© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/02 03. Mai 2002

 
Der Schöpfer Sachsen-Anhalts
Erhard Hübener war der einzige Ministerpräsident der sowjetischen Besatzungszone, der nicht der SED angehörte
Martin Möller

Als das Land Sachsen-Anhalt im Jahre 1990 nach 48jähriger Unterbrechung wieder zum Leben erweckt wurde, gab es viel Kritik. Es handle sich um ein nicht lebensfähiges "Bindestrich-Land", das zudem keinerlei historische Berechtigung habe und baldmöglichst aufzulösen sei. In den Medien wurde dieser Schritt in der Wendezeit lebhaft kritisiert, so in der Leipziger Zeitung Montag : "So ist 'Sachsen Anhalt', wie es 1946 geschaffen wurde, völliger Unsinn. Das ehemalige Fürstentum Anhalt, Beute-Sachsen, das vormalige Bistum Magdeburg und die urbrandenburgische Altmark: wie soll sich das zusammenfügen? Besser wäre es doch dann, die preußischen Eroberungen an Sachsen zurückzugeben und die sächsische Grenze bis hinter Wittenberg und Halle zu schieben. Stendal oder Magdeburg könnte Hauptstadt eines Landes Altmark werden. Dem ursprünglich recht kleinen, wiewohl höchst notwendigen Herzogtum/ Land Anhalt könnte man das Gebiet um Eisleben und Sangerhausen beigliedern."

Grund für derartige Positionen war die Tatsache, daß Sachsen-Anhalt im wesentlichen aus der preußischen Provinz Sachsen hervorgegangen ist, die wiederum aus der recht unhistorischen Provinzialgliederung Preußens nach 1815 resultierte. Nach dem Ende des monarchischen Borussenstaates wurde die Forderung sowohl nach Rekonstruktion der vorpreußischen Staatsformen als auch nach einer modernen Gebietsreform laut. Die NS-Machthaber versuchten, den gordischen Knoten zu lösen, indem sie den gesamten deutsche Föderalismus am 1. Jahrestag der "Machtergreifung" 1934 beseitigten, alle Länder auflösten, und in Deutschland das zentralstaatliche System etablierten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erkannten die Siegermächte, daß dieses Ergebnis der NS-Herrschaft zu revidieren sei. Nun schlug die Stunde der Kommunal- und Provinzpolitiker, die auf 15 Jahre preußische Auflösungsdiskussion zurückgreifen konnten. Einer von ihnen war Erhard Hübener. Bereits im Weimar-Staat Landeshauptmann der preußischen Provinz Sachsen, hatte er in unzähligen Gutachten, Denkschriften und Memoranden die Notwendigkeit eines grenz- und flurbereinigten Landes nachgewiesen, daß aus den mittel- und norddeutschen Gebieten, die zwischen Thüringen, dem "Freistaat" Sachsen, Braunschweig, Hannover und der Provinz Brandenburg liegen, ein Land zu bilden sei, eben das Sachsen-Anhalt, das im Jahre 1947 nach Hübeners Vorstellungen gegründet wurde und dessen erster Ministerpräsident er wurde.

Hübener war Liberaler und Mitglied der DDP, später der LDPD. Seine politische Überzeugung führte zur Entscheidung, eine ehrliche Zusammenarbeit mit den Besatzungsmächten anzustreben, in diesem Falle der sowjetischen. Gerade durch sein vertrauensbildendes Verhalten konnte er viel Schlimmes verhüten und politisch die Grundlegung für eine Neugliederung und Neuordnung Deutschlands leisten. Zwischen 1947 und 1949 war Hübener der einzige Nicht-SED-Ministerpräsident in der SBZ - im Landtag saßen ihm die SED-Oberen wie Walter Ulbricht oder Bernard Koenen als "Oppositionspolitiker" gegenüber.

Hübener war ein kluger, vorausschauender Politiker, dessen landespolitisches Engagement darauf hinzielte, daß "Deutschland aufhören müsse, lediglich Objekt der Politik der Besatzungsmächte zu sein, daß es wieder völkerrechtliches Subjekt werden müsse". Deshalb versuchte er alles Erdenkliche, die zwischenstaatlichen Beziehungen der deutschen Länder in Ost und West für die Struktur eines deutschen föderativen Gesamtstaates zu aktivieren. Doch die alliierte Entscheidung für die Teilung grub ihm das Wasser ab. Diese Teilung wurde zumindest auf östlicher Seite mit Terror durchgesetzt, die bürgerlichen Volksparteien CDU und LDPD wurden gleichgeschaltet. Nun war Hübener überflüssig und im Wege - er wurde beiseite geschoben. Bald nach Gründung der DDR schlug auch den hoffnungsvoll geschaffenen Ländern die Totenglocke, sie wurden ebenso wie 1934 durch einen Federstrich am Grünen Tisch der Kommunisten aufgelöst.

Das Werk von Tullner und Lübeck zeichnet sich durch wissenschaftliche Grundlegung in fesselnd gestalteter Form aus. Der Dokumententeil nimmt ein Drittel des Buches ein und nennt wichtige Quellen zur mitteldeutschen und zur SBZ-Geschichte. Für jeden Politiker und Historiker Sachsen-Anhalts stellt das Werk damit eine unverzichtbare historische Übersicht dar und hilft, die krisengeschüttelte Existenz des Bundeslandes Sachsen-Anhalt zu verstehen.

Fototext: Ulbricht und Koenen: Hübener war ihr "nützlicher Idiot"

Matthias Tullner / Wilfried Lübeck: Erhard Hübener. Mitteldeutschland und Sachsen-Anhalt. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2001, 400 Seiten, 18 Euro


 
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