© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/02 03. Mai 2002

 
Ein ideales Operationsgebiet
Islamisten in Deutschland: Nach Jahren der politisch gewollten Ignoranz hat sich eine gefährliche Parallelgesellschaft entwickelt
Michael Wiesberg

In der letzten Ausgabe der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit (18/02) stellt deren Redakteur Bruno Schirra in einem Hintergrundbeitrag über militante Islamisten in Deutschland fest, daß die Bundesrepublik "eine zentrale Rolle im Netzwerk des Islamismus" spielt. "Vielfältige staatliche, halb staatliche und private Wohlfahrtsorganisationen aus muslimischen Staaten" hätten in "Deutschland ihre Vertretungen etabliert"; ein enges Netz unterschiedlicher Moscheenvereine böte den Islamisten "eine ideale Organisationsstruktur", die "fleißig genutzt" werde. Im selben Artikel stellt der Stuttgarter Verfassungsschützer Landolin Müller fest, daß "innerhalb der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland" eine islamistische Parallelgesellschaft entstanden sei, die mit dem Islam "wenig zu tun" habe, sich aber auf ihn berufe und ihre Taten aus ihm heraus legitimiere. "Wir wissen seit mehr als zehn Jahren", so Müller, "daß da etwas auf uns zukommt, aber die Politik hat uns zehn Jahre lang im Stich gelassen."

Jetzt zeigen sich mehr und mehr die Folgen dieser Politik, die Humanitätsduselei vor Sicherheitsinteressen gestellt hat: Deutschland droht zum Zielgebiet für Terroranschläge islamistischer Extremisten zu werden. So soll die letzte Woche enttarnte Islamistengruppe "El Tawhid" nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft Terroranschläge in Deutschland geplant, aber noch keine "konkreten Ziele" ins Visier genommen haben. Die offenbar weitgehend selbständig agierende Terroristen-Gruppe sei nach Erkenntnissen der Ermittler der sunnitisch-palästinensischen Bewegung "El Tawhid" zuzurechnen, die nach den Worten von Generalbundesanwalt Kay Nehm "auf der Grundlage eines aggressiven und militanten Fundamentalismus den weltweiten Dschihad" fördere und unterstütze. Hintergrund ihrer Aktivitäten dürfte den Angaben Nehms zufolge der Nahostkonflikt sein. Darauf deute die Herkunft der Verhafteten hin; mehrere von ihnen stammten aus Palästina und Jordanien.

Bemerkenswert sei auch die Verbindung der Gruppe nach Afghanistan. Operativer Führer dieser Gruppe sei Abu Mossab Al Zarqawi. Der Ende 2001 aus Afghanistan geflohene frühere Betreiber eines Ausbildungslagers habe eine "erhebliche Rolle" für diese Gruppe gespielt, erklärte Nehm. Ein mögliche Verbindung zu anderen islamistischen Gruppen in Deutschland konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Nehm sieht aber Parallelen zu jener Gruppe, die einen Anschlag in Straßburg geplant habe. Dieser Gruppe wird derzeit vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt am Main der Prozeß gemacht.

Laut Nehm seien aufgrund des Fahndungsdruckes erste Erfolg zu vermelden. Er will Rückzugsbewegungen von Islamisten aus Deutschland wahrgenommen haben; angeblich, "weil ihnen der Boden zu heiß" werde. Diese Aussage steht im Widerspruch zu einem Bericht in der FAZ, in der von vertraulichen Schreiben der BKA-Außenstelle Meckenheim bei Bonn berichtet wird. Das am Dienstag letzter Woche verfasste Papier soll an den Bundesgrenzschutz, den Bundesnachrichtendienst und alle Landeskriminalämter übermittelt worden sein. Darin soll es heißen, in Deutschland sei innerhalb der nächsten 20 Tage mit Geiselnahmen und auch Selbstmordattentaten zu rechnen. Dem Bericht zufolge hat nach BKA-Erkenntnissen ein in Pakistan lebender al-Quaida-Anhänger namens Dschalal Dudin den Plan ausgearbeitet, in Deutschland, Frankreich und Großbritannien jeweils 300 bis 400 Menschen als Geiseln zu nehmen, um so in Europa inhaftierte Gesinnungsgenossen freizupressen.

Deutschland ist "Vorraum" der Islamisten

Sybillinisch sprach der Vizepräsident des Bundeskriminalamts, Bernhard Falk, von einer "weltweit erhöhten abstrakten Gefahrenlage". Auch er mußte einräumen, daß Deutschland nicht nur Ruhe- und Rückzugsraum, sondern auch "Vorbereitungsraum" sei. Ein "Vorbereitungsraum", dies kann hinzugefügt werden, der den militanten Islamisten aus aller Herren Länder alle Freiheiten läßt. Aktuelles Beispiel: Die jüngste Demonstration von 12.000 Palästinensern, Türken, Arabern, Kurden und Iranern in Berlin-Mitte gegen die militärische Wiederbesetzung des Westjordanlandes durch die israelische Armee. In Armeeuniformen marschierten eingereiste Mitglieder der militärischen Flügel arabischer Terrorgruppen durch Berlin, unter den gelben Fahnen der libanesischen Hisbollah und den grünen der Hamas. Mitglieder des eigens eingesetzten Ordnungsdienstes der palästinensischen Veranstalter hetzten gegen eine versprengte Gruppe jüdischer Gegendemonstranten, die daraufhin mit Steinen beworfen wurden. Islamisten mit Megaphonen riefen zum Boykott jüdischer Firmen auf. "Oh, ihr Juden - das Schwert Mohammeds wird zu euch zurückkehren!", brüllten die martialisch aufgemachten Kämpfer.

Wohlgemerkt: Dies alles geschah unter der Beobachtung deutscher Polizisten und Verfassungsschützer. Die Beamten verstehen sicherlich kein Arabisch. Aber was sie sehen konnten, spricht für sich: Mütter, die ihre Kinder triumphierend in die Luft reckten oder an den Händen hielten. Kinder, denen Sprengstoffgürtelattrappen um den Leib geschlungen worden waren. Sprengstoffgürtel, wie sie die Selbstmordattentäter in den Straßen Jerusalems und Tel Avivs zu tragen pflegen, bevor sie sich - und zufällig anwesende Passanten - in die Luft sprengen und in den Tod reißen. Eine derartige Demonstration, die im übrigen keine Betroffenheit und kein Entsetzen bei den einschlägig bekannten "Überzeugungsträgern" ausgelöst hat, gehört im multiethnischen Deutschland augenscheinlich inzwischen zur Normalität.

Nach Einschätzung von Sicherheitsexperten seien die Gesetze, die Innenminister Schily (SPD) auf den Weg gebracht hat, nicht mehr als "Sozialhygiene für den Bürger". Will sagen: die Gefahr möglicher Anschläge wird durch diese Gesetze in keiner Weise gemindert. Dies glaubt auch Rolf Tophoven, Mitbegründer des ehemaligen privaten Bonner Instituts für Terrorismusforschung, der der Meinung ist, daß in Deutschland ausgeführte Terroranschläge schon deshalb nicht auszuschließen seien, weil Deutschland an der Anti-Terror-Allianz beteiligt sei.

Bedrohung auch als Folge einer verfehlten Asylpolitik

Inzwischen machen Vermutungen die Runde, daß die El-Tawhid-Gruppe vergangenen Herbst einen Anschlag auf den Berliner Atomreaktor des Hahn-Meitner-Instituts geplant haben könnte. So berichtete der Berliner Tagesspiegel, mindestens zwei Mal habe im vergangenen Oktober ein Kleinflugzeug über der Berliner Anlage gekreist. Ermittlungen hätten ergeben, daß ein deutscher Pilot und ein arabischstämmiger Mann in der Maschine saßen. Auch wenn dieser Bericht inzwischen dementiert wurde, zeigt er an, welche Bedrohungslagen in Deutschland zukünftig denkbar sind.

Diese Bedrohungslage ist auch ein Ergebnis der permissiven Zuwanderungspolitik insbesondere der letzten zehn Jahre. Immer wieder wurde in der Vergangenheit auf die Gefährdungen für die Innere Sicherheit in Deutschland hingewiesen, die eine derartige Politik mit sich brächte. Alle diese Warnungen sind als "Rassismus" und "Ausländerfeindlichkeit" denunziert worden. Statt einer restriktiveren Ausländerpolitik rollten immer wieder "Kampagnen gegen Rechts" durch das Land.

Jetzt zeigen sich die Folgen dieser Politik nach Gutmenschenart: es kann nicht mehr ausgeschlossen werden, daß demnächst Deutsche in ihrem Heimatland zu Zielobjekten fanatischer Islamisten werden könnten, die hier einen Ersatzkriegsschauplatz zu eröffnen versuchen. Die jetzt zufällig aufgeflogene Terror-Gruppe El Tawhid stellt in Deutschland nur die Spitze des Eisberges dar. Ein Blick in das Kapitel "Ausländerextremismus" des Bundesverfassungsschutzberichts (VS-Bericht 2001) zeigt, wieviel Gefahrenpotential sich in Deutschland angesammelt hat.

Um an dieser Stelle nur einige Hinweise zu geben: Die in Köln ansässige "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V.", die etwa 27.000 Mitglieder zählt, äußerte sich in ihrer Hauspublikation Milli Gazete (dt. "Nationale Zeitung"; 20. März 2000) wie folgt: "Uns reicht nicht nur unsere eigene Befreiung. Wir setzen uns für die Befreiung der ganzen Menschheit ein und sind die Vertreter einer Gesellschaft, die sich vor keiner Selbstlosigkeit scheut. [...] Die Befreiung der Menschheit, ihr Wohl und Glück sind über den Koran möglich." Trotz dieser und ähnlicher Aussagen ist "Milli Görüs" Mitglied im "Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland". Schwerpunkt ihrer Aktivitäten ist derzeit die Bildungs- und Erziehungsarbeit. "Milli Görüs" versucht, Einfluß auf den Islamunterricht an öffentlichen deutschen Schulen zu erlangen. Bestärkt fühlen in ihren Zielen kann sich "Milli Görüs" durch das Urteil des Berliner Oberverwaltungsgerichts, das der "Islamischen Föderation Berlin e.V." als erster islamischer Organisation das Recht zugestanden hat, an öffentlichen Schulen Religionsunterricht zu erteilen.

Nicht weniger als die Weltherrschaft des Islams strebt der "Kalifatstaat" (circa 1.100 Mitglieder) des Metin Kaplan an, der derzeit eine vierjährige Gefängnisstrafe absitzt. Demokratie und Parteienpluralismus werden als unvereinbar mit islamischen Grundsätzen abgelehnt. Unmißverständlich werden die Ziele im Verbandsorgan Ümmet-i Muhammed (315/00) beschrieben: "Die Menschheit hat noch nie so eine dunkle Phase wie unter der Demokratie erlebt. (...) Damit der Mensch sich von der Demokratie befreien kann, muß er zuerst begreifen, daß die Demokratie dem Menschen nichts Gutes geben kann. (...) Es lebe die Hölle für die Ungläubigen! Und nieder mit allen Demokratien und allen Demokraten!"

Selbst Mitglieder der algerischen "Islamischen Heilsfront" (FIS), der "Bewaffneten Islamischen Gruppe" (GIA) und der "Salafiyya-Gruppe für die Mission und den Kampf" (GSPC), die in Algerien für blutige Terrorakte verantwortlich gemacht werden, sind in Deutschland organisiert und zählen zusammen ca. 400 Mitglieder. Die beiden letzteren Gruppen führen, im Gegensatz zur FIS, immer noch einen terroristischen Kampf gegen die algerische Regierung. Von Deutschland aus werden die Glaubensbrüder der GSPC und der GIA logistisch und informell unterstützt. Mehr und mehr, so der VS-Bericht 2001, seien die algerischen Extremisten in letzter Zeit dazu übergegangen, sich multinationalen Netzwerken anzugliedern, in denen die "Kämpfer für die Sache Allahs" ("Arabische Mujaheddin") eine zentrale Rolle spielten.

Einige dieser Netzwerke, die von Islamisten arabischer Herkunft geleitet werden, sind auch in Deutschland aktiv. Als Anhänger eines internationalen "Jihad" sollen diese Islamisten an Kampfeinsätzen in Afghanistan, Bosnien, Kaschmir oder Tschetschenien teilgenommen und eine militärische oder terroristische Ausbildung erhalten haben. Der westliche Gesellschaftstypus werde von diesen Islamisten mit aller Vehemenz abgelehnt. In diesen Netzwerken ist auch die Strömung "Takfir wa'l-Hijra" aktiv, die Verbindungen mit Bin Ladens al-Quaida unterhalten soll.

Islamisten sind immer besser vernetzt

Zu nennen ist weiterhin der "Islamische Bund Palästina" (IBP; ca. 250 Mitglieder), zu dem auch Anhänger der Hamas ("Islamische Widerstandsbewegung"), des palästinensischen Zweiges der "Muslimbruderschaft" gehören. Dieser Bund steht allen Aussöhnungsversuchen zwischen Palästinensern und Israelis feindlich gegenüber.

Erwähnung finden sollte ebenso die "Partei Gottes" (Hizb Allah; circa 800 Mitglieder), die im Libanon als Interessenvertretung eines Teils der schiitischen Bevölkerungsgruppe agiert und mit ihrem militärischen Arm "Islamischer Widerstand" auch eine bewaffnete Gruppe unterhält. Die "Partei Gottes" pflegt enge Verbindungen zum Iran und strebt, wenn auch nicht mehr allzu offen propagiert, einen Gottesstaat nach iranischem Vorbild an. In Deutschland tritt diese Gruppe insbesondere bei Demonstrationen in Erscheinung, bei denen sie sich mit antizionistischen und antiamerikanischen Parolen bemerkbar macht.

Beunruhigen muß deutsche Sicherheitsexperten, daß sich islamistische Extremisten mehr und mehr vernetzen. So fanden BKA-Fahnder in der Duisburger Wohnung des Marrokaners Karim M., die aufgrund von Kontakten zum Mülheimer Islamisten Christian G. durchsucht wurde, eine Hamburger Telefonnummer. Schon nach kurzer Prüfung war klar, daß der Fund eine wichtige Verbindung belegt. Denn offenbar hatte Karim M. auch Kontakte zu der Hamburger Terror-Gruppe um den mutmaßlichen Attentäter Mohammed Atta, der am 11. September 2001 eines der Flugzeuge ins New Yorker World Trade Center gesteuert haben soll. Christian G., alias "Abu Ibrahim", wiederum war ins Visier der Fahnder geraten, weil der Attentäter von Djerba ihn rund hundert Minuten vor dem Anschlag auf seinem Handy angerufen hatte.

Festgehalten werden muß, daß sich Deutschland mehr und mehr vom Rückzugsraum zum möglichen Zielobjekt bzw. Vorbereitungsraum von Terrorattentaten gewandelt hat. Man kann heute freilich nur mutmaßen, welche Bedrohungslagen auf Deutschland in den nächsten Jahren noch zukommen könnten. Eine nachhaltige Destabilisierung der inneren Sicherheit in Deutschland durch islamistische Terror-Gruppen darf man vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklung jedenfalls nicht mehr ausschließen.


 
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