© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/02 17. Mai 2002

 
Der Fall Karsli
Parteien: Der Bundesparteitag der FDP und die Äußerungen eines Ex-Grünen in einem Interview mit der JUNGEN FREIHEIT
Dieter Stein

Der Mannheimer Bundesparteitag der FDP hätte eine reine durchchoreographierte Wahlkampfveranstaltung sein können. Alle Register hatte die Werbeabteilung der FDP gezogen und präsentierte das neue Gesicht der Westerwelle-Partei. Auf Wimpeln, Taschen, Aufklebern, Tagungsmappen - allerorten prangte das neue blaugelbe Parteilogo, in dem sich das Kürzel FDP ohne die lange Jahre propagierten Pünktchen präsentiert. Und dazu überall die mysthische Zahl 18, die den Siegeswillen und Schwung der "neuen FDP" verkörpern soll.

Doch dann erreichten die Wellen der Empörung, die ein Interview Jamal Karslis, Ex-Grüner Landtagsabgeordneter in NRW, ausgelöst hatte, den Parteitag der FDP. Der gebürtige Syrer Karsli will zu den Freien Demokraten überwechseln, was FDP-NRW-Chef Jürgen W. Möllemann befürwortet.

Eine Pressemitteilung der Kölner PDS hat die Medien auf das Karsli-Interview aufmerksam gemacht. Eine Meldung des Düsseldorfer DPA-Büros ging am 6. Mai an alle deutschen Redaktionen. Überschrift: "Neuer FDP-Abgeordneter gibt Rechtsextremen Interviews gegen Israel". Damit war die Story geboren. Nahezu alle deutschen Tageszeitungen brachten unreflektiert diese DPA-Meldung, die später von anderen Agenturen in ähnlicher Form übernommen wurde. Karsli, so DPA, habe "der rechtsextremistischen Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT" ein Interview gegeben. Ferner werde die JUNGE FREIHEIT "vom Verfassungsschutz wegen antisemitischer, verfassungsfeindlicher Propaganda seit Jahren beobachtet".

Aufgrund des umgehenden Protestes der JUNGEN FREIHEIT gegen diese Meldung sah sich DPA genötigt, folgende Meldung drei Stunden später nachzuschieben: "Achtung: Geschäftsführung und Chefredaktion der JUNGEN FREIHEIT haben in einer Presseerklärung darauf aufmerksam gemacht, daß sie derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen angehen, im Verfassungsschutzbericht wegen des Verdachtes rechtsextremistischer Bestrebungen überhaupt erwähnt zu werden."

Diese Meldung wurde nicht nur weitgehend ignoriert, sie enthielt weiterhin immer noch nicht die vollständige Information, daß es bei den geäußerten Verdächtigungen gegen die JF stets um den Verfassungsschutz von NRW und nicht den des Bundes geht.

Darum meldeten die Zeitungen, besonders an Rhein und Ruhr, am darauffolgenden Tag: "NRW: Skandal um FDP-Politiker" (Kölner Expreß), "Politiker gab rechtsextremer Zeitung Interview - Wut auf Ex-Grünen" (Aachener Nachrichten), "Abgeordneter sorgt erneut für Empörung - Israel-Kritik in rechtsextremer Zeitung" (Kölner Stadt-Anzeiger), "Antisemitischer Einstand - Ex-Grüner FDP-Landtagsabgeordneter Karlsi gibt rechtsextremistischer junger freiheit Interview" (taz), "Streit um Kritik an Israel - NRW-FDP-Abgeordneter gibt rechtsextremer Zeitung Interview" (Der Tagesspiegel), "FDPler kritisert Israel in rechtsextremem Blatt" (Neue Presse Hannover), "FDP-Neuling gibt Rechtsextremen ein Interview" (Bonner General-Anzeiger).

Mit dem Karsli-Interview flammte eine vor Tagen verstummte Debatte um Äußerungen des FDP-Vize Möllemann auf, der - nebenamtlich auch noch Vorsitzender der Deutsch-Arabischen Gesellschaft - sich scharf zur Politik des israelischen Premiers Scharon eingelassen hatte. In einem Interview mit der taz hatte Möllemann Verständnis für die Selbstverteidigung der Palästinenser geäußert. Was zu der Deutung führte, Möllemann billige palästinensische Selbstmord-Terroranschläge.

