© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/02 10. Mai 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Volle Kontrolle
Karl Heinzen

Otto Schily ist sich bewußt, daß an der Volljährigkeitsgrenze von 18 Jahren nicht zu rütteln ist. Dennoch hat er laut darüber nachgedacht, ob sie nicht besser auf 21 Jahre angehoben würde. Der Anlaß liegt auf der Hand: Seit Erfurt ist die Gefahr, die von jungen Leuten ausgehen kann, nicht mehr zu leugnen. Sie alle stehen nun unter gesellschaftlicher Beobachtung. Niemand will sie bemuttern, aber jeder sucht Schutz vor ihnen. Wer weiß schon, was wirklich in ihren Köpfen vorgeht? Die Welt, in der sie leben, haben sie sich zwar nicht selbst erschaffen, sie konsumieren ja nur das, was ihnen Erwachsene vorsetzen. Und dennoch sind sie so schwer zu verstehen.

Die Öffentlichkeit wird sich wieder anderen Themen zuwenden. Die Neugier auf neuen Schrecken wird die Erinnerung an schon bekannten verdrängen. Das gestörte Vertrauen in die Jugendlichen wird bleiben. Otto Schily hat die Diskussion auf ein sachliches Gleis gelenkt. Nicht jeder Halbwüchsige, der anders sein will als die andern, ist zu beargwöhnen. Es ist vielmehr ja gerade eine der Stärken unserer Wirtschaftsdemokratie, daß kein Verbraucher so wie der andere sein muß. Zudem sind nicht alle Jugendlichen gegenüber Gewaltdarstellungen, die ihnen in einschlägigen Videos oder Computerspielen angeboten werden, uneingeschränkt aufgeschlossen. Ihnen fehlt es in der Regel nicht nur an Medienkompetenz, sondern - Gott sei Dank - eben auch an Phantasie und Tatkraft. Solange sie keine Raubkopien anfertigen, sollen sie daher sehen und spielen können, wonach ihnen der Sinn steht.

Es kann nicht darum gehen, unberechenbare Handlungen Einzelner einzudämmen. Soziale Kontrolle funktioniert nie lückenlos. Es gilt statt dessen, "die Jugendlichen" insgesamt als eine potentielle Bedrohung zu erkennen. Junge Menschen haben zumeist das Gefühl, daß das ganze Leben noch vor ihnen liegt. Diese Einschätzung macht sie tendentiell verzweifelt, weil sie ahnen, was unter den gegebenen Umständen auf sie zukommen wird, verleitet sie aber mitunter auch zum Leichtsinn - nämlich dem Versuch, an eben diesen Umständen etwas zu ändern. Jungwähler sind daher mehr als andere versucht, extremistischen Bestrebungen ihre Stimme zu geben. Sie glauben, langfristige Besserungen, die aus einschneidenden Politikwechseln resultieren mögen, noch erleben zu dürfen, während ältere Wähler wissen, daß dies in ihrem Fall nicht zutreffen kann. Aus dieser unterschiedlichen Wahrnehmung politischer Entscheidungen durch die verschiedenen Generationen, müßten junge Bürger eigentlich die Forderung nach einer oberen Altersgrenze für die Ausübung des Wahlrechts ableiten. Angesichts der aktuellen Mehrheitsverhältnisse und Mentalitäten ist dies aussichtslos. Niemand weiß aber, welche Einstellung die Immigranten, die unsere Alterspyramide wieder in Form bringen, in dieser Frage vertreten werden. Eine Heraufsetzung des Wahlalters wäre zumindest ein Zeitgewinn, um hier Klarheit zu schaffen.


 
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