© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   21/02 17. Mai 2002


Neue Technologien: Alkoholismus-Gene
Trinken ist eine Charakterfrage
Angelika Willig

Die Erblichkeit des Alkoholismus ist eine seit langem umstrittene These. Aus der statistischen Beobachtung, daß Kinder von Alkoholikern mit größerer Wahrscheinlichkeit selbst zur Flasche greifen, lassen sich unterschiedliche Schlüsse ziehen. Entweder ist das Suchtverhalten unter dem Einfluß der trinkenden Eltern erlernt - oder aber die Krankheit ist erblich. Das "Erlernen" geht von dem Spruch "Ein Bier hat noch keinem geschadet" bis zur Unfähigkeit, Rückschläge oder Enttäuschungen anders als durch Alkohol zu kompensieren. Selbst dann, wenn das Verhalten der Eltern als abstoßend empfunden wird, bleibt das Defizit an brauchbaren Alternativen. Wer hingegen die Erblichkeit annimmt, sieht einen Menschen bei der ersten Gelegenheit über den ihm bestimmten Stein stolpern. Therapien sind - wie tatsächlich in den meisten Fällen - zwecklos. Bei dieser Aussicht, meinen manche, wäre es besser, wenn die Kinder gar nicht geboren würden.

Wasser auf die Mühlen dieser Fraktion ist ein Ergebnis, das Forscher vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München in Zusammenarbeit mit der Universität Heidelberg jetzt vorgelegt haben. Das Corticotropin-Releasing-Hormon, kurz CRH, wird vom Gehirn benötigt und muß ständig aufgenommen werden. Der dazu nötige Rezeptor läßt sich bei Mäusen gentechnisch seiner Funktion berauben. Die Beobachtung ergibt, daß diese Knock-out-Mäuse nach Streßsituationen zwei- bis dreimal häufiger dem zur Verfügung gestellten verdünnten Alkohol zusprachen als Vergleichstiere. Die Theorie besagt nun, daß Alkoholismus eine verfehlte Reaktion auf Streß sei. Wenn das Streßverhalten genetisch gesteuert ist, so wäre auch die Sucht erblich.

Hier zeigt sich die ganze Komplexität verhaltensgenetischer Fragestellungen. Tierexperimente sind hier sehr mit Vorsicht zu genießen. In der genannten Anordnung steht den Mäusen nach beängstigenden Stunden im Layrinth nur den Alkohol als Entspannungsmittel zur Verfügung. Sie haben nicht die Möglichkeit, sich zum Trost eine neue Bluse zu kaufen oder einen schönen Roman zu lesen. Beim Menschen könnte es sein, daß mit der Streßanfälligkeit auch die Phantasie wächst, sich Entspannung zu verschaffen. Es könnte sogar sein, daß nicht zuletzt in dieser Fähigkeit unsere Kultur besteht.

Auch die Münchner Wissenschaftler nehmen nicht an, daß es ein einzelnes "Alkoholismus-Gen" gebe. Die Sucht resultiert aus dem Zusammenwirken vieler genetischer Faktoren. Jeder einzelne davon mag harmlos oder sogar produktiv sein, nur in der Kombination und im Zusammenwirken mit milieubedingten Einflüssen kommt es zur Ausbildung der Krankheit. Selbst bei einer vollständigen Deutung des menschlichen Genoms - von der wir nach der bloßen Auflistung noch meilenweit entfernt sind - bliebe der eindeutige Beweis nahezu unmöglich. Die genetische Beratung werdender Eltern würde in solchen Fragen der guten alten Kartenlegerei gleichen. Alkoholiker vor der Implantation aussondern, bringt große Risiken mit sich. Unter anderem hätten wir uns damit um die Bücher von E.A.Poe, Ernest Hemingway oder Jack London gebracht.


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