© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/02 10. Mai 2002

 
Der Mann der klaren Worte
Nachruf: Mit dem volksnahen Pim Fortuyn wurde der politische Hoffnungsträger der Niederlande ermordet
Jerker Spits

Neun Tage vor den niederländischen Parlamentswahlen ist der populäre Politiker Pim Fortuyn von einem Einzeltä-ter ermordet worden. Der 54jährige hatte zuvor ein Radiointerview im Rundfunkgebäude von Hilversum - rund 20 Kilometer südöstlich von Amsterdam - gegeben, als der Attentäter ihn auf dem Parkplatz vor dem Sendehaus mit sechs Schüssen in Kopf, Hals und Brust niederstreckte. Notärzte bemühten sich noch am Ort des Verbrechens vergeblich um das Leben des Politikers. Dem Spitzenkandidaten seiner Partei "Lijst Pim Fortuyn" (LPF) waren große Stimmgewinne prophezeit worden.

Fortuyn, der einstmals bei den Sozialdemokraten (Partij van de Arbeid/PvdA) und später Berater der Christdemokraten (CDA) war, trat aber erst vor einem Jahr ins Scheinwerferlicht der Politik. Er kämpfte vor allem für einen sofortigen Stopp der Aufnahme von Asylanten in den Niederlanden. Auch mit seiner scharfen Kritik an Mißständen der niederländischen Politik fand der charismatische Soziologieprofessor großen Zulauf. In den Umfragen lag er bald über 20 Prozent. Auch seine Klagen über mangelhafte öffentliche Dienstleistungen, korrupte Gesellschaftspraktiken und schlechte Arbeitsmoral stießen auf stetig wachsende Zustimmung.

Als der feige Mord am Montagabend bekannt wurde, beschlossen die niederländischen Parteien sofort, den laufenden Wahlkampf zu unterbrechen. Auch eine von Linksparteien für das kommende Wochenende geplante Massendemonstration gegen Fortuyns Liste wurde sofort abgesagt. Noch am gleichen Abend kam es zu Ausschreitungen: empörte Anhänger des Ermordeten drangen in die Tiefgarage des Haager Parlaments ein und zündeten Autos an. Vor Fortuyns Rotterdamer "Villa di Pietro" standen tausende Menschen, die weinten und Blumen niederlegten. Der Rotterdamer Bürgermeister Ivo Opstelten (von der liberalen VVD) öffente den Trauernden das Rathaus, die sich massenhaft in das Kondolenzbuch eintrugen.

In den zurückliegenden Monaten hatte Fortuyn die niederländische Politik mit neuen Leben erfüllt. Wie kein anderer trat er für Meinungs- und Pressefreiheit ein. Mit seinen klaren Aussagen (der Islam sei eine "rückständige Kultur" oder "16 Millionen Menschen sind schon zuviel") sorgte er im konsens- und kompromißbereiten Klima der Niederlande für Aufsehen.

Ein Kämpfer für Meinungs- und Pressefreiheit

Wilhelmus Simon Petrus Fortuyn wurde am 19. Februar 1948 in einer konservativ-katholischen Familie in Velzen (Nordholland) geboren. In Amsterdam, wo er Geschichte, Soziologie, Jura und Wirtschaft studierte, engagierte er sich in der Studentenbewegung. 1971 schloß Fortuyn sein Studium der Soziologie ab, 1980 promovierte er in den Sozialwissenschaften. 1986 wurde Fortuyn Mitarbeiter im niederländischen Sozialwissenschaftlichen Rat (SER). 1990 erhielt er eine außerordentliche Professur an der angesehenen Erasmus-Universität von Rotterdam. Zeitgleich gründete er seine Beratungsfirma "Fortuyn bv". In den folgenden Jahren veröffentlichte er mehrere Bücher, unter anderem Titel wie "Gegen die Islamisierung unserer Kultur" (1997). Fortuyn entwickelte sich zu einem gefragten Redner und erregte als Kolumnist des Politmagazins Elsevier zunehmend Aufmerksamkeit.

Am 20. August 2001 machte er seinen Eintritt in die Politik bekannt. Am 25. November kürte ihn die aus einer Bürgerbewegung entstandene Partei "Leefbaar Nederland" (Lebenswerte Niederlande/LN) zum Spitzenkandidaten. Sofort machte sich unter Fortuyns Führung ein großer Stimmenzuwachs bemerkbar. Am 9. Februar 2002 kam es jedoch zu einem Bruch zwischen Fortuyn und der LN-Führung. In einem Gespräch mit der linken Tageszeitung De Volkskrant hatte Fortuyn für einen sofortigen Immigrantenstopp plädiert und dazu die Allgemeingültigkeit des Antidiskriminierungsartikels in der niederländischen Verfassung angezweifelt. Die LN trennte sich darauf von ihrem Spitzenmann. Nur zwei Tage später präsentierte Fortuyn seine eigene "Liste Pim Fortuyn". Während seine alte Partei unter ihrem neuen Spitzenkandidaten, dem Amsterdamer Anwalt Fred Teeven, von gut 20 auf rund fünf Prozent zusammenschrumpfte, wuchs die Popularität Fortuyns mit jeder neuen Umfrage. Sein Wahlprogramm, das Buch "Der Scherbenhaufen des violetten Kabinetts", eine gnadenlose Abrechnung mit der sozialliberalen Regierung (PvdA, VVD und linksliberale D'66), geriet zum Bestseller.

