© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/02 10. Mai 2002

 
Die Antike als Vorbild
Ein Ort für Denker: In Alexandria entsteht wieder eine Bibliotheca Universalis
Beatrix Madl

Die Idee von der Wiedererstehung der Bibliothek von Alexandria kam dem Altphilologieprofessor Mustapha El-Abbadi vor dreißig Jahren: "Es sollte eigentlich eine Bibliothek für die Uni werden", erinnert sich der Professor an das erste Konzept. Als er 1972 in einem Vortrag vor dem Lehrkörper seiner Fakultät über die antike Bibliothek sprach, war ihm erstmals so richtig bewußt geworden, daß der Universität von Alexandria so eine Einrichtung fehlte.

Die Hochschule war noch dreißig Jahre nach ihrer Gründung zu Kriegszeiten 1942 ein Provisorium. Die Institute waren über die Stadt verteilt, anders als bei den üblichen ägyptischen Campusuniversitäten. Inzwischen hatte die Stadt zudem völlig ihren kosmopolitischen Glanz verloren, der ihr einst vor allem griechische, armenische und jüdische Unternehmer und Kaufleute verliehen. Im Zuge der Verstaatlichung der Betriebe und Gewerbe durch Staatschef Nasser hatten sie die Metropole verlassen.

In der Antike war Alexandria jedoch Nabel der Welt, der sich der größten Bibliothek rühmen konnte. Diese war nicht nur eine Sammlung von Schriften, Papyrusrollen, die erstmalig systematisch geordnet und katalogisiert wurden. Die Bibliotheca Alexandrina war auch eine Akademie, eine Stätte der Begegnung der geistigen Elite der Antike und ihres Nachwuchses.

Bereits seit vorigen Oktober steht in der ägyptischen Küstenstadt eine solche Einrichtung bereit, verwirklicht von der Unesco und der ägyptischen Regierung. Doch das 225 Millionen US-Dollar teure Gebäude ist der Öffentlichkeit immer noch nicht zugänglich. El-Abbadis Traum ist noch immer nicht richtig in Erfüllung gegangen. Ein konkreter Termin war schon angesetzt. Zum diesjährigen Welttag des Buches am 23. April sollte das Haus in Anwesenheit des ägyptischen Präsidenten Mubarak und internationaler Prominenz aus Politik, Wissenschaft und Literatur eröffnet werden. Die Feiern wurden aber kurzfristig verschoben, wegen der Vorgänge in den palästinensischen Gebieten, wie eine Sprecherin des ägyptischen Informationsministeriums mitteilte. Bei einer Demonstration gegen das israelische Vorgehen in den Autonomiegebieten war am 10. April gegenüber der Bibliothek ein Student von der Polizei erschossen worden. Bislang ist kein neuer Termin in Sicht, zu dem die Bibliothek endlich für die Öffentlichkeit freigegeben wird. Er liegt ebenso im Dunkeln wie der genaue Zeitpunkt der Zerstörung der Vorgängerin, die unter dem hellenistischen Herrscher Ptolemaios I. Soter drei Jahrhunderte vor Christus als Akademie und Musentempel (Museion) gegründet wurde.

Mustapha El-Abbadi vertritt die These, daß die bis zu 700.000 Schriftrollen im 4. Jahrhundert auf Geheiß des christlichen Kaisers Theodosius I. zerstört wurden, der gegen den heidnischen Glauben kämpfte. El-Abbadis Meinung nach verbrannte nur ein Teil der Papyrusrollen bereits 47 v. Chr., als Julius Cäsar die ptolemäischen Schiffe im Hafen in Brand setzte und das Feuer auf naheliegende Gebäude übergriff. In den Quellen fand der Altphilologe jedoch keine Hinweise, die die These aufrechterhalten könnten, nach der die Bibliothek bei der Eroberung durch die Araber im 7. Jahrhundert zerstört wurde.

Über die Jahrzehnte ist aus der Idee für eine Universitätsbibliothek, die El-Abbadi einst hatte, ein Konzept für eine universale Bibliothek erwachsen. "Diese Bibliothek soll Alexandria in das kulturelle Zentrum des gesamten Mittelmeerraumes verwandeln", sagt Pressesprecher Khaled Azab. Dabei ist vor allem geplant, den arabischen Beitrag am Weltkulturerbe zu betonen, "um einen angemessenen Platz unter der herausragenden Denkern der Welt" beanspruchen zu können, wie Bibliotheksberater Youssef Zeidan sagt. Ein sehr ehrgeiziges Projekt für ein Land, in dem jeder Zweite, der älter als 15 ist, nicht Lesen und Schreiben kann.

Mit anderen Bibliotheken des Landes, denen nötiges Lehrmaterial vielfach fehlt, ist eine Kooperation geplant, bestätigt das deutsche Kuratoriumsmitglied Hans-Peter Geh. Wie das antike Vorbild soll die Nachfolgerin nicht nur Schriften lagern, sondern vor allem ein Zentrum der Pflege von Kunst und Kommunikation sein. Das Haus lädt somit zu Konferenzen, Vorträgen und Konzerten ein. Zudem sind Ausstellungen geplant, und ein Archäologiemuseum soll neben frühislamischen Handschriften auch koptische Ikonen oder Kunstwerke aus der griechisch-römischen Zeit zeigen.

Zum ursprünglich geplanten Eröffnungstermin wurde das Museum aber erst gerade eingerichtet. Unter den Exponaten sind auch zwei Mosaike. Die beiden Kunstwerke entdeckten Arbeiter, als sie 1994 die Baugrube für die neue Bibliothek aushoben. Das eine zeigt einen Hund, das andere zwei Kämpfer. Ahmed Abdel Fattah, Direktor des greco-römischen Museums in Alexandria, vermutet, daß diese Mosaike sogar einst die alte Bibliothek zierten. Da die Archäologen bislang keinen exakten Hinweis auf den Standort des alten Museions gefunden haben, harrt Fattahs These noch der Bestätigung.

Bei der Entwicklung ihrer Idee haben die Initiatoren der Bibliothek auch die Astronomie berücksichtigt, der im antiken Vorbild bereits eine bedeutende Rolle zukam. Die neue Bibliotheca Alexandrina verfügt nun über das modernste Planetarium des Nahen Ostens - und das einzige in Ägypten.

Das gigantische Projekt entstand vor allem dank großzügiger Spenden, zu denen die Unesco aufrief. Bereits 1990 wurde mit dem Fundraising begonnen. Es flossen vor allem arabische Gelder. 140 Millionen US-Dollar kamen dabei zusammen, weitere 65 Millionen brachte das Geld bei der Verzinsung ein.

Das Gebäude gestaltete ein norwegisches Architekturbüro. Es sieht aus wie eine Scheibe, die zur Meerseite gekippt und deren hellgraue Umrandung mit Schriftzeichen antiker Kulturen verziert ist. Der 37.000 Quadratmeter große Lesesaal, der sich innen über sieben Parketterrassen erstreckt, soll für 2.000 Benutzer gleichzeitig reichen, das gesamte Magazin für acht Millionen Bände. Erst 240.000 Bücher sind bislang durch Spenden zusammengekommen, darunter nicht nur arabische und englische Bände, sondern auch Werke in vielen anderen Sprachen wie etwa Chinesisch oder auch Deutsch. Der Ausbau wird sich wohl noch länger hinziehen als die Eröffnung.

 

Weitere Information zur Bibliothek finden sich im Internet unter www.bibalex.org 


 
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