© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/02 10. Mai 2002

 
Literaturhistoriker mit Haßkappen
Zwei Redakteure des Hessischen Rundfunks über Autoren und Autorschaft im Dritten Reich
Matthias Bäkermann

Wenn man, wie Hans Sarkowicz und Alf Mentzer, als Redakteur beim Hessischen Rundfunk arbeitet und sich oft über "Rechtsradikalismus in Deutschland" geäußert hat, läßt sich die Haßkappe bei historischen Themen nicht einfach abstreifen. Deshalb muß der Titel eines Buches über Schriftsteller im Dritten Reich klingen wie fürs "antifaschistische" Spruchband komponiert: "Literatur in Nazi-Deutschland".

So abschreckend sich das auch anhören mag: in ihrem Vorwort vermitteln die Autoren zunächst den Eindruck, als könnten sie Gegenwart und Vergangenheit auseinanderhalten. Eine "Phänomenologie der literarischen Produktion im NS-Staat" müsse ihren Ausgang von den Einzelfällen nehmen. Denn im streng reglementierten Literaturbetrieb seien "vielschichtige Strömungen" auszumachen, das literarische Leben sei "vielfältiger, als es sich in in einem solchen repressiven System erwarten" lasse.

Doch schon in der Einleitung nimmt das "Verständnis" von Seite zu Seite ab. Billigt man den Autoren der "Inneren Emigration" zunächst noch zu, ein breites Spektrum "nicht-nationalsozialistischer, staatsfreier, parteiferner" Literatur zu repräsentieren, wird bald bezweifelt, ob es so etwas wie "regimekritische Literatur" zwischen 1933 und 1945 überhaupt gab. Deshalb stehen in den biographischen Beiträgen über wichtige Exponenten dieser Gruppierung wie Werner Bergengrün, Frank Thieß, Albrecht Haushofer, Ernst Wiechert, Friedrich Reck-Malleczewen, Reinhold Schneider, Jochen Klepper oder Ernst Jünger, die "systemstabilisierenden" Seiten ihrer Autorschaft im Vordergrund. Darum weist man Marie-Luise Kaschnitz natürlich die "Affinität" zu "nationalsozialistischen Todesstilisierungen" nach, bescheinigt Klepper eine "Staatstreue mit pathologischen Zügen" und ist sichtlich enttäuscht darüber, daß der in Weimarer Zeiten so "antiparlamentarische" Friedrich Georg Jünger "erstaunlicherweise" 1933 zunächst verstummte und man ihm keine NS-Sympathien nachweisen kann. Immerhin lassen sich auch solche Schriftsteller wenigstens noch als "elitär", "aristokratisch" oder einfach nur "eskapistisch" denunzieren. Oder, hier können die Autoren vermutlich auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, man attestiert ideologischen Opportunismus und Anbiederung aus finanziellen Erwägungen, bei dem Münchener Komiker Karl Valentin genauso wie beim gescheiterten Emigranten Wolfgang Koeppen.

Vorgetragen wird das alles mit einem unangenehmen staatsanwaltlichen Duktus: Waldemar Bonsel habe die Chance zu "kritischer Aufarbeitung" nach 1945 versäumt, Ernst von Salomon fehle "jegliche kritische Selbstreflexion", Ernst Jünger "muß sich vorwerfen lassen", Wilhelm Schäfer könne "nicht darüber hinwegtäuschen" - hier tobt sich ein "Das-werde-ich-melden-Deutsch" aus, das nicht nur im Hessischen Rundfunk den Ton angibt. Literaturhistorisch verharrt es auf dem Niveau Ralf Schnells, der vor einem Vierteljahrhundert, im Auftrieb von 1968, "Innere Emigranten" in verkappte "Faschisten" verwandelte. Dagegen gerichtete Anstrengungen des Germanisten Friedrich Denk, die "Zensur der Nachgeborenen" (1995) aufzuheben, irritieren Sarkowicz/Mentzer darum nur selten. So ist dieses weit von positivistischer Objektivität entfernte "Lexikon" mit seinen 150 Biographien nur zur ersten Orientierung zu empfehlen, als Provokation zur fleißigen Lektüre der Benn, Borchardt, Schneider & Co., um es bald besser zu wissen als unsere beiden Volkspädagogen.

