© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/02 17. Mai 2002

 
Die Falken triumphieren
Nahost-Konflikt: Netanjahu meldet sich mit einem Paukenschlag zurück
Michael Wiesberg

Geht es nach dem Willen des "konservativ-nationalen" Likud-Blocks, dann wird es in Zukunft keinen Palästinenserstaat geben. Diese Entscheidung des Likud-Zentralkomitees bedeutet nicht nur eine schwere Niederlage für Israels Ministerpräsident Scharon im innerparteilichen Machtkampf gegen seinen Rivalen Benjamin Netanjahu, der den Antrag eingebracht hatte, einen Palästinenserstaat abzulehnen. Er bedeutet auch eine Ohrfeige für die "westliche Wertegemeinschaft", allen voran aber für US-Präsident Bush, der sich wiederholt für die Gründung eines solchen Staates ausgesprochen hat.

Netanjahu, der in der Zeit von Juni 1996 bis Mai 1999 Ministerpräsident Israels war, hat sich mit dieser Abstimmung eindrucksvoll auf die politische Bühne Israels zurückgemeldet. Die Kräfte, die sich hinter ihm versammeln, unterstreichen, daß es sich bei Scharon keineswegs um die extremste Variante des jüdischen Nationalismus handelt. Netanjahu ist in der Vergangenheit nicht müde geworden, vor einem "palästinensischen Terroristenstaat" zu warnen.

Als Oppositionsführer kritisierte er das Friedensabkommen von Oslo als "Ausverkauf" von biblischem Grund und Boden und "historischen Irrtum". Die "Land für Frieden"-Strategie lehnte er vehement ab. In seiner Amtszeit unterstrich er durch seine Anbiederung bei den israelischen Siedlern in den besetzten Gebieten, daß er die umstrittene israelische Siedlungspolitik für vollkommen legitim hält.

Ein Blick in die Geschichte des Likud (deutsch "Sammlung") lehrt, daß Netanjahus Positionen dem Geist dieser Partei entsprechen. 1973 gegründet, übernahm der Likud nach dem Sieg bei den Parlamentswahlen vom Mai 1977 erstmals die Regierung. Der Likud war der Zusammenschluß der Herut (Freiheitspartei) von Menachem Begin mit mehreren Gruppen der Rechten und des Zentrums. Durch diese Allianz erhielt die bis dahin weitgehend isolierte Herut als Avantgarde des jüdischen Nationalismus mit maximalen Territorialforderungen einen Legitimierungsschub. Begin war seit 1943 Anführer der Untergrundorganisation "Irgun Zwai Leumi" ( "Nationale Militärorganisation"), aus der nach der Staatsgründung die Herut hervorging. Im Gegensatz zur Haganah ( "Selbstschutz"), die später den Kern der israelischen Armee bilden sollte, kämpfte die Irgun mit terroristischen Mitteln gegen die britische Mandatsmacht in Palästina. Höhepunkt der terroristischen Umtriebe war der Anschlag auf das King-David-Hotel in Jerusalem am 22. Juli 1946, bei dem mehr als 80 britische Offiziere umkamen.

Die ostentative Ablehnung eines Palästinenserstaates durch den Likud bedeutet eine definitive Absage an die Verantwortung, die Israel als Verursacher der palästinensischen Flüchtlingssituation trägt. In diesem Zusammenhang wird gerne unter den Tisch gekehrt, daß Israels Aufnahme in die Uno in der Resolution 273 vom 11. Mai 1949 von der Verpflichtung abhängig gemacht wurde, die Charta der Vereinten Nationen anzuerkennen und die Uno-Resolutionen im Hinblick auf den arabisch-israelischen Konflikt zu respektieren. Dazu zählt insbesondere die Resolution 194 vom 11. Dezember 1948. Sie spricht den palästinensischen Flüchtlingen das Recht zu, in ihre Heimat zurückzukehren, sowie das Recht auf Entschädigung für den Verlust von oder den Schaden an Eigentum. Von 1948 bis heute ist diese Resolution immer wieder mit Mehrheit und ohne jede Konsequenz für Israel bestätigt worden.

Die ständige Mißachtung dieser Resolutionen durch Israel hätte längst dessen Ausschluß aus der UNO zur Folge haben müssen. Dieser ist bis heute vor allem aufgrund der ständigen Interventionen der USA zugunsten Israels unterblieben. Die Vertreibung der Palästinenser aus ihrer Heimat ist von dem ersten israelischen Parlament durch eine Reihe von Gesetzen, mit denen die Rückkehr der Flüchtlinge verhindert und das Eigentum der Palästinenser konfisziert wurde, abgesegnet worden. Parallelen zu den berüchtigten Benes-Dekreten fallen ins Auge.

Israelische Politiker haben immer wieder behauptet, Israel sei nicht in der Lage, Millionen von palästinensischen Flüchtlingen aufzunehmen. Die Massenimmigration jüdischer Einwanderer aus den Staaten des ehemaligen Ostblocks sprechen allerdings eine andere Sprache. Es drängt sich somit die Frage auf, ob Israel die Palästinenser nicht will, weil sie keine Juden sind. Muß vor diesem Hintergrund bei den Palästinensern nicht der Verdacht aufkommen, daß es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie mittels der aggressiven israelischen Siedlungspolitik auch aus ihren letzten Reservaten, genannt: "Autonomiegebieten", vertrieben werden? Der einzige Schutz gegen eine derartige Vertreibung auf Raten wäre ein unabhängiger Palästinenserstaat. Genau dieser soll den Palästinensern nach dem Willen des Likud aber verweigert werden.

Es bleibt ein nicht aufzulösender Widerspruch, daß Vertreter des Judentums in aller Welt für multikulturelle Gesellschaften eintreten, sich auf der anderen Seite aber weigern, grundlegende Rechte der Palästinenser anzuerkennen oder auch nur die historische Verantwortung Israels für ihre Leiden einzugestehen. Es ist allerhöchste Zeit, daß man Israel an den gleichen Standards mißt, der anderen Staaten unentwegt abverlangt wird.


 
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