© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/02 10. Mai 2002

 
Nachlässigkeit und falsche Toleranz
Niederlande: Nach dem heimtückischen Mord an Fortuyn gerät das Land in eine schwierige Lage
Nikolaas Vaes

Pim Fortuyn ist neun Tage vor den am 15. Mai anstehenden Parlamentswahlen ermordet worden. Er war für ausländische Beobachter ein Rätsel. Wie konnte der homosexuelle Dandy zum knallharten Populist werden, der in ausländischen Medien als Rechtsextremist galt?

Der flämische Journalist Hugo Camps hat die Lebensanschauung dieses Mannes brilliant im linksliberalen De Morgen skizziert: "Er konnte Polemik zur Kunst erheben. Getragen war er von einer Überzeugung, von einem Neonationalismus, der ihm allein gehörte, von einer halbreligiösen Berufung: Rebel with a cause. Seine Revolte war in ihrem ganzen Dadaismus geradeaus und gelebt. Zweifeln war nicht erlaubt. Pim Fortuyn wollte ein moderner Populist werden. Eigentlich war er ein altmodischer Patriot. Kein Blut-und-Boden-Held, sondern mehr der Kulturträger einer Geistesmarke: die "Niederlande". Der Bürger sollte entkolonisiert und das Land zurückerobert, die Erstarrung des institutionellen und ritualisierten Gemeinwesens geknackt werden. Er wollte wieder fröhliche Bürger am Horizont. Bürger, die Theater machen können. Bürger mit einer großen Schnauze."

Fortuyn hoffte nach der Wahl auf eine Koalition mit den Christdemokraten (CDA) und den Rechtsliberalen (VVD), obwohl er offiziell auf wenig Entgegenkommen zählen konnte: der VVD-Fraktionschef Hans Dijkstal vermied ratlos und ängstlich jede Grundsatzdiskussion mit Fortuyn. CDA-Chef Jan Peter Balkenende fand Fortuyns Auffassungen zum Gesundheitswesen "asozial", da er die herrschende Bürokratie in diesem Sektor erst ausschalten wollte, bevor man immer neue Gelder hineinpumpt. Aber trotz dieses Mißtrauens, mußte Balkenende doch die Möglichkeit, mit Fortuyn eine Koalition zu bilden, offen lassen, da die siebenjährige "violette" Koalition (PvdA, VVD und linksliberale D´66) in eine politische Sackgasse geraten war.

Balkenende, der Dozent für Christlich-Soziales Denken an der Freien Universität von Amsterdam ist, fährt einen konservativen Kurs: Er will die ultraliberalen holländischen Euthanasie-, Abtreibungs-, Bioexperiment- und Gentechnikgesetze strenger formulieren, was vielen Wählern auch lieber wäre. Eine Aussage Balkenendes vom November 2001 läßt deutlich erahnen, daß Berührungspunkte mit Fortuyns Reformwünschen existieren: "In den sieben fetten Jahren ist die rechtsliberal-sozialistische Koalition nicht fähig gewesen, die Probleme im Gesundheitswesen, im Unterrichtswesen und in der Frage der Sicherheit zu lösen. Geld dabei zuzuschieben ist keine Lösung (...) Es herrscht eine große Unzufriedenheit über die zu umfangreiche Bürokratie. Alles wird von oben geregelt. Wir wollen den Institutionen und den Schulen mehr Freiheit geben. Wir wollen die Kreativität nicht mit Regeln und Rundschreiben einschnüren. Wo es möglich ist, sollen die Bürgen mehr Wahlfreiheit bekommen. Jeder Mensch ist einzigartig und kann in der Gesellschaft was bedeuten. Aber dann muß man ihnen wohl eine Chance dazu geben. Zusammen sollen wir eine kohärente Gemeinschaft bauen. Mit diesem Ideal nehme ich teil am nächsten Wahlkampf".

Beide Männer, Fortuyn als erfolgreicher Außenseiter und Balkenende als erfahrener Politiker im herrschenden System, haben erkannt, daß die heutigen westlichen Gesellschaften viele "morsche Knochen" haben, was jede Gesundung verhindere. Zwischen Bürgern und Institutionen besteht eine tiefe Kluft. Wird dieser Graben nicht bald überbrückt, könnte diese Gesellschaft auseinanderfallen. Fortuyn wußte dies, schaute mit ironischem Blick und kritisierte dies alles mit einer frechen Schnauze, die die Jugend mobilisierte, aber die erstarrten Linken empörte. Auch der 46jährige Balkenende ist sich dessen bewußt, der promovierte Jurist argumentiert aber mit den Waffen einer christlich-ethischen "Coincidentia Oppositorum", die soziale Institutionen vor zu forschen Angriffen bewahren und gleichzeitig die Bürger vor zu tiefen Eingriffen in ihre Privatautonomie schützen will.

Deshalb wäre ein Tandem Fortuyn/Balkenende eine Möglichkeit für Holland gewesen, das volens nolens in der EU sein Pendant in der schwarz-blauen Regierung von des österreichischen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel gehabt hätte. Doch nun wurde der Hoffnungsträger Fortuyn ermordet, seine gleichnamige Partei ist kopflos. Gegen Fortuyns Ziel, das politische Gemeinwesen gründlich zu renovieren, hatten seine Feinde keine überzeugenden Argumente - nur Haß und Gewalt.

Henk Westbroek, einer der Gründer der Bürgerpartei "Leefbaar Nederland/LN" (dessen Spitzenkandidat Fortuyn bis zum Streit im Februar war) erklärte, Politiker und Medien hätten mit der Dämonisierung von Fortuyn eine Atmosphäre geschaffen, in der eine solche Tat möglich wurde. Namentlich nennt er Ad Melkert, den Spitzenkandidaten der PvdA, und den Fraktionschef von Linksgrün, Paul Rosenmöller.

"Er war die Hoffnung auf Veränderung für uns", erklärte eine Fortuyn-Anhängerin. "Jetzt ist auch diese Hoffnung weg." Vielleicht finden aber Westbroeks LN und die Liste von Pim Fortuyn jetzt wieder zusammen und arbeiten in seinem Sinne weiter.


 
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