Der erste Erfolg gelang Fortuyn am 6. März bei der Kommunalwahl in der sozialdemokratischen Hochburg Rotterdam. Er erzielte 35 Prozent der Stimmen - ein echter Dammbruch. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg mußte die PvdA den ersten Platz räumen (JF 12/02). Noch am gleichen Abend wirkten die Spitzenkandidaten der anderen Parteien in einer Fernsehdiskussion, an der auch Fortuyn teilnahm, wie gelähmt. Auch in den folgenden Wochen schienen die etablierten Parteien in ihren alten Strukturen erstarrt, zumal der Vorwurf des "Rechtsextremismus" gegen Fortuyn ins Leere traf. Er nahm in seinen medienwirksamen Auftritten kein Blatt vor den Mund und scheute kritische Stellungnahmen zur Einwanderung nicht. Gleichzeitig aber bekannte er sich freimütig zu seiner Homosexualität. Sein "nonkonformes" Auftreten machte seinen linken Gegnern Angst, da er nicht in das klassische, von Linken definierte Schema des "Rechtspopulisten" oder "Rechtsextremen" paßte.

Viele Themen, die bislang verschwiegen wurden, rückten unter Fortuyns Einfluß ins Rampenlicht. Auch Jan-Peter Balkenende, christdemokratischer Spitzenkandidat, äußerte nun frei heraus schwere Bedenken gegen eine "multikulturelle Gesellschaft". Sogar unter linken Politikern wurde nun die hohe Kriminalitätsrate der ausländischen oder eingewanderten Jugendlichen zu einem vieldiskutierten Thema.

Während fast alle niederländischen Zeitungen, von der linken Volkskrant bis zum populären Telegraaf, die Bezeichnung "rechtsextrem" für Fortuyn ablehnten, reihte sich Fortuyns Erfolg für das Ausland in den Aufstieg "rechtsextremistischer" und "rechtspopulistischer" Parteien in anderen europäischen Ländern ein. Hatte man doch solche Strömungen in den als so liberal geltenden Niederlanden bislang nicht erwartet. Noch vor einem Monat hatte die linksliberale Hamburger Wochenzeitung Die Zeit Fortuyn als "Schmuddeltypen" bezeichnet, und ihn als "Sonntagskind und Desperado", als "Dadaist mit Gladiatorenhaupt" und "unverhohlenen Muslimhasser" entlarvt. Nur allzu oft geht die ausländische Presse dabei von einer falschen Prämisse aus: die Niederlande gelten ihr als "Musterstaat der Toleranz", ein Bild, das von den Niederländern selbst oft nur allzu gern bestätigt wird. Ein Bild aber, das nur wenig Übereinstimmung mit der Wirklichkeit aufweist. Soziologen beobachten in den Niederlanden seit Jahren eine "weiße Flucht" aus "schwarzen" Konzentrationsschulen und Stadtteilen. Sprich: solchen mit einem hohen Ausländeranteil.

Eloquenz und Auftreten sicherten ihm Popularität

Ein für die Politik zunehmend heikles Thema ist auch die hohe Kriminalitätsrate speziell von marokkanischen und antillianischen Jugendlichen. Gründe, weshalb der Publizist Paul Scheffer schon im Januar 2000 der niederländischen Politik "Nachlässigkeit unter der Maske der Toleranz" vorwarf. Als ob es nicht reichte, daß ganze Menschengenerationen nicht-niederländischer Herkunft eine ethnische Unterklasse bildeten, strömten stets noch mehr von ihnen ins Land. Fortuyn durchbrach mit seinen Auftritten die stillschweigende Vereinbarung der politischen Eliten des Polderlandes, wonach die Zuwanderungs- und Ausländerfrage aus der parteipolitischen Konfrontation herausgehalten werden sollte. Seine Bemerkungen zur Unvereinbarkeit von niederländischen mit muslimischen Werte kamen einem Tabubruch gleich. Vergleiche mit anderen europäischen Rechtspopulisten wie dem Franzosen Jean-Marie Le Pen, dem Flamen Filip DeWinter und dem Kärntner Jörg Haider wies Fortuyn zurück. Wohl aber wollte er den Niederlanden seine "Identität" zurückgeben und die "nationale Souveränität" schützen. Bei den anderen niederländischen Parteien, vor allem bei den Christdemokraten und der rechtsliberalen VVD, galt Fortuyn als regierungsfähig. Ein "cordon sanitaire", wie er im Nachbarland Belgien um den Vlaams Blok gezogen wurde, erwog man in den Niederlanden nicht.

