© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   21/02 17. Mai 2002


Im Prinzip monarchistisch und reichstreu
18. Mai 1848 in der Paulskirche: Die Mehrheit der Nationalversammlung plädierte für ein erbliches Kaisertum
Martin Möller

Am 30. März 1848 beschloß der Bundestag, das höchste Gremium des auf dem Wiener Friedenskongreß gegründeten Deutschen Bundes, in Frankfurt eine Deutsche Nationalversammlung aus Abgeordneten aller Bundesstaaten einzuberufen. Damit war der Weg frei für die ersten und gesamtdeutschen Wahlen. Und obwohl die Deutschen noch nicht über das heutige Maß an Wahlroutine verfügten, gingen Gesetzgebung, Wahlakte und Zusammentritt der Nationalversammlung ohne nennenswerte Probleme über die Bühne, und bereits am 18. Mai 1848 konnte das großdeutsche Parlament in der Frankfurter Paulskirche feierlich eröffnet werden.

Bis heute wird sorgfältig an der Legende gestrickt, diese Nationalversammlung sei eine republikanische Veranstaltung gewesen. Doch war dem nicht so. Das Parlament der Paulskirche verfügte über eine mehr als neunzigprozentige Mehrheit, die nicht nur für die Beibehaltung der Monarchie, sondern sogar für die Errichtung eines großdeutschen Erbkaisertums plädierte, eines Kaisertums, dessen Herrschaftsbereich sich nicht etwa nur über die unbestritten deutschen Gebiete des deutschen Bundes, sondern möglichst auch über alle nichtdeutschen Erblande Preußens, Österreichs und anderer Bundesstaaten erstrecken sollte.

Die Zahl der Republikaner war gering und umfaßte bei weitem nicht die gesamte Linke des Parlamentes. Selbst innerhalb der Linken hatten diejenigen Kräfte, die für eine konstitutionelle, gesamtdeutsche Monarchie eintraten, die Mehrheit, und Figuren wie Arnold Ruge (1802-80), Carl Vogt (1817-95) oder Robert Blum (1806-48), die eine demokratische Republik forderten, waren Außenseiter ohne jede Chance auf demokratische Verwirklichung ihrer Ideen. Daß diese sich zudem aggressiv gegen nicht genehme Abgeordnete verhielten, erhöhte weder ihre parlamentarischen Chancen, noch ihre Popularität beim Wahlvolk. Die Mehrheit der Frankfurter Abgeordneten war eher bereit, auf ihre Lieblingsvorstellung eines alle Teile Deutschlands umfassenden Staates zu verzichten, als auf die monarchische Leitung eines derartigen Gebildes, das eher dem alten Imperium gleichen sollte, als dem 90 Jahre später realisierten Großdeutschen Reich. So nahm die Frage nach der Figur des Monarchen und seiner Rechtsstellung einen erheblichen Raum in den monatelangen Beratungen der Parlamentarier ein. Letztlich ging es im Kern um eine Rekonstruktion des "Imperium Romanum" mit parlamentarischer Ausstattung. Dieser Versuch war, wenn auch nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt, jedoch mit so großen Schwierigkeiten behaftet, daß seine tatsächliche Realisierung immer unwahrscheinlicher schien. Immerhin wurde der habsburgische Erzherzog Johann (1782-1859) vom Frankfurter Parlament zum Reichsverweser bestimmt, eine Berufung, die sämtliche Gliedstaaten des Deutschen Bundes förmlich anerkannten.

Erzherzog Johann war ein Sohn des vorletzten deutschen Königs Leopold II. und genoß eine in ganz Deutschland beispiellose Verehrung, da er zeit seines Lebens körperlich hart gearbeitet und zudem mit kaiserlicher Genehmigung die Tochter eines Postmeisters geheiratet hatte. In der Steiermark leistete der Erzherzog Beispielhaftes zur Wohlfahrtspflege, zum Beispiel durch Gründung von Lese- und Musik-, Spar- und Versicherungsvereinen. Zum Reichsverweser ließ er sich wählen, obwohl er die Aussichtslosigkeit eines solchen Unternehmens deutlich voraussah. Lediglich die Liebe zum deutschen Vaterland und die Treue zu seinem Volk auch in verwirrter Zeit bewog ihn, die undankbare Position anzunehmen. Auch nachdem am 18. Juni 1849 das Ende des inzwischen nach Stuttgart ausgewichenen Parlamentes gekommen war, hielt der Reichsverweser der Reichsfiktion die Treue. Erst am 20. Dezember 1849 legte er sein Amt nieder und zog sich in die Steiermark zurück.