Nun hatte der FDP-Parteitag neben "Guidomobil" und den Westerwelle-Halbschuhen mit "18-Sohle" ein inhaltliches Thema: Plötzlich war die Aufnahme des Fraktionsneulings in die FDP in Frage gestellt. Nachdem der NRW-Landtagspräsident Ulrich Schmidt (SPD) sich in die Debatte einschaltete und Karsli zur Mäßigung aufforderte ("Wir machen in Düsseldorf keine Außenpolitik"), mahnte Möllemann innere Logik an, da Schmidt selbst "als Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentarier-Gesellschaft in der Sache Stellung nimmt".

Auch der CDU-Chef Jürgen Rüttgers griff Möllemann an und forderte die FDP auf, sich von Karsli zu trennen. "Seine (Karslis) Tiraden in einer rechtsextremen Publikation gegen Israel sind unerträglich", äußerte Rüttgers gegenüber den Ruhr-Nachrichten

Die JUNGE FREIHEIT geriet in dem Moment aus dem Visier der Kritiker, als Möllemann in einer Pressemitteilung darauf hinwies, daß sich Karsli bei der JUNGEN FREIHEIT in prominenter nordrhein-westfälischer Gesellschaft befindet: So teilte er der Presse mit, daß in der JF schon Interviews mit dem jetzigen CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer (damals NRW-Fraktionsvorsitzender der CDU), Christoph Zöpel, SPD-Staatsminister im Auswärtigen Amt und langjähriger NRW-Landesminister, sowie Friedhelm Farthmann, langjähriger SPD-Fraktionsvorsitzender in NRW, erschienen waren.

Die Schärfe der Kritik aus den Reihen der Landes-CDU und der Landes-Grünen ist nicht frei von politischer Taktik: Durch den Wechsel Karslis zur FDP ist das rot-grüne Bündnis an Rhein und Ruhr geschwächt. Erst vor wenigen Tagen wurde über einen Koalitionswechsel der SPD von den Grünen zur FDP spekuliert, was Grüne und CDU aus unterschiedlichen Motiven kritisch beäugten. SPD-Ministerpräsident Wolfgang Clement sah sich gezwungen, Spekulationen über Koalitions-Untreue entgegenzutreten.

Der Recklinghäuser Kreisverband der FDP verschob indes seine ursprünglich für vergangenen Mittwoch vorgesehene Aufnahme Karslis auf nach den Bundesparteitag. Offen ist, ob Karsli in der laufenden Woche überhaupt noch in die FDP aufgenommen wird.

Die Kritik an Möllemann und der NRW-FDP wurde bis zum Bundesparteitag immer stärker. Schnell erkannte der politische Gegner, daß daraus eine Kampagne zu stricken war. Joschka Fischer, der die FDP um ihre jüngsten Erfolge beneidet, und dem Westerwelles Aspiranzen auf den Posten des Vize-Kanzlers nicht passen können, unterstellt der FDP nun pauschal Israelfeindlichkeit.

Einen Tag vor dem Bundesparteitag schlagzeilte die Welt auf Seite 2: "Möllemann wegen Karsli-Aufnahme unter Druck". Aus den Israel-kritischen Äußerungen hatte man inzwischen flugs "antijüdische Ausfälle" konstruiert. Die Berichterstattung am Samstag, während der Parteitag lief, wurde streckenweise von der Kritik an den Äußerungen Karslis und Möllemanns dominiert: "Freundschaft zu Israel betont - Lambsdorff warnt vor antisemitischen Stimmungen" (Süddeutsche Zeitung), "Der liberalen Partei unwürdig - FDP-Parteitag debattiert über Kritik an Israel und Fall Karsli" (Frankfurter Rundschau).

So erklärte Otto Graf Lambsdorff, Ehrenvorsitzender der FDP, "einer wie Herr Karsli gehört nicht in unsere Fraktion", und das FDP-Urgestein Hildegard Hamm-Brücher drohte in einem Offenen Brief an Westerwelle mit ihrem Austritt aus der Partei, wenn es nicht zu einer "unmißverständlichen Kursänderung" komme.

Möllemann gelang es, indem er zunächst dem Parteitag wegen einer Erkältung fernblieb, den Konflikt zu entschärfen. Erst zum Abschluß des Parteitages am Sonntag erschien er und hielt eine "mit stehenden Ovationen" (taz) gefeierte Rede, in der er unmißverständlich klarstellte: "Wir werden nicht zulassen, daß Rassenhaß, Antisemitismus oder Diskriminierung von Minderheiten in unserer Partei einen Anwalt finden." Dann wiederholte er aber seine Kritik an der Politik des israelischen Premiers Scharon - und erhielt den Beifall der Delegierten.


 
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