© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/02 24. Mai 2002

 
PRO&CONTRA
Plattenbauten abreißen?
Jürgen Rauch / Rudolf Kujath

Elf Jahre nach der Wiedervereinigung zeigen sich andere Alternativen - renovierte Altbauten und Einfamilienhäuser - und diese Alternativen zeigen indirekt die Mängel der Plattenbauten auf. Wahrscheinlich war es neben unbestrittenen großen Verdiensten um die Architektur einer der größten Irrtümer in der Nachfolge der Vertreter der Klassischen Moderne, daß das Wohnproblem in großen Zeilenbauten, die sehr funktional gedacht waren, gelöst werden könnte. In Westdeutschland wie Ostdeutschland ist zur Zeit eine immer schwierigere soziale Lage in vielen ehemaligen Neubaugebieten vor allem der Sechziger und Siebziger zu beobachten, besonders extrem ist die Situation in den Plattenbauten der neuen Bundesländer.

Jede Familie, die es vermag, versucht sich ein freistehendes Einfamilienhaus zu erwerben, als anzustrebendes Ziel und als Heimat oder Zuhause. Die Wohnung im Plattenbau dürfte dies nicht sein, denn ihr fehlt, was die meisten freistehenden Einfamilienhäuser, selbst vorfabrizierte, haben: eine gewisse Identität. Und im Gegensatz zum Plattenbau ist die Wohnung im jetzt mehr renovierten Altbestand etwas, was die Menschen anstreben: eine Adresse. Der Altbau wird nach einem Besuch wiedererkannt, der Plattenbau nicht oder kaum - höchstens an der Hausnummer.

In anderen Fällen werden die Bauten durch Herunterkommen zur Gefahr - nicht nur im Osten Deutschlands, sondern auch im Westen. Hier sollte man den größten Fehler der Städtebautheorie, wahrscheinlich der gesamten Architekturgeschichte zugeben und die Konsequenz ziehen: die Beseitigung der Plattenbauten und anderer Vielgeschoßblöcke der Nachkriegsmoderne. Straßen- und Kanalinfrastrukturen können zur Umgestaltung dieser Stadtteile durch geschickte Grundstücksparzellierung zu einem Teil genutzt werden. Entstehen muß dann aber ein Stück Stadt, daß dem Menschen mehr entspricht als dieser wenig menschengerechte Wohnungsbau.

 

Dr.-Ing. Jürgen Rauch ist Vizepräsident der Vereinigung freischaffender Architekten Deutschlands e.V.

 

 

Die in industrieller Bauweise gefertigten Wohnungen - die "Platten" - stehen in den neuen Bundesländern in wachsender Konkurrenz zum Neubau, zu modernisiertem Altbau in innerstädtischen Lagen und verschiedenen Formen von Eigenheimen. Zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit dieser Bestände sind regional bezogene Strategien gefordert, die bauliche, demographische und soziale Lösungsansätze verbinden. Wer da grundsätzlich das Wort "Abriß" auf den Lippen führt, macht es sich wohl zu einfach. Zumal die Platte ein architektonischer Tausendsassa ist, der zur Auswertung eine ganze Klaviatur von Möglichkeiten bietet.

Ein Beispiel für eine zukunftsorientierte Sanierung mit Pfiff in einem hochverdichteten Wohngebiet einer Großsiedlung steht bei der Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf mbH - WoGeHe - auf der Tagesordnung: Eine Terassierung. Eine interessante Sanierungsfacette meinen wir, die Wohnwertverbesserung mit städtebaulicher Aufwertung im Zuge eines Teilrückbaus umfaßt. Hier bildet ein Quartierungskonzept den Rahmen für die seit Jahren praktizierte städtebauliche Aufwertung der Wohnquartiere der Wohnquartiere, für die "Individualisierung" der Viertel. Die Sanierungsstrategie der WoGeHe integriert zudem nachfrageorientierte Grundrißänderung im großen Stil, die die Vermietbarkeit der Wohnungen nach der Komplettsanierung spürbar erhöhen.

Obgleich sich die Baukosten für die Terassierung im Rahmen des Üblichen der Komplettsanierung und Grundrißänderung bewegen, belasten der Rückbau, aber vor allem die Altschulden des Gebäudes sowie Kredite für die bereits durchgeführte Instandsetzungsmaßnahmen das Vorhaben in enormer Höhe. Wieviel größer ist dieses Problem, wenn ganze Gebäude und nicht nur wenige Wohnungen vom Markt genommen werden.

 

Rudolf Kujath ist Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf mbH in Berlin.


 
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