© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/02 24. Mai 2002

 
Ein nationales Schaufenster
Stadtgestaltung: Verwirrung um Kostenübernahme des Bundes für die Museumsinsel in Berlin
Wolfgang Saur

Am 5. Februar erklärte der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, der internationalen Presse, 2002 werde zum "Jahr der Entscheidung". Nun, gewiß haben wir bis heute ein spannendes Frühjahr erlebt und dürfen, nach den Ereignissen der letzten Woche, noch manche Überraschung gewärtigen. Die offenen Fragen betreffen die Zukunft der Stiftung, ihre Zusammensetzung und Handlungsfähigkeit überhaupt, die Baufinanzierung der Museumsinsel bis 2010, die Neugestaltung des Schloßplatzes und das Schicksal der Dahlemer Museen.

Angesichts leerer Kassen entschloß sich die Berliner SPD/PDSKoalition am 19. März brüsk zu einem vertragswidrigen Schritt: 2003 wolle man als Mitglied der Stiftung ausscheiden und sämtliche Zahlungsverpflichtungen einstellen. Während die Betriebskosten vom Bund mit allen Ländern gemeinsam getragen werden, wurde der Bauhaushalt bislang vom Land Berlin und dem Bund zu gleichen Teilen bestritten (Gesamtvolumen 2002: 122,71 Millionen Euro).

Am 17. April übergab die Expertenkommission für die Neugestaltung des Schloßplatzes ihren Bericht der Öffentlichkeit (JF berichtete). Vorgeschlagen wird (mit hauchdünner Mehrheit) ein stereometrischer Wiederaufbau des Schlosses mit einer Rekonstruktion der barocken Fassaden auf drei Seiten; dieser Komplex soll als "Humboldt-Forum" der Stadt- und Landesbibliothek, der HU und den Staatlichen Museen Nutzungsmöglichkeiten bieten. Die Kosten werden auf 760 Millionen Euro veranschlagt, Baubeginn könnte frühestens 2006 sein.

Am 23. April nahm Berlin seine Drohung, die Stiftung zu verlassen, zurück und bestätigte, seinen Betriebskostenanteil von 14,1 Millionen Euro im Haushalt 2002/03 fest eingeplant zu haben. Gleichzeitig erklärte Kultursenator Thomas Flierl (PDS), mit Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin (SPD) die Übernahme der gesamten Baukosten auf der Museumsinsel durch den Bund ab 2003 verhandeln zu wollen. Am 15. Mai schließlich frohlockte Klaus-Peter Lehmann: "Das Trommeln hat sich gelohnt." Statt einer geplanten Bundestagsdebatte über den Kommissionsbericht waren Bundeskabinett und Senat zusammengetroffen. Danach erklärte Schröder, der Bund sei nun zur vollständigen Übernahme der Baukosten für die Museumsinsel bereit. "Wir bezahlen bislang schon 80 Prozent der Investitionen. Ab 2003 sind wir bereit, 100 Prozent zu übernehmen." Damit fällt das Berliner Bauengagement ab 2003 weg; die schon bereitgestellten Mittel für 2002 in Höhe von 26,2 Millionen Euro können, falls nicht verbaut, anderen Zwecken zugeführt werden.

Befremden löste die Ankündigung einer weiteren Kommission für den Schloßplatz aus, dies sei "eine schallende Ohrfeige für die alte" (Boddien). "Wir werden eine gemeinsame Kommission einrichten, die ein realisierbares Nutzungs- und Finanzierungskonzept erarbeitet", so Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit. Neben Investoren, Finanz- und Bauexperten soll diese die künftigen Nutzer des "Humboldt-Forums" zusammenführen. Binnen der zugebilligten Jahresfrist könnte jedoch der positive Entscheid des Vorgängergremiums ausgehebelt werden, so pessimistische Kommentatoren.

Dem großen Medienecho vom Donnerstag folgte postwendend der Katzenjammer, als eine dem Haushaltsausschuß des Bundestages zugegangene Vorlage des Finanzministeriums zum Wochenende bekannt wurde. Dort wird dem Kanzler in Spendierhosen eine brüske Absage erteilt: Zwar entlasse der Bund die Berliner aus ihrer Pflicht, doch könne von einer freundlichen Übernahme der Kosten seinerseits keine Rede sein: "Er wird jedoch wegen seiner eigenen Haushaltslage keinesfalls die Berliner Finanzierungsanteile übernehmen können; auch kann Berlin keine weitere Unterstützung im Kulturbereich vom Bund erwarten." Da 2004 der Hauptstadtkulturvertrag und mit ihm die finanzielle Förderung der Insel von dieser Seite (22,4 Millionen Euro) ausläuft, 2005 das Vertragsverhältnis der Stiftung neu geklärt werden muß, sieht es mit der Finanzperspektive für die Bauvorhaben dunkel aus. Die kritische Lage hatte 2001 schon beinahe zum Baustop auf der Insel geführt.

Die bislang letzte Stellungnahme gab das Bundesfinanzministerium zu Pfingsten ab. In ihr wird die vom Berliner Tagesspiegel mitgeteilte Zurücknahme der Bundeszusage dementiert. Es fragt sich, wie die vom Präsidium des Preußischen Kulturbesitzes geforderte "Planungssicherheit für den Masterplan" dabei gewährleistet sein soll.

Der Preußische Kulturbesitz umfaßt Kunstwerke, Bücher und Archivalien. Seine Begründung in Rechtsform einer Stiftung geht auf die Nachkriegszeit zurück, als das deutsche Reich zerschlagen war und Preußen 1947 aus der Geschichte ausschied. Bei Kriegsende waren dessen großartige Sammlungen zerstört, geplündert, verschleppt und zerstreut worden. Etwa 80 Prozent davon befanden sich im Westen, doch lagen in Ost-Berlin die originalen Sammlungsstätten.

Zahlreiche ins Ausland verbrachte Kulturgüter gaben die westlichen Alliierten 1950 der jungen BRD, die Russen 1958 der DDR zurück. 1957 konstituierte sich die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als zukünftig verantwortlicher Rechtsträger dieser Hinterlassenschaften. Als Träger schlossen sich dabei der Bund mit West-Berlin und den drei Nachfolgeländern Preußens: Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zusammen. 1961 konnte die Stiftung, der 1975 auch die übrigen Bundesländer beitraten, ihre Arbeit in Berlin aufnehmen.

Vom Traditionsareal in Mitte abgeschnitten, formierten sich in West-Berlin die neuen Standorte Dahlem, Kulturforum und Charlottenburg. Der Oktober 1990 brachte dann auch die Wiedervereinigung der Sammlungsbestände aus Ost und West, das Jahr 1992 den Beitritt der fünf neuen Bundesländer. Seitdem verwaltet die Stiftung 17 Museen, die Staatsbibliothek mit acht Millionen Einheiten und den gesamten Aktenbestand des preußischen Staatsarchivs. Damit hat sich die Stiftung zu einem Modellfall für kooperativen Föderalismus entwickelt - ein Konzept, das die unilaterale Kulturverwaltung der Länder konterkariert und ergänzt.

Das bestätigte auch das Bundesverfassungsgericht, welches am 14. Juli 1959 die Unvereinbarkeitsvermutung mit dem Grundgesetz abwies. Es betonte vielmehr den "gesamtdeutschen, national-repräsentativen Charakter" der Berliner Sammlungen und führte eindrucksvoll aus, daß "die in Generationen aufgebauten Sammlungen organisch gewachsene Einheiten" seien, "deren besonderer Wert darin lag, daß sie sich gegenseitig ergänzten und ein in Deutschland einmaliges Gesamtbild der kulturellen und geistesgeschichtlichen Entwicklung des Erdkreises von den Anfängen bis zur Gegenwart boten".

Trotz großer Leistung zwischen 1961 und 1990 bildet seitdem die Hinterlassenschaft der DDR eine gewaltige Herausforderung. So wird die alte Staatsbibliothek Unter den Linden generalüberholt und der zentrale Lesesaal rückgebaut. Herausragendstes Projekt im Szenario bildet die 1999 in die Welterbeliste aufgenommene Museumsinsel selbst.

Dieses einzigartige "Universalmuseum", entstanden zwischen 1830 und 1930, heute die größte Kulturbaustelle der Welt, soll bis 2010 wiederaufgebaut, generalsaniert und mit zeitgemäßer technischer Ausstattung versehen werden. Überdies ist eine interne Vernetzung geplant, um der Vision eines integralen Studiums der Weltkulturen näher zu kommen und in die Reihe der internationalen Spitzenhäuser einzurücken, wie sie in London mit dem British Museum oder in Paris mit dem legendären Louvre bestehen.

Entsprechend schwelgt der Generaldirektor, Klaus-Peter Schuster, im Höhenrausch, spricht gerne über die klotzigen Projekte mit Partnern in aller Welt und verheißt kreative Stadtplanung durch "museale Strategien". Bedenkenswert freilich seine Einschätzung der Staatlichen Museen Berlin als des deutschen Museumskomplexes, der für die Bundesrepublik international agiere, mithin als nationales Schaufenster erster Güte gelten dürfe.


 
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