Hindernis für eine deutsche Einigung zum damaligen Zeitpunkt war allerdings nicht zuletzt die österreichische Monarchie. Österreich hatte sich bekanntlich selbstherrlich im Jahre 1804 zum Kaiserreich erhoben. Auf diese Würde zu verzichten, war das Haus Habsburg nicht bereit und konnte sich auch ein neues Imperium nur unter der eigenen Erbkrone vorstellen. Dazu wiederum konnten und wollten sich die vormaligen Mittelstaaten, an der Spitze Brandenburg-Preußen nicht bereiterklären. Innerhalb der Grenzen des alten Imperiums war ihnen die königliche Würde versagt gewesen, sie hatten sich wie seit dem 9. Jahrhundert unter die Würde des "Rex Romanorum", des Deutschen Königs beugen müssen und sich sehr schnell an die eigene Königskrone - wenn auch nicht immer von Gottes Gnaden - gewöhnt. Lediglich der Souverän von Hessen hatte an dem Titel des Kurfürsten festgehalten und somit tatsächliche Reichstreue gezeigt. Mit dieser Haltung stand er allein auf weiter Flur. Bayern, Württemberg, Hannover, Sachsen und Preußen hätten als stolze Königreiche nicht einmal im Traume einer Rückstufung auf den Status quo ante zugestimmt.

Zudem gab es erhebliche außenpolitische Schwierigkeiten, die unter Umständen eine Veränderung des seinerzeit in Wien kunstvoll balancierten Europa nicht wünschenswert erscheinen ließen. Am 27. Oktober 1848 nahm das Parlament beispielsweise eine Forderung an, die lautete:

Artikel 2: ein Teil des Deutschen Reiches darf nicht mit einem außerdeutschen Staat vereinigt sein.

Artikel 3: Zwischen einem deutschen und einem nichtdeutschen Staat darf keine Realunion bestehen.

Dieser Beschluß war folgenschwer, denn er griff tiefer als alles zuvor Beschlossene in die bestehende europäische Rechtsordnung ein. Bekanntlich hatte der Wiener Kongreß die Grenzen des Deutschen Bundes unverändert aus den Dimensionen des alten Imperiums übernommen. Aufgrund der alteuropäischen Verfassung und Rechtsordnung war es jedoch stets selbstverständlich gewesen, daß deutsche Fürsten über außerhalb der imperialen Grenzen gelegene Länder geboten. So hatte das Haus Habsburg seit dem Jahre 1526 die von den Jagellonen geerbte ungarische Krone inne, so waren die brandenburgischen Hohenzollern seit 1517 auch Herzöge Preußens, das nicht zum Reich gehörte, so waren die sächsischen Kurfürsten von 1697 bis 1733 Könige Polens gewesen. Ebenso war es üblich geworden, daß ausländische Potentaten in Teilstaaten des Imperiums herrschten, so der schwedische König von 1648 bis 1815 in Pommern, der dänische König seit 1449 in Holstein oder der König der Niederlande im Großherzogtum Luxemburg.

Der Beschluß des Parlaments griff also tief in die Rechtsstruktur Deutschlands und Europas ein und stellte die Realisierung eines deutschen Gesamtstaates letztlich massiv in Frage, da es völlig unvorstellbar war, daß die im Deutschen Bund repräsentierten Länder aus ihren innigen Verbindungen mit den angestammten Dynastien gewaltlos herausgelöst werden könnten. Hier taten sich Gefahren auf, die sich zum schweren Nachteil für die Stellung Deutschlands in Europa und der Welt hätten auswirken müssen. Zwar konnten die Verfassungsvorschriften damals noch nicht verwirklicht werden, doch zeigten sie eine Tendenz des nationalen Denkens auf, die sich im folgenden Jahrhundert noch katastrophal auswirken sollte.

Der parallel zu den Frankfurter Verhandlungen dümpelnde erste deutsch-dänische Krieg wurde aus nichtigem Grunde von den soeben erst geschaffenen Reichsbehörden zwar nicht selbst geführt, aber angeordnet. Hätte Preußen nicht am 1. August 1848 in Malmö eigenmächtig Waffenstillstand geschlossen, hätte sich bereits im Jahre 1848 die spätere Weltkriegskoalition gegen Deutschland bilden können. Die Parlamentarier, im Vollgefühl nationaler Stärke, hatten diesen Krieg nicht nur angeordnet, sondern auch die Ausweitung auf einen europäischen Konflikt kaltblütig einkalkuliert: "Die deutsche Nation ist der Prinzipien und Doktrinen, der literarischen Größe und der theoretischen Existenz satt. Was sie verlangt, ist Macht - Macht - Macht! Und wer ihr Macht gibt, dem wird sie Ehre geben, mehr Ehre als er sich ausdenken kann", so der großdeutsche Theoretiker Julius Froebel. Nach dem Waffenstillstand von Malmö überzog die parlamentarische Linke die besonnenen Parlamentarier mit heftigen Vorwürfen. Hier zeigten sich Grenzen parlamentarischer Politik, und die auf Frankfurt folgende Reaktionszeit ließ zwar die gesamtdeutschen Träume nicht ersterben, die Vorstellungen einer Parlamentarisierung der Politik hatten allerdings für lange Zeit ausgespielt.

Bildtext: Reichsverweser Erzherzog Johann: "Imperium Romanum" als Ziel


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