© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/02 10. Mai 2002

 
Lenins Rat beherzigen
Gewerkschaften: Altstalinist Peter Gingold spricht auf Frankfurter DGB-Maikundgebung
Werner Olles

Auf der diesjährige Maikundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Frankfurt am Main stand ein Mann am Mikrofon, den man am wohl am allerwenigsten bei den Gralshütern der Demokratie und Meinungsfreiheit erwarte hätte: Peter Gingold.

Gingold, neben dem Vorsitzenden der IG Bauen-Agrar-Umwelt, Klaus Wiesehügel (SPD), Hauptredner auf der Kundgebung, ist Bundessprecher der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten), einer laut Verfassungsschutzbericht linksextremistischen Organisation, deren "offene Bündnispolitik" auch die Solidarität mit kriminellen Aktionen der gewalttätigen "Autonomen Antifa" beinhaltet. Außerdem ist er auch Funktionär der stalinistischen DKP und Mitglied des Förderkreises der orthodox-kommunistischen "Freien Deutschen Jugend", der ehemaligen Staatsjugend der DDR-Diktatur, die sich genau wie ihre Mutterpartei SED nach der Wiedervereingung erneut etablieren konnte. 1951 wurde die FDJ in der Bundesrepublik Deutschland wegen staatsfeindlicher Bestrebungen verboten.

Eines muß man Peter Gingold (Jahrgang 1916), der vom DGB etwas verschämt als "Antifaschist" und "Resistance-Kämpfer" angekündigt wurde, immerhin bestätigen: Ein Wendehals war der Sohn eines Schneiders, der 1937 im französischen Exil Mitglied der KPD wurde, noch nie. In den siebziger Jahren fegte er als Mitglied der hessischen Landesschiedskommission der DKP die eurokommunistischen Blütenträumen anhängenden jungen Parteireformer mit eisernem Besen hinaus, und dazu steht er bis heute, denn "parteischädigendes Verhalten" könne nun einmal nicht geduldet werden. Selbst die taz kam nicht umhin, den "überzeugten Stalinisten" als "lernresistent bis zur Selbstverleugnung" zu bezeichnen, was ihr in der DKP-Zeitung Unsere Zeit den harschen Vorwurf der "Sudelei" einbrachte.

Liest man beispielsweise die Eröffnungsrede, die Gingold vor knapp zwei Jahren auf dem 15. Parteitag der DKP gehalten hat, meint man ein Echo aus dem Kellerraum der 1945 untergegangenen Reichskanzlei zu vernehmen: "Die Idee des Sozialismus kann nicht untergehen, nicht sterben. (...) Die Idee des Sozialismus, das Erhabenste, was die Menschheit hervorgebracht hat, dem die Zukunft gehört. (...) Und sie wird wieder die Massen ergreifen, zur materiellen Gewalt werden, wenn wir Lenins Rat beherzigen..."

Wem das noch nicht reicht, der lese Gingolds Interviews, die er über zehn Jahre nach dem Ende der imperialistischen Völkerkerkers Sowjetunion und des blutbesudelten kommunistischen Terrorsystems mit Abermillionen Ermordeten heute immer noch gibt: Es ist dieselbe totalitäre Energie, die auch das nationalsozialistische Regime ausgezeichnet hat, ungebrochen, ungebeugt, unbelehrbar.

Während der DGB unverdrossen die Humanitätstrommel rührte, ohne daß ihm dabei der Boden unter den Füßen wegrutschte, stand mit Peter Gingold in Frankfurt am Main ein Mann auf der Rednertribüne, der geradezu exemplarisch Hans Freyers Satz, daß sekundäre Systeme immer die Gefahr totalitärer Entwicklung in sich trügen, versinnbildlicht. Jedoch ist auch die Umkehrung korrekt, daß die totalitäre Entwicklung nach dem Gesetz der sekundären Systeme verläuft.

In diesem Sinne ist der Auftritt des Stalinisten Gingold eine Schande für den Deutschen Gewerkschaftsbund, der - außerstande mit seinen neuen Aufgaben im Zeichen der Globalisierung klarzukommen - mit durchaus ernst gemeinten "antifaschistischen" Mätzchen einen Markt bedient, der ihm einträglich und nützlich für sein abgewirtschaftetes Renommee zu sein scheint.

Wer aber mit der "Menschenwürde" des Menschen ohne Würde hausieren geht, um ihn in die säkularisierte Zwangsjacke von "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" zu stecken, handelt politisch dekadent in Reinkultur und ist selbst von Grund auf verdorben.

 

Werner Olles war in den siebziger Jahren zeitweilig Mitglied im "Frankfurter Kampfbund / Marxisten-Leninisten" (FKB/ML).


 
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