Kulturverfalls weiteste Verbreitung zu wünschen. Dem Lamentieren über diesen Verfall oder dem Appell an den guten Willen setzt es die Forderung nach aktivem Kampf für die wesenhaften oder "existentiellen" Werte der Kultur entgegen. Dieser Kampf mit der geschärften Klinge des Geistes aufzunehmen, wäre selbst dann sittliche Verpflichtung, wenn er aussichtslos wäre (was er nicht ist!). Der Mensch nämlich ist "niemals mehr er selbst, als wenn er, den Kreis des ihn persönlich Angehenden überschreitend, es mit den dräuenden Gewalten der Geschichte aufnimmt".

 

Alfred Klose, Rudolf Weiler: Johannes Messner: Kulturethik mit Grundlegung durch Prinzipienethik und Persönlichkeitsethik. Nachdruck der Ausgabe von 1954, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2001, 681 Seiten, 59,80 Euro

Dr. Friedrich Romig ist Universitäts-Dozent für Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien und war Mitglied der Europakommission der Österreichischen Bischofskonferenz.


 
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