Auch für die Parlamentswahl am 15. Mai wurden Fortuyn gute Chancen eingeräumt: bis zu 29 Sitze im 150köpfigen Parlament wurden ihm vorausgesagt. Am Tag seiner Ermordung erhielt seine Partei erstmals in Umfragen sogar die meisten Stimmen - mehr als PvdA, CDA und VVD. Seine Eloquenz, sein nonkonformes Auftreten sowie seine klare Sprache sicherten seine Popularität. Unter den Jugendlichen zwischen 18 und 30 Jahren durfte Fortuyn sogar mit der Hälfte der Wählerstimmen rechnen. Nur ein einziges Mal verschlug es ihm die Sprache, als Grünenchef Paul Rosenmöller ihm das Wort abschnitt : "Pim. Du nennst kein einziges Argument. Du machst nur Theater."

Noch wenige Stunden vor seinem Tod hatte Fortuyn erklärt, daß er bedroht würde. Er wolle nicht mehr in seine Rotterdamer Villa zurückkehren, erklärte einer seiner Freunde in einem Gespräch mit dem Fernsehsender NOS. Er hatte sogar vor, nach Belgien umzuziehen. Der 54jährige Fortuyn wollte ursprünglich in einem Hotel in der nördlichen Provinzstadt Leeuwarden übernachten, wo er abends an einer Parteiversammlung teilnehmen sollte. Auch schon früher war Fortuyn tätlich angegriffen worden. Bei der Präsentation seines Buches in Den Haag wurde er von linksgerichteten Aktivisten, die ihn für einen Rechtsextremen hielten, mit aus Kot hergestellten Torten beworfen. Danach bat Fortuyn in einem seiner vielen Fernsehauftritte den amtierenden Ministerpräsidenten Wim Kok (PvdA) um verstärkten Polizeischutz. Er hat ihn nicht erhalten. Wegen der Tatsache, daß seine Partei keinen staatlichen Zuschuß erhielt, konnte sich Fortuyn Leibwächter nicht rund um die Uhr leisten. Diese Aufgabe wurde bei Parteikongressen vornehmlich von befreundeten Polizisten und Taxifahrern erfüllt.

"Gegen die Islamisierung unserer Kultur"

"Fortuyn war drauf und dran, bei den Parlamentswahlen einen Erdrutsch zu bewirken", notierte die Amsterdamer Zeitung De Telegraaf. Fortuyn hätte einen anderen Stil in die Politik gebracht, der offensichtlich gut ankam. Seine klare Sprache hätte die bedächtige niederländische Politik auf den Kopf gestellt.

Wie die Wahl am 15. Mai ausgeht, ist noch unklar. Eine bürgerliche Regierung aus Christdemokraten (CDA), Rechtsliberalen (VVD) und Fortuyn wurde bislang von den Wählern favorisiert. Laut Umfragen durfte sie mit einer klaren Mehrheit von 80 Sitzen rechnen. Fortuyns Partei war aber in hohem Maße ein Ein-Mann-Unternehmen. Trotzdem halten es niederländische Experten für wahrscheinlich, daß seine Gruppierung jetzt noch kräftigeren Zulauf haben wird. Der Schockeffekt durch den Tod Fortuyns wird seine Wirkung auf den Wähler nicht verfehlen, heißt es. Trauer und Wut könnten jetzt wichtiger werden als rein politische Abwägungen.

"Jeder hatte Angst es auszusprechen, aber wir hofften alle, daß der Täter aus einem Bauerngeschlecht stammt, das seit der Trockenlegung im Nordostpolder wohnt, so ein blonder blauäugiger Mann, der im Alltag für Gott, Oranjen und Vaterland steht. Falls es um jemanden gehen würde, der aus der Migration kommt, wären die Konsequenzen nicht mehr zu übersehen", sorgte sich Michaël Zeeman von der Volkskrant am Dienstag. Abgesehen von dieser Typologie des "rechtsextremen Ariers" oder "Muslimfundamentalisten" vergaß er aber bewußt die Möglichkeit einer linksextremen Täterschaft.

 

Fototext: Pim Fortuyn: Sechs Schüsse eines Mörders rissen den niederländischen Politiker am 6. Mai 2002 mit gerade mal 54 Jahren aus dem Leben - Eine Woche vor der Parlamentswahl ist das Land tief erschüttert


 
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