© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   22/02 24. Mai 2002


Die Wende in Europa
Linke Parteien verlieren europaweit die Bodenhaftung / Bürgerliche Kräfte im Aufwind
Carl Gustaf Ströhm

Seit dem Durchbruch Jean-Marie Le Pens in die zweite Runde der französischen Präsidentenwahl und dem kometenhaften Aufstieg des Pim Fortuyn in den Niederlanden wird in deutschen Medien so getan, als stünde nicht nur Deutschland, sondern halb Europa vor einer "rechten Machtergreifung". Wollte man den aufgeregten Berichten aus Frankreich und den Niederlanden Glauben schenken, müßten beide Länder - letzteres allenfalls "gemildert" durch den Mordanschlag auf den "rechtspopulistischen" Kandidaten - kurz vor einem Bürgerkrieg stehen.

In Wirklichkeit wurde ganz bewußt - in Deutschland überdies mit Blick auf den Bundestagswahlkampf - eine virtuelle Wirklichkeit auf die Bildschirme und in die Leitartikel gezaubert (oder sollte man sagen: manipuliert?), die mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hat. Weder die Wähler Le Pens noch jene, die in Holland postum für den ermordeten Exzentriker Pim Fortuyn votierten, sind Extremisten oder gar "Faschisten". Es sind zumeist Durchschnittsbürger, zum Teil sogar aus bescheidenen sozialen Verhältnissen.

Diese Menschen sehen mit Entsetzen, daß die überbordende Zuwanderung von zum Teil schwer integrierbaren (und oft nicht integrationswilligen) Ausländern das soziale Gleichgewicht, die innere Sicherheit und das eigene nationale "Identitätsgefühl" zu kippen droht. Es ist bezeichnend, daß einer der Hauptvorwürfe gegen Le Pen im empörten Ausruf einer TV-Ansagerin gipfelte, dieser habe doch tatsächlich gewagt, mit der Parole "Frankreich den Franzosen!" in den Wahlkampf zu ziehen. Was wäre denn die Alternative zu einer solch unkorrekten Forderung? Etwa "Frankreich den Maghrebinern?"

In Wirklichkeit verbirgt sich hinter dem empörten Geschrei über einen "Rechtsruck" in Europa die Angst vor dem Machtverlust. Die Faszination, die einst von linken Parteien in weiten Teilen Westeuropas ausging, ist bei den Wählern einer deutlichen Ernüchterung gewichen. Die linke, zum Teil links-liberale oder grüne Option, etwa in der Zuwanderungsfrage - nämlich das hemmungslose (zum Teil zielstrebige) Hereinlassen nicht-verkraftbarer Migrationswellen - hat vor allem beim kleinen Mann Angstreflexe ausgelöst. Der einfache Bürger in Frankreich mag Le Pen sympathisch finden oder auch nicht, er mochte auch gegen die schillernde Figur des Pim Fortuyn in Holland seine Vorbehalte haben - entscheidend war, daß man das Angebot der etablierten, meist linksgestrickten Kandidaten jedenfalls für noch weniger sympathisch und noch weniger kompetent gehalten hat. Zählt man die diversen Nichtwähler hinzu, so haben in einigen europäischen Ländern vorsichtig gerechnet dreißig bis vierzig Prozent der Wahlberechtigten gegen das bestehende "Establishment" votiert. Anders ausgedrückt: Hier fand eine Abstimmung mit den Füßen statt.

Noch vor wenigen Jahren schien es, als werde sich die EU demnächst in ein sozialistisches Europa verwandeln. Als zunächst die Österreicher den unerhörten Tabubruch begingen, anstelle einer "roten" Dauerregierung ein Mitte-Rechts-Bündnis aus ÖVP und Haiders FPÖ in den Sattel zu heben, waren es hauptsächlich die Protagonisten der Sozialistischen Internationale, assistiert von den Grünen, die sich grob in die österreichische Innenpolitik einmischten und den Untergang des fortschrittlichen Abendlandes an die Wand malten. Dabei trat das deutsche Dioskuren-Paar Schröder-Fischer mit seinem Sanktionseifer besonders unangenehm und unrühmlich hervor. Inzwischen ist die Wiener schwarz-blaue Regierung nun über zwei Jahre im Amt - und von irgendeinem "Rechtskurs" kann nicht die Rede sein. Im Grunde fügt sie sich ganz brav in die etablierte politische Europa-Landschaft ein.

Ähliches gilt für Berlusconis Italien, ferner für die von einer rechtsliberal-konservativen Koalition mit Unterstützung von "Rechtspopulisten" regierten Länder Dänemark und Norwegen sowie für die Mitte-Rechts-Regierung Portugals. In keinem dieser Länder kam es zu irgendwelchen Exzessen - allerdings legten die Mitte-Rechts-Regierungen größeren Wert auf die Vertretung nationaler Interessen der eigenen Bevölkerung. Das aber kann doch im Ernst kein Anklagepunkt gegen sie sein?

Es wäre interessant, die Ursachen für das Debakel der Linksregierungen zu untersuchen. Auf eine einfache Formel gebracht: die Linke hat die Bodenhaftung verloren, sie hat ihren wichtigsten Wähler - den kleinen Mann - im Stich gelassen, ja mehr noch: in Angst versetzt. Dafür hat sie nun in vielen Fällen die Quittung erhalten.

Die erfolgreichen "Rechtspopulisten" sollten sich allerdings nicht einbilden, aus eigener Kraft nach vorne gekommen zu sein. Sie haben vielmehr von der Schwäche und vielen Fehlern ihrer politischen Gegenspieler profitiert. Eine eigene überzeugende Leistung müssen die Nicht-Etablierten erst erbringen. Das Beispiel des kometenhaft aufgestiegenen und dann doch haarscharf gescheiterten Ungarn Viktor Orbán und seiner Fidesz-Partei lehren, daß Fehleinschätzung und Selbstüberschätzung vom Wähler nicht goutiert werden.

Was wir jetzt erleben - und was sich bei der Bundestagswahl am 22. September fortsetzen könnte -, ist noch nicht jene "geistig-moralische Wende", auf die seit Helmut Kohls Tagen Konservative vergeblich hoffen. Le Pen, Fortuyn, Berlusconi, selbst Haider erscheinen eher als Vor-Reformatoren denn als Träger einer bisher ausgebliebenen Wende. Sie mögen aber Sturmvögel einer künftigen Entwicklung sein, angesichts der unheimlichen Probleme, die vor den Toren harren (in zehn Jahren werden wir mit der demographischen Katastrophe konfrontiert sein!).

Wenn es für Nationen des Kontinents eine Zukunft geben soll, dann müssen Hedonismus und Spaßgesellschaft reduziert, Begriffe wie "Verantwortung" und "Dienst an der Sache" (oder am Land) wieder erstgenommen werden. Ohne eine geistige Neubesinnung vor allem der führenden Schichten des Landes (oder Europas) kann das nicht funktionieren. Vor allem aber muß die von Spät- und Neomarxisten sowie von den 68ern eingeschmuggelte Psychologie des Bürgerkriegs überwunden werden. Dieses Denken und Handeln in Kategorien des Bürgerkrieges ist wohl das unheilvollste Erbe aus dem zusammengebrochenen Kommunismus. Die meisten "Rechtspopulisten" haben das erkannt. Vielleicht liegt auch darin das Geheimnis ihrer (relativen) Erfolge.


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