© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/02 10. Mai 2002

 
Suchtpotentiale verlagern sich
Drogenbericht: Rot-grüne Bundesregierung sieht sich in ihrem Konzept bestätigt / Alkohol bleibt "Alltagsdroge Nr. 1"
Alexander Barti

Der aktuelle, 148-seitige "Drogenbericht 2001" wurde am 6. Mai in Berlin vorgestellt. Dort heißt es, die "frühere einseitige Fixierung auf illegale Suchtmittel" sei auf "legale Suchtformen, vor allem den Tabak- und riskanten Alkoholkonsum erweitert" worden. Allgemein habe die rot-grüne Bundesregierung sich zum Ziel gesetzt, den Beginn des Konsums zu verhindern oder hinauszuzögern, riskante "Konsummuster" frühzeitig zu reduzieren, bzw. eine bestehende Abhängigkeit "mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln" zu behandeln.

Trotz der verstärkten Aufklärung greifen immer mehr Jugendliche - vor allem Mädchen - zur Zigarette. Daher, so der Drogenbericht, habe man mit der Tabakindustrie Gespräche geführt, wie man die Prävention von jugendlichen Rauchern stärken könne. Die Verhandlungen ergaben, daß zum einen die Tabakindustrie in den nächsten fünf Jahren rund 12 Millionen Euro an die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) überweisen wird, zum anderen soll mit "peppigen Ideen" die Lust am Rauchen eingedämmt werden. Die ausgehandelte jährliche "Präventivgebühr" von rund 2,4 Millionen Euro erscheint neben dem Jahresumsatz der deutschen Zigarettenindustrie 2001 in Höhe von rund 20 Milliarden Euro recht bescheiden; die Anzahl verkaufter Zigaretten im Inland stieg im Zeitraum von 2000 bis 2001 von 139,6 auf 142,5 Milliarden Stück. Anti-Raucher-Projekte wie zum Beispiel "Be smart - Don't Start" oder "Klasse 2000" sind offenbar nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.

Ein besonderes Augenmerk legt der Drogenbericht auf die "Alltagsdroge Nr. 1", Alkohol. Demnach steht jeder vierte Todesfall von Jugendlichen in Europa im Zusammenhang mit einem alkoholbedingten Verkehrsunfall; allein in Deutschland sterben über 40.000 Menschen jährlich an alkoholbedingten Erkrankungen und über 1,6 Millionen Menschen sind alkoholkrank. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen, werde der Alkoholmißbrauch in der Gesellschaft "noch immer bagatellisiert", merkt der Drogenbericht kritisch an.

Obwohl sich die Präventionsmaßnahmen an alle wendeten, gäbe es besonders suchtgefährdete Gruppen. Der Drogenbericht nennt dabei ausdrücklich Kinder aus "Suchtfamilien", Jugendliche der Partyszene, sowie Jugendliche "mit Migrationshintergrund".

Nach Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums müssen rund zwei Millionen Kinder mit der Alkoholabhängigkeit mindestens eines Elternteils leben; 30 Prozent von ihnen werden dabei ebenfalls süchtig. Auffällig ist auch der hohe Anteil von Drogentoten unter jungen Aussiedlern; mit einem frühen Einstieg bei Heroin und hochprozentigen Alkoholika zeigen die Aussiedler ein besonders riskantes Konsummuster. Die beste Prävention sieht der Drogenbericht in einer "erfolgreichen Integration" der Aussiedlerkinder. Der Alkoholmißbrauch bei Migranten mit islamischem Glauben ist geringer, er gleicht sich aber mit der Dauer des Aufenthaltes in Deutschland - also besonders in der zweiten und dritten Generation - den "inländischen" Werten an. Etwa neun Prozent der türkischen Probanden geben an, regelmäßig "weiche" Alkoholika zu konsumieren.

In einem Interview der Zeitschrift für eine Legalisierung von "weichen" Drogen, Akzeptanz (April 2001), erklärte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marion Caspers-Merk, daß "eine reine Verbotspolitik eher kontraproduktiv" sei; wünschenswert sei vielmehr eine "gesellschaftliche Diskussion" über den Konsum "psychoaktiver Substanzen". In dem Drogenbericht wird das Fehlen einer solchen Risikodebatte bemängelt.

Im Jahr 2001 starben 1.835 Menschen infolge ihres Drogenkonsums; das sind fast zehn Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Damit sank die Zahl der Drogentoten erstmalig nach einem kontinuierlichen Anstieg in den vergangenen drei Jahren. Die rot-grüne Bundesregierung sieht daher ihr Konzept der umfassenden "Überlebenshilfen" bestätigt und möchte sie weiter ausbauen. Dazu gehört ein seit März 2002 angelaufenes "Heroinprojekt" in sieben Städten, wo schwerkranke Abhängige mit Heroin versorgt werden. Verbessert werden soll auch die "Substitutionsbehandlung" von 50.000 Opiatabhängigen; 35.000 von ihnen erhalten ihre Ersatzstoffe und weitere Therapiemethoden auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen. Ausgebaut werden soll auch das Netz von "Drogenkonsumräumen" (Fixerstuben), um das Überleben schwer erreichbarer Junkies zu sichern, bzw. um ihre Gesundheit zu stabilisieren.

Mit Ausnahme von Marihuana sind im vergangenen Jahr weniger Drogen beschlagnahmt worden; einen deutlichen Anstieg gab es allerdings bei Ecstasy. Als Ursprungsländer werden Afghanistan, Kolumbien, die Niederlande sowie die Türkei als Transitstaat genannt.

Obwohl es noch viel zu tun gäbe, habe man den richtigen Weg eingeschlagen, so Caspers-Merk. Bei den sogenannten "Partydrogen" (Ecstasy, Amphetamine, Cannabis) müsse man den "Dialog mit den Betroffenen fortsetzen". Die Arzneimittelabhängigkeit sollte "weiter in der Öffentlichkeit thematisiert" werden, ebenso das "ungeliebte Kapitel" weiblicher Suchterkrankung, das ohne Brücksichtigung von sexueller Gewalt als Mitverursacher der Abhängigkeit nicht zu verstehen sei. Daß Süchtige zu spät erreicht werden und daß die ambulante Hilfe und das stationäre Angebot noch besser aufeinander abgestimmt werden müssen, zählt zu den weiteren Perspektiven der aktuellen Drogenpolitik.

Der aktuelle Drogenbericht und weitere Informationen im Internet: www.drogenbericht.de , www.bmgesundheit.de  , www.caspers-merk.de 


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen