© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/02 10. Mai 2002

 
Die Fälschung des Machbaren
Neuseeland: Wenn Politiker nicht nur Reden schreiben, sondern auch Bilder malen lassen
Silke Lührmann

Politik ist die Kunst des Machbaren, der Surrealismus ihre stilgerechte Ausdrucksform. Kürzlich enthüllte die Sunday Star-Times im neuseeländischen Auckland neue Peinlichkeiten von Labour-Premierministerin Helen Clark. Am 14. April machte die Sonntagszeitung mit einem Bericht über ein Bild auf, das Clark - damals noch Oppositionsführerin - 1999 der Tierrechtsorganisation Save Animals from Exploitation (SAFE) gestiftet hatte.

Das Gemälde, eine abstrakte Kleckserei in Blau-Grün, die an der Wand jedes Kindergartens den Ehrenplatz einnähme, wurde bei einer celebrity auction - einer Auktion von Kunstwerken prominenter Bürger zu wohltätigen Zwecken - für 1.000 neuseeländische Dollar (etwa 500 Euro) an einen Geschäftsmann aus Auckland versteigert. Nachforschungen der Sunday Star-Times hatten nun ergeben, daß Clark das Bild zwar eigenhändig signiert, nicht aber gemalt hatte. Tatsächlich entstammte es der Palette einer Hobbymalerin, die mit einem Angehörigen ihres Mitarbeiterstabes verwandt war. Clark erklärte dazu: "Ich bin sicher, das Bild ist furchtbar schlecht. Aber wenn ich es selber gemalt hätte, wäre es nicht viel besser geworden." In der Folge gab sie dem öffentlichen Druck nach, entschuldigte sich und unterzeichnete ein zweites Mal: auf einem Scheck über 1.000 Dollar an den Käufer der Fälschung, der seine Entschädigung inzwischen einem Tierheim gespendet hat.

Im Parlament kam wochenlang kein noch so unerheblicher Tagesordnungspunkt an der Frage vorbei, wer bei welchem Gesetzesentwurf pinselführend gewesen sei. Allerorten sprossen Retrospektiven von Clarks Frühwerk aus dem Boden. Die Kunstexperten der Nation vergnügten sich damit, das Œuvre verschiedenster Regierungs- und Oppositionspolitiker zu begutachten, während Clark, die sich zuvor auf bis zu 80 Prozent Wählerzustimmung stützen konnte, rapide an Glaubwürdigkeit verlor. Dabei hatte sie doch lediglich eine Fähigkeit bewiesen, die jeder Regierungschefin zustatten kommt: die Bereitschaft zu delegieren. Eins immerhin sicherte der Skandal dem Inselstaat: das Rampenlicht der Weltöffentlichkeit, das er sich so sehnlichst wünscht. Gleich mehrere britische Zeitungen nahmen die Geschichte zum Anlaß, auf der Titelseite über die ehemalige Kolonie herzuziehen, wie die neuseeländische Presse stolz berichtete.

Für unsere politikverdrossene Welt eröffnen sich völlig neue Zukunftsperspektiven. Neuseeland etwa könnte sich einen kostspieligen Wahlkampf sparen und statt dessen einen Malwettbewerb zwischen den Kandidaten aller Parteien austragen. Zumindest aber sollte man den Kabinettsposten eines Hofmalers einrichten - so wie jede westliche Demokratie, die etwas auf sich hält, auf Kosten der Steuerzahler nicht nur einen amtlichen Kulturverweser, sondern auch einen poet laureate unterhält: einen Narren, der auf Abruf bereitsteht, den Machthabern Lobpreisungen zu dichten. Damit wäre zumindest einem Nachwuchstalent geholfen, das nur davon träumen kann, ein Bild für 1.000 Dollar zu verkaufen.

Nicht nur der Raum, den Kunst in den Amtszimmern der Macht einnimmt - auch der Rang der Mächtigen im Atelier muß neu überdacht werden: Ist ein Joschka Fischer der Sturm-und-Drang-Phase mehr wert als Gerhard Schröders Porträt des Kanzlers als Computerinder, Klaus Wowereits "... und das ist gut so"-Serie mehr als Helmut Kohls Selbstbildnis in 3-D oder die stimmungsvollen Alpenlandschaften des Jörg Haider? Bill Clintons Stilleben mit Zigarre unsterblicher als die dadaistische Weltkarte des George W. Bush? Ältere Besucher dieser illustren Galerie werden sich freuen, in einer Sonderausstellung die beliebten Genschman-Comics der 1980er sowie die gesammelten Akte des John F. Kennedy vorzufinden. 


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen