© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/02 03. Mai 2002

 
Bettgeflüster der Zivilisierten
Kino: "In the Bedroom" von Todd Field
Werner Olles / Claus-M. Wolfschlag

Die Anfangssequenz von "In The Bedroom" erinnert zunächst an einen Thriller. Inmitten einer idyllischen Sommerlandschaft an der Küste von Maine jagt ein Mann hinter einer fliehenden Frau her. Doch als er sie schließlich eingeholt hat, sinken die beiden ins hohe Gras, um sich leidenschaftlich zu umarmen und zu küssen. Der erste Schrecken weicht der Erleichterung, um dann in die beklemmende Ahnung überzugehen, daß das gezeigte Verhältnis verhängnisvoll enden muß.

Frank (Nick Stahl) ist während seiner Semesterferien nach Hause zu seinen Eltern Matt (Tom Wilkinson) und Ruth Fowler (Sissy Spacek) zurückgekehrt. Mit Hummerfang will er sich die finanzielle Basis für sein Studium aufbessern. Auch sein Vater, ein angesehener Arzt, war in seiner Jugend Hummerfänger. Franks Mutter Ruth leitet den Kirchenchor der kleinen Gemeinde. Das trügerische nordamerikanische Idyll täuscht schönste Ordnung vor. Doch das Unheil lauert bereits.

Frank hat sich in die zehn Jahre ältere Natalie Strout (Marisa Tomei) verliebt, Mutter zweier kleiner Söhne und von ihrem eifersüchtigen Ehemann getrennt lebend. Richard (William A. Mapother), ihr als gewalttätig bekannter Gatte, bedroht das junge Paar und schlägt Frank eines Tages übel zusammen. Franks Mutter sieht schon deshalb die Freundschaft ihres Sohnes zu der Frau nicht ohne Sorge. Als der Konflikt in diesem Biotop der Gefühle einige Zeit später eskaliert und Frank sich schützend vor Natalie stellt, erschießt Richard ihn in einem Wutanfall.

Die Zeit vergeht, aber Franks Eltern kommen über den Tod ihres Sohnes nicht hinweg. Besonders Ruth leidet darunter, daß der Mörder ihres Sohnes aufgrund fehlender Zeugenaussagen nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann und frei herumläuft. Als sie ihm eines Tages beim Einkaufen begegnet, ist es mit ihrer Beherrschung vorbei. Sie beginnt ihren Mann mit bitteren Vorwürfen zu belasten. Matt spürt, daß nun seine eigene Ehe auf dem Spiel steht, entschließt sich das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen und die einmal begonnene Tragödie zu vollenden ...

Manchmal gehören Filme, die sich nicht so recht zwischen zwei Genres entscheiden können, zur besseren Kost. In Todd Fields melodramatischem Thriller "In The Bedroom" geht es um das Modell einer persönlichen Revolution, aber auch um die Befreiung von einer Obsession. Diese Psychotherapie kann aber nur dort ihr Werk tun, wo ihr die Doppelbödigkeit der bürgerlichen Gesellschaft eine Chance dazu gibt. Zwar ist das Melodram etwas grundsätzlich anderes als der Thriller, aber die unterschiedlichen Metaphysiken der Genres gehen nahtlos ineinander über, weil beide von der Maßlosigkeit und der Bedingungslosigkeit von Gefühlen und vom Aufbau einer individuellen Anarchie, die die Entfremdung zu unterdrücken versucht, leben. Man kann also in Fields Film sehr wohl eine Form des vitalen Protestes gegen das Unglück in der Welt sehen und gleichzeitig durchaus die filmische Erzeugung von Thrill und Spannung genießen.

In der Verbindung von Thriller und Melodram erinnert "In The Bedroom" atmosphärisch an Sam Raimis 1998 gedrehtes Meisterwerk "Ein einfacher Plan/A Simple Plan" mit Bill Paxton und Billy Bob Thornton in den Hauptrollen. "Ein einfacher Plan" spielt in einer Winterlandschaft Minnesotas, wo ein von der Öffentlichkeit unentdeckter Flugzeugabsturz die tragischen Geschehnisse ins Rollen bringt. Zeigte sich Raimi noch stärker vom Thrillermotiv angezogen, um dadurch die Abgründe und verdeckten Feindseligkeiten unter Geschwistern, Freunden und Ehepartnern darzulegen, so tendiert Todd Field mit seinem neuen Film eindeutiger zum Melodram, für das die kriminellen Geschehnisse nur noch die Rahmenhandlung zur Erzählung eines durch den Schicksalsschlag gestörten Familienlebens abgeben.

"In The Bedroom" zeigt auf geradezu klassische Weise, wie die vorgeblich heile Ordnung einer fast familiären Kleinstadtgesellschaft an Bruchstellen aus den Fugen gerät und in blutige, verletzende Dramen ausarten kann. Truman Capote nannte es den "Zusammenstoß zwischen dem verzweifelten, gnadenlosen, wandernden, wüsten Teil amerikanischen Lebens und dem anderen, der inselhaft und sicher ist, mehr oder weniger jedenfalls".

Field, der den für vier Oscars nominierten Film (bester Film, beste Schauspielerin, bester Schauspieler, beste Nebendarstellerin) logisch und perfekt - und für amerikanische Verhältnisse ausgesprochen einfühlsam und sensibel - inszenierte, stammt selbst aus Maine. Wie man weiß, spielen in dieser bezaubernden Landschaft auch die Horrorromane eines Stephen King. Der Widerspruch zwischen Stadt und Land, zwischen den bunten, quirligen Metropolen und dem ruhigen, genügsamen Landleben tritt hier deutlich hervor. Daneben spielt der Regisseur aber auch mit den hartnäckigsten aller amerikanischen Mythen: der Fähigkeit zur Selbstreinigung und Selbsterlösung. Wenn Matt in der letzten Szene den Verband von einer durch einen Hummerbiß verursachten Verletzung langsam und bedächtig von seinem Finger ablöst, weiß man, daß die Zeit mit etwas Zutun doch alle Wunden heilt. Die Frage, ob sie als Phantomschmerz weiter schwelen, bleibt jedoch letztlich offen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen