© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   20/02 10. Mai 2002


Blick in die Medien
Universalgenie
Ronald Gläser

An dem Drama von Erfurt kam niemand vorbei. Keine Tageszeitung entschied sich an jenem Sonnabend für einen anderen Aufmacher als das Massaker am Gutenberg-Gymnasium. Alle Fernsehsender strahlten sofort Sondersendungen zum Thema Amoklauf aus. Man spürte fast hautnah wie sehr Reporter, Interviewpartner und Augenzeugen unter Druck standen. ZDF-Mann Kerner befragte zum Beispiel einen Pennäler zur Gewalt an der Schule. Ministerpräsident Vogel fiel dem Jungen fast ins Wort: "Ich war da. Ich kenne das Gymnasium. Es ist gut." Soso, der Herr Ministerpräsident hat also mal eine Podiumsdiskussion besucht, zwei Lehrer gesprochen und drei Schülern die Hand geschüttelt. Daher glaubt er, ein qualifiziertes Urteil abgeben zu können. Dafür müßte er, mit Verlaub gesagt, ein Universalgenie sein. Dieses Urteil ist so oberflächlich wie das Foto, das unter anderem den nächsten Spiegel zierte: Es zeigt zwei Mädchen, die sich trauernd umarmen. Das Foto hätte aber auch von Djierba oder der letzten Fußball-WM stammen können. Es soll alles sagen und sagt nichts. Einmal ausgesprochen, wiederholten auch alle TV-Sender immerzu den Hinweis, dies sei kein Einzelfall. Tatsache ist, daß es so etwas wie in Erfurt in dieser Dimension in Deutschland noch nie gegeben hat. Den Vogel schoß jedoch der WDR ab. Erfurt wurde PC-konform ins feministische Weltbild verpackt. Ein Talkshowgast wurde befragt, warum Jungen soviel Aggression produzierten. Warum produzieren Öffentlich-Rechtliche nur soviel Unsinn?


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