Immerhin zeigen sich die für ein Nachschlagewerk unerläßlichen Kurz-Bibliographien überwiegend auf dem neuesten Forschungsstand. Merkwürdig nur, wie selektiv die Autoren dabei verfahren. Manches, was seit der ersten, etwa fünfzig Seiten kürzeren Ausgabe 2000 erschienen ist, fand noch in letzter Minute vor Drucklegung Aufnahme, etwa die Anfang 2002 veröffentlichte Sammlung zu Leben und Werk Albrecht Haushofers, Fritz J. Raddatz' Benn-Biographie (2001), der Briefwechsel Rudolf Borchardt - Rudolf Alexander Schröder oder sogar ein Sammelband über Max Kommerell, der erst für dieses Frühjahr angekündigt ist. Bei Wilhelm Lehmann fragt man sich dagegen, ob die "jüngste" literaturwissenschaftliche Untersuchung über den Naturlyriker wirklich auf 1982 zu datieren ist. Wenn Sarkowicz/Mentzer an das von Ricarda Huch geplante Gedenkbuch für "deutsche Widerstandskämpfer" erinnern, warum fehlt der Hinweis darauf, daß Wolfgang M. Schwiedrzik es 1997 erstmals in Buchform veröffentlichte? Ernst Jüngers "Politische Publizistik 1919-1933" erschien 2001, findet hier aber keine Beachtung. Für Jochen Klepper, Oskar Loerke, Frank Thiess, Ernst Wiechert, Horst Lange, Johannes Bobrowski, Franz Fühmann und Edzard Schaper fehlen konsequent die Hinweise auf jene Studien, die über diese Autoren in den Bänden der Reihe "Literarische Landschaften" 2000/2001 im Berliner Verlag von Duncker & Humblot (siehe JF 15/01) versammelt sind. Macht sie der Umstand, daß sie "im Auftrag der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen" herausgegeben wurden, nicht zitierfähig?

Wie dem auch sei, schwerer wiegen die sachlichen Irrtümer, die großen und die kleinen. Wenn Erhart Kästners "Zeltbuch von Tumilad" in "Tumiland" umgetauft und mit einigen Zitaten aus der Sekundärliteratur abgefertigt wird, beschleicht einen der finstere Verdacht, daß die Autoren dieses Werk nie in der Hand hatten. Im Reinhold Schneider-Artikel zitieren sie aus dem "Tagebuch 1930-1935" (veröffentlicht 1983) einen Eintrag vom 22. März 1933, der Zustimmung zur "Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 21. März 1933" signalisiert. Diese Ernennung fand aber bekanntlich am 30. Januar statt, und wer bei Schneider nachschlägt, findet unter dem 22. März überhaupt keinen Eintrag, ja er begegnet Hitler nicht einmal im Personenregister. Woher stammt also das Zitat? Versierte Kenner Ernst Jüngers wird es freuen, von einem bislang unbekannten Werk zu erfahren: Der erste Teil der "Strahlungen" (1949) sei schon gleichzeitig mit "Gärten und Straßen" vor 1945 veröffentlicht worden. Auch zitieren Sarkowicz/Mentzer aus Roland Freislers ominösem Brief in Sachen Jünger so, als hätte es um diese Fälschung vor zehn Jahren kein publizistisches Getöse gegeben. Helene Voigt-Diederichs wurde 1875 auf Gut Marienhof geboren, während "Auf Marienhoff" der Titel eines ihrer erfolgreichsten Bücher ist. 1933 lebte Stefan Zweig nicht inWien, sondern in feudalem Ambiente auf dem Salzburger Kapuzinerberg - dem Berghof fast vis à vis. Mit der Wendung, der Soldat Johannes Bobrowski "kehrte nach Ilmensee zurück", scheinen die Autoren ausdrücken zu wollen, dies sei ein Ort irgendwo bei Leningrad ("südlich von Petersburg"). Überhaupt strotzt der nichtssagende Bobrowski-Artikel vor Fehlern. Mindestens skurril wirkt auch die Angabe, Kurt Eggers' "Beerdigung" habe 1943 in der Berliner Kroll-Oper stattgefunden. 1890 wählte die Kirchengemeinde in Hennstedt Gustav Frenssen zum Diakonus, welches in Norderdithmarschen liegt, während man das von Sarkowicz/Mentzel angegebene "Hennestadt" vergeblich auf der Landkarte sucht. So geht es munter fort, aber wir wollen den Lektor einer weiteren "Neuausgabe" nicht ums Brot bringen. Nur sei noch die Anregung gestattet, dann auch gleich den verschwenderischen Gebrauch der Bekräftigungsfloskel "durchaus" einzudämmen, so daß uns dieses Wörtchen auf 400 Seiten vielleicht nur noch 200 Mal nervt.

Akademie der Künste, Sektion für Dichtkunst nach der "Säuberung" (1935): Beumelburg, Blunck, Miegel, Johst, Strauss, Bindung (sitzend v. l.), Vesper, v. Münchhausen, Grimm, Kolbenheyer, Schäfer (stehend)

Hans Sarkowicz, Alf Mentzer:Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biographisches Lexikon. Erweiterte Neuausgabe, Europa Verlag, Hamburg 2002, 440 Seiten, Abb., 26,90 Euro


 
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