© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/02 10. Mai 2002

 
Frisch gepreßt

Soziologiegeschichte. Nach mehreren Jahrgängen, die dem Dauerbrenner Soziologie im Dritten Reich gewidmet waren, hat sich die jüngste Ausgabe des "Jahrbuchs für Soziologiegeschichte" auf die Nachkriegsgeschichte des Faches besonnen und sich dabei auf den aus der Emigration nach Göttingen zurückgekehrten Helmuth Plessner und seine Schüler konzentriert, von denen sein Assistent, der vor einigen Wochen verstorbene Geschichtsbelletrist Christian Graf Krockow wohl am bekanntesten geworden ist - wenn auch nicht gerade als Soziologe. Das von Carola Dietze edierte "Blaubuch" über die Anfänge der Soziologie in Göttingen beleuchtet die akademische Nierentisch-Provinz der fünfziger Jahre, als die deutsche Universität "noch in Ordnung" war. Bemerkenswert ist ferner der Beitrag von Volker Kruse "Wozu Soziologiegeschichte?", der für die historiographische Rehabilitierung der spezifisch deutschen, kulturkritischen Tradition seines Faches eintritt, die nach 1945 von "empirischen Sozialwissenschaftlern" abgebrochen wurde. Freilich endet Kruses Plädoyer etwas idealistisch, weil er verspricht, Sozialgeschichte könne "innovative Potentiale" entbinden. Da läßt die "historische Vernunft" grüßen, von der man sich in der französischen Soziologie, wie man aus dem luziden Beitrag von Florence Rudolf lernt, langsam verabschiedet (Jahrbuch für Soziologiegeschichte 1997/98, Leske+Budrich, Opladen 2001, 344 Seiten, 30,90 Euro).

Johann Christoph Lichtenberg. Die Person des brillanten aufklärerischen Gelehrten und bedeutenden Aphoristiker Johann Christoph Lichtenberg (1742-1799) ist im Windschatten seiner großen Zeitgenossen etwas verblaßt - zu Unrecht, wie Arnulf Zitelmann in seiner Lebensgeschichte des verwachsenen Universalgenies aus dem Odenwald darzustellen versucht. Ähnlich wie sein viel berühmteres amerikanisches Pendant Benjamin Franklin verstand Lichtenberg es, neben seinen naturwissenschaftlichen Forschungen und Entdeckungen (Lichtenberg führte zum Beispiel Plus- und Minuszeichen für die elektrische Ladung ein) Akzente in der literarischen Welt zu setzen. Zitelmanns populärwissenschaftliche Darstellung kommt dabei den provokanten zeitgenössischen Beobachtungen der "Sudelbücher" des Göttinger Professors in einer anregenden Form nahe (Jedes Sandkorn ist ein Buchstabe. Beltz Verlag, Weinheim 2002, 338 Seiten, 19,90 Euro).


 
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