© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/02 03. Mai 2002

 
BLICK NACH OSTEN
Nicht liberal, sondern General!
Carl Gustaf Ströhm

Sein kurzes Leben erinnert an das russische Märchen vom Bauernbub Wanjka (Iwan), der den Drachen besiegt, viele Abenteuer besteht - und die Zarentochter heiraten darf. Nur das Reich zu regieren war Alexander Iwanowitsch Lebed, dem unkonventionellen Ex-General, nicht vergönnt. Mit nur 52 Jahren starb er letzten Sonntag bei einem Hubschrauberabsturz in Abakan, in der sibirischen Region Krasnojarsk, deren Gouverneur er seit Juli 1998 war.

Noch an seinem Totenbett begann die Gerüchteküche zu brodeln. War es eine jener vielen, durch Schlamperei und Verantwortungslosigkeit verursachten Katastrophen, wie sie in Rußland vor und erst recht nach der Wende häufig sind? Oder war es ein Anschlag, um Lebed, diesen alten Haudegen, der eine ehrliche Haut gewesen sein soll, aus dem Weg zu räumen?

Und wenn es ein Anschlag war - galt er dem sibirischen Provinzpolitiker Lebed, der sich mit örtlichen Bossen und Mafiosi überwarf, was ihm durchaus zuzutrauen wäre? Oder gibt es Kräfte auf höherer Ebene, die sich fürchten? "Wanjka" könne eines Tages aus den Tiefen der russischen Provinz wieder im Zentrum der Macht (Moskau) auftauchen - was ihm gleichfalls zuzutrauen war.

In Rußland, das so groß und in dem der Zar (heute Putin) so fern ist, ist es ungewöhnlich, wenn ein solcher Mann eines überraschendes Todes stirbt. Selbst wenn es wirklich ein Unfall war - der Volksmythos wird es nicht glauben.

Lebed war ein typischer und dann doch wieder untypischer Russe. Mit den beleibten sowjetischen Generälen und Marschällen, deren Ordensbrüste aussahen wie Klempnerläden, hatte er wenig gemein. Er war das, was man bei uns einst ehrfurchtsvoll als "Frontschwein" bezeichnete. Einer Proletarierfamilie aus Nowotscherkassk entstammend, war er in den achtziger Jahren Kommandeur einer Luftlandeeinheit in Afghanistan. Ab 1989 kommandierte er Elite-Fallschirmjäger in Tula - und weigerte sich 1991, seine Truppe in den Dienst der Moskauer KP-Putschisten zu stellen.

Jelzin ernannte ihn 1992 zum Befehlshaber der 14. Armee im Dnjestr-Gebiet, wo er die russischsprachigen "Seperatisten" gegen die moldauisch-rumänischen "nationalen" Kräfte unterstützte. Bei den Präsidentschaftswahlen 1996 erhielt er 15 Prozent - zu wenig, um Jelzin Konkurrenz zu machen, aber genug, um diesem im zweiten Wahlgang zum Sieg über den Kommunisten Sjuganow zu verhelfen. "Zar Boris" belohnte den treuen "Wanjka": dieser wurde Sicherheitsberater und bestand ein weiteres, ihm zugedachtes Himmelfahrtskommando: Er ging ins rebellische Tschetschenien und brachte dort einen Waffenstillstand zustande. Das aber war seinen Neidern zu viel: Sie erreichten seine Absetzung durch Jelzin - und seinen Rückzug als Gouverneur in die Provinz.

Vielleicht mag dieser Haudegen, der nicht in die üblichen Klischees passen wollte, und der durch manch politisch unkorrekten Spruch auffiel ("Ich bin nicht liberal, sondern General!") gelegentlich seinen dichterischen Landsmann und Offizierskameraden Michail Lermontow zitiert haben: "Leb' wohl, du ungewaschenes Rußland, du Land der Sklaven und der Herren - lebt wohl, ihr blauen Uniformen und du, ihnen gehorsames Volk."

In anderen Zeiten hätte Lebed als Wahlverwandter der "Condottieri" und Landsknechte gemeinsam mit dem legendären Kosaken Jermak Sibirien erobert. Jetzt wird die sibirische Erde seine letzte Ruhestätte - und der verwehte Schnee sein Leichentuch.


 
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