© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/02 24. Mai 2002

 
Christoph Stölzl
Kultivierter Steuermann
von Hans Ritter

Im Oktober vorigen Jahres mußte die Berliner CDU, mit nur noch 23 Prozent der Stimmen, ein historische Wahlniederlage hinnehmen. Seither versucht der Landesverband, die Partei wieder manövrierfähig zu machen. Ein neuer Kapitän ist auch schon zur Stelle, ein Mann, der erst während seiner Amtszeit von April 2000 bis Juli 2001 als Berliner Kultursenator der Partei beigetreten ist: Christoph Stölzl, heute Vizepräsident des Abgeordnetenhauses.

Am Sonnabend wird Stölzl zum neuen Landesvorsitzenden der CDU gewählt und zugleich ein neuer Vorstand bestimmt. Stölzl übernimmt die Spitzenposition in einer angeschlagenen, perspektivlosen, weltanschaulich ausgelaugten Partei. Mit dem am 17. Februar 1944 geborenen Bayern Stölzl, so spürt eine Mehrheit in der Berliner Union, kann es nur aufwärts gehen. Und selbst die Kritiker in den eigenen Reihen, wie Landesvize und JU-Chef Kai Wegner oder Ex-Generalsekretär Ingo Schmitt, die dem CDU-Neuling mit drohendem Unterton prophezeien, ohne Hausmacht keine integrative Kraft entfalten zu können, sehen sich angesichts der Stölzl-Enthusiasten momentan isoliert.

Der Partei-Vorstand soll nach Stölzls Vorstellungen symbolhaft besetzt werden: Eine türkischstämmige Ausländerpolitikerin soll für die Öffnung der Partei zur ethnischen und kosmopolitischen Vielfalt der neuen Hauptstadt sorgen. Die 47jährige Verena Butalikakis will Stölzl unbedingt zu seiner Generalsekretärin machen. Die Zeit arbeitet für Stölzl und für seinen politischen Instinkt, jetzt das politische Vakuum an der Spitze der CDU auszufüllen. Möglich geworden ist die Wahl des als liberal-konservativ geltenden begabten Redners, Kultur-Entertainers, Stadtschloßverfechters, Autors und oft hintergründig witzigen Intellektuellen Stölzl durch den - allerdings nur taktisch motivierten - Kandidaturverzicht des CDU-Fraktionsvorsitzenden Frank Steffel, der als verbaler Haudrauf mit "Berliner Schnauze" als Spitzenkandidat bei den letzten Wahlen gnadenlos scheiterte und das intellektuelle Gegenteil darzustellen scheint.

Für Stölzl ist es ein erstaunlicher Weg: vom Museumsleiter in München zum CDU-Chef in Berlin. Aber gerade das Image des Quereinsteigers pflegt er bewußt und gerne. Der studierte Historiker, Soziologe und Literaturwissenschaftler promovierte 1970 über ein Thema der böhmischen Geschichte, war Leiter des Münchner Stadtmuseums und stieg 1990 zum Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums in Berlin auf. Im Jahre 1999 wechselte Stölzl als Feuilletonchef zur Welt, fünf Monate später wurde er in den Berliner Senat berufen.

Die große Bewährungsprobe als Landespolitiker, der SPD wie PDS das Fürchten lehrt, steht noch aus. Gewiß kann Stölzl als der kultivierteste Parteichef in Berlin gelten. Doch bleibt abzuwarten ob Liberalität und professoraler Habitus ausreichen, um für seiner Partei neue Wähler zu gewinnen.


 
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