© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/02 24. Mai 2002


Unmündig
von Doris Neujahr

Im Fall von Jamal Karsli ist der politische Journalismus in Deutschland dort angelangt, wo er sich am sichersten fühlt: In den Katakomben der Sprachverbote, der Diffamierung und Doppelmoral. Karslis Bemerkung über Israels "Nazi-Methoden" mag inakzeptabel sein, doch diejenigen, die jetzt als Sachwalter des sprachlichen Anstands auftreten, schwingen gewöhnlich selber die Nazi-Keule.

Man findet in Karslis Äußerungen, liest man sie unvoreingenommen, keinen Antisemitismus, aber viel Verbitterung über die Untätigkeit Deutschlands und Europas gegenüber dem Berserker Scharon. Wo seine Formulierungen problematisch sind, hätte man sie zurückweisen und danach zum Kern der Sache kommen können: Zum Vorwurf der Medienmanipulation durch gezielte Informationsauslese zum Beispiel oder zur opportunistischen Furcht der Politiker und Journalisten, die einer Demokratie unwürdig ist.

Doch die Künder von Meinungspluralismus und Menschenrechten agieren wie Hanswürste. Statt eine politische Debatte über den Nahen Osten, über Medienmacht und journalistisches Ethos zu beginnen, prügeln sie den Boten, weil er seine Nachricht nicht normgerecht verpackt und in der falschen Zeitung veröffentlicht hat.

Karslis Interview hat sie schmerzhaft daran erinnert, daß sie nur vorgestanzte Meinungsschablonen ausfüllen dürfen. Die Verbissenheit, mit der sie sich im Labyrinth ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit verschanzen, steht im proportionalen Verhältnis zu ihrer Angst vor ehrlicher Selbsterkenntnis.


 
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