© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/02 24. Mai 2002

 
Als sie noch lachten
Nachruf: Die Schweizer Schriftstellerin Salcia Landmann ist im Alter von 90 Jahren verstorben
Angelika Willig

Die Juden begegnen einem heute fast nur noch als Holocaust-Opfer. Von jüdischer Literatur, von Geschichte und Religion wissen wir wenig. Doch was wir wissen, wissen wir von Salcia Landmann. Sie hat nicht nur die Trümmer einer untergegangenen Kultur gesammelt, sondern auch deren Atmosphäre in ihrer Person vermittelt. Diese "Atmosphäre" ist nicht zuletzt durch Streitlust und Streitfähigkeit geprägt. Man hat diese kritische Geistigkeit häufig als "typisch jüdische" Eigenschaft bezeichnet. An Salcia Landmann läßt sie sich studieren. Nie scheute sich die Autorin, unpopuläre Auffassungen zu vertreten. Hatte sie den Leser schon fast von ihrer Meinung überzeugt, kam unerwartet eine neue Provokation. Dagegen empfindet man die kuhwarme Konsensbetonung in Deutschland als unangenehm.

Es mag die Kritiklust weniger am Erbe als an der geschichtlichen Herkunft liegen. Salcia Landmann wurde am 18. November 1911 in Zolkiew in Galizien (heute Ukraine) geboren. Noch im Alter erinnert sie an ihre Heimat mit "Mein Galizien". Das Ostjudentum war damals noch stark ghettoisiert. Es bestand die Notwendigkeit, sich innerlich zu behaupten. Als die Familie vor den Russen in die Schweiz emigrierte, nahm Salcia Landmann diese Widerstandskraft schon als unverlierbares Gepäck mit. Genauso wie ihre kompromißlose Ablehnung des Marxismus.

Das populärste ihrer vielen Bücher ist das 1960 erschienene "Der jüdische Witz". Für viele später geborene Deutsche ist es tatsächlich die einzige Quelle, aus der jüdische Töne ohne Trauermelodie, vielmehr lebendig, selbstbewußt und nachdenklich entgegenklingen. Der jüdische Witz spiegelt vor allem den Widerspruch zwischen "auserwähltem Volk" und der realen Armut und Verachtung seitens der "Gastvölker" wider. Landmann ging sogar so weit, die "Juden als Rasse" (1967; 1981) zu thematisieren. Der vernichtende Rassenwahn war für sie kein Anlaß, jede genetische Bestimmung von Charakter und Fähigkeiten ängstlich zu bestreiten.

Mutig ist auch Salcia Landmanns Mitarbeit in ihren letzten Jahren bei der JUNGEN FREIHEIT gewesen. Bald nach dem Start als Wochenzeitung 1994 schrieb sie bis 1996 im Kulturteil Beiträge zum Beispiel über Mißverständnisse über den Talmud oder die theoretischen Schwächen des Michel Friedman. Auch auf eine Kontroverse mit dem bekannten rechten Publizisten Armin Mohler ließ sie sich in der JUNGEN FREIHEIT ein. Neunzigjährig ist Salcia Landmann am 16. Mai in St.Gallen gestorben.